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Tante Emma vs. Big Data

Jochen Kürten29. Oktober 2013

Trotz übermächtiger Konkurrenz und Buchmarktkrise: Engagierte Buchhändler haben vor ein paar Jahren den Verbund "5plus" gegründet und damit Erfolg. Warum sind gerade diese Buchhandlungen so erfolgreich?

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Fensterfront des Buchladens Buchladen "Felix Jud. und Co" in Hamburg; Foto/Copyright: Felix Jud. und Co
Bild: Felix Jud. und Co

Ein Hoch auf die guten alten Buchläden rief Gottfried Honnefelder bei der 65. Frankfurter Buchmesse aus. Der scheidende Vorsteher des Deutschen Börsenvereins dachte an die vielen engagierten Buchhändler der Republik, die sich im Kampf gegen Global Player wie Amazon behaupten. "Vor ein paar Jahrzehnten war Tante Emma Big Data" spitzte Honnefelder seine Aussage noch einmal zu. Will heißen: All die Informationen, die heute oft ungeordnet im Internet allen Teilnehmern zugänglich sind, haben gute Buchhändler im Kopf und können sie an die Kunden weitergeben.

Der Sortimentsbuchhandel lebt

Honnefelder ist nicht naiv. Natürlich weiß er Bescheid über den radikalen Wandel innerhalb der Branche. Er hat das Ende vieler kleiner und mittelständischer Buchhandlungen erlebt und kennt den dynamisch wachsenden Online-Handel. Doch Honnefelder kennt auch die aktuellen Branchenzahlen. Der Sortimentsbuchhandel, also die kleineren Buchläden vor Ort, hat 2012 wieder ein leichtes Plus erwirtschaftet. Die katastrophalen Einbrüche mussten in den vergangenen Jahren die großen Buchhandelsketten hinnehmen.

Honnefelder mag bei seiner Rede zur Eröffnung der Buchmesse auch an die Buchhandlungen gedacht haben, die unter dem Namen "5plus" firmieren. Fünf Buchhändler hatten sich 2009 zusammengeschlossen, um ein Zeichen zu setzen: "Kleine, bewegliche und individuell geführte Buchhandlungen haben es leichter als die Filialen der großen Ketten, diese reagieren langsamer auf neue Entwicklungen", sagt Marina Krauth von der Hamburger Buchhandlung "Felix Jud".

Blick in die Buchhandlung Lehmkuhl in München (Foto: Lehmkuhl)
Die Buchhandlung Lehmkuhl in MünchenBild: Lehmkuhl

Schiffbruch der Großen

Neben Felix Jud waren es Buchhandlungen in Köln, Berlin, München und Freiburg, die sich gegen die Übermacht der Marktführer Thalia, Weltbild und Hugendubel stemmten. Diese hatten im vergangenen Jahrzehnt immer neue große Ladenflächen eröffnet, immer mehr Filialen mit einem überbordenden Non-Book-Sortiment aus dem Boden gestampft. Durch den wachsenden Online-Handel und steigende Innenstadt-Mieten gerieten die Branchenriesen jedoch ins Schwanken. Viele dieser einstmals mit großem Pomp eröffneten Läden mussten wieder dicht machen.

"Die Konzernbuchhandlungen haben sich verzockt" sagt Jürgen Schleicher von der Berliner Buchhandlung Dahlem-Dorf: "Die Mieten in 1A-Lagen taugen vielleicht für Massenware, aber die bekomme ich zusammen mit 'preisbindungsfreiem Ramsch' im Internet selbst portofrei nach Hause geliefert." Kleinere Buchhandlungen sind weit weniger betroffen: "Jahrelang hieß es, dass die mittelständischen Buchhandlungen unserer Größe vom Markt verschwinden werden, da sie mit den Filialisten nicht konkurrieren können - und in der Tat: viele sind verschwunden," räumt Michael Lemling von der Münchner Traditionsbuchhandlung Lehmkuhl ein.

Inhaber Klaus Bittner, Buchhandlung in Köln. Copyright: DW/Jochen Kürten
Klaus Bittner in seinem Kölner LadenBild: DW/J. Kürten

Das Buch ist auch ein Kulturgut

"Amazon nimmt auch den kleinen und mittleren Sortimenten Umsatz weg - aber längst nicht in dem Ausmaß wie es die Ketten verkraften müssen." Amazon und die großen Buchhandelshäuser sähen nur den Warencharakter des Buches und interessierten sich nicht dafür, dass es sich hier eben auch um ein Kulturgut handelt. "Um den kümmern wir uns in besonderer Weise."

