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Zweifel an Tamiflu

Gudrun Heise11. April 2014

Im Volksmund heißt es: "Eine Grippe dauert mit Doktor drei Wochen, ohne Doktor 21 Tage." Laut einer gerade veröffentlichten Analyse könnte das auch auf das Grippemittel Tamiflu zutreffen. Wirkt es oder wirkt es nicht?

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Tamiflu Medikament (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Adrees Latif

Das Grippemittel Tamiflu hilft bei einer Grippe so gut wie gar nicht. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des Forschungsnetzwerkes Cochrane Review. Sie haben verschiedene Studien zu dem Medikament ausgewertet und sind unter anderem zu dem Schluss gekommen, dass Tamiflu kaum Wirkung zeigt. Professor Gerd Antes, Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums (DZC), erläutert: "Man sieht sich jede einzelne Studie ganz genau an, zieht die Daten, die man braucht raus und fasst das dann zusammen." So habe man herausgefunden, dass Grippesymptome durch das Medikament weniger effizient reduziert worden seien, als man vorher geglaubt hatte. Zudem habe es Nebenwirkungen gegeben, "unter anderem neurologische Beeinträchtigungen, Übelkeit und Erbrechen."

Die Entstehung der Analyse

Hergestellt wird Tamiflu vom Schweizer Pharma-Unternehmen Roche. Der Konzern kritisierte die Bewertung von Cochrane Review: Sie habe sich nur auf eine Auswahl von Studien gestützt. Dagegen verwehrt sich Antes: "Es gibt Auswahlkriterien, die dazu geführt haben, dass nicht alle 77 Tamiflu-Studien in die Analyse eingegangen sind. Die sagten zur Wirksamkeit und zum Schadenspotential nicht viel aus. Deswegen sind sie nicht berücksichtigt worden."

Cochrane wertet vorhandene Studien aus, mit dem Ziel, wissenschaftliche Grundlagen zu verbessern. Das soll zu besseren Entscheidungen im Gesundheitssystem führen. "Es geht darum alles, was dazu an Studien vorhanden ist, so zu erfassen, dass es einen offensichtlichen Nutzen hat." Alle Daten werden online in der Datenbank Cochrane Library veröffentlicht.

Ein Grippevirus (Foto: Novartis Vaccines)
Impfungen sind das wirksamste Mittel gegen GrippevirenBild: Novartis Vaccines

Mehr Nutzen als Schaden?

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hatte eine zentrale Zulassung für Tamiflu erteilt. Nach der Veröffentlichung der 550 Seiten umfassenden Bewertung des Forschungsnetzwerkes Cochrane Review ließ die EMA verkünden: "Die Vorteile von Tamiflu überwiegen im Vergleich zu den Risiken. Tamiflu werde seit mehr als zehn Jahren eingesetzt. Wie für alle Arzneimittel werden