Darin liegt eine Erklärung für den Erfolg dieser Buchhandlungen: im Kümmern. Individuelle Beratung, kompetente Leseempfehlungen, enger Kundenkontakt, hochkarätige Lesungen und Veranstaltungen, dazu die Atmosphäre eines gut sortierten Geschäfts - das sind einige der Alleinstellungsmerkmale von Buchhandlungen wie Felix Jud, Lehmkuhl oder Bittner in Köln.

Buchhandlung "Schleichers Buchhandlung Dahlem Dorf" in Berlin (Foto: Buchhandlung)
Schleichers Buchhandlung Dahlem-Dorf in BerlinBild: Schleichers Buchhandlung Dahlem Dorf

Keine Kataloge von der Stange

Doch "5plus", zu denen inzwischen drei weitere literarische Buchhandlungen gestoßen sind, haben noch mehr getan, als nur gute Bücher zu verkaufen. Sie geben zweimal im Jahr ein aufwendig gestaltetes, dazu kostenloses Kundenmagazin heraus: "Die Idee, sich die Arbeit zu teilen und die Leseerfahrungen engagierter Buchhändler/innen von acht inhabergeführten Buchhandlungen mit ähnlichem Kundenkreis zu bündeln und in einem Magazin zu veröffentlichen, das inhaltlich etwas ganz anderes ist als die Verkaufskataloge von der Stange mit den Marketingsprüchen der Verlage, hat uns überzeugt", sagt Jürgen Schleicher.

Für das Magazin schreiben auch bekannte Schriftsteller wie Julie Zeh, Christian Kracht oder Felicitas Hoppe Kolumnen. Das Magazin habe schon einen kleinen Buchhandlungstourismus ausgelöst, so Marina Krauth. "Unsere individuellen Buchbesprechungen regen zum Kauf an", ist auch Jürgen Schleicher überzeugt. "Wir empfehlen Gelesenes, nicht Bestverkauftes, die Spiegel-Bestsellerliste empfinde ich, von Ausnahmen abgesehen, als Lachnummer."

Blick in die Buchhandlung Lehmkuhl in München (Foto: Lehmkuhl)
Zusammentreffen der Künste: Lehmkuhl in MünchenBild: Lehmkuhl

Exklusive Editionen

Schließlich gibt "5plus" auch noch selbst Bücher heraus. Mit der kleinen, aber feinen "Edition 5plus" hat man sich auf eine bibliophil gestaltete Buchreihe spezialisiert, die hochkarätige, erstmals auf Deutsch übersetzte Texte großer Autoren veröffentlicht. Die Exklusiv-Editionen seien ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber den Handelsketten und den anderen Mittbewerbern des Buchhandles vor Ort, beschreibt Schleicher die kleinen Bücher, die schon von vielen Liebhabern gesammelt werden.

Dem Internet verschließen sich die acht Buchhandlungen nicht, haben alle eine eigene Homepage und kommunizieren auch über die sozialen Medien. Doch das Zentrum ihrer Arbeit liegt im Umgang mit der Ware Buch und mit dem, was drin steht. "Auf den Inhalt kommt es an, die Auswahl macht es", beschreibt Schleicher das Credo. "Wir wollen alles, was wir zum Lesen brauchen und uns wünschen auch unseren Kunden anbieten", bringt es Rotraut Schöberl von der Buchhandlung Leporello in Wien auf den Punkt.

Die Buchhandlung Librium in Baden/Schweiz (Foto: Librium)
Buchhandlung Librium in Baden (Schweiz)Bild: Librium

Tradition und Zukunft

So beteiligen sich die acht Buchhändler der Initiative "5plus" auch nicht am branchengängigen Pessimismus. "Was wir nicht teilen, sind die Untergangsszenarien, die uns seit Jahren in der Branchenpresse und in den Feuilletons ausgemalt werden", so Michael Lemling. "Wir glauben, dass wir an unserem Standort, in unserem Stadtviertel mit unserem traditionellen Konzept auch in den nächsten Jahren erfolgreich sein werden." Die Acht von "5plus" sind die Tante Emma-Buchhändler der Zukunft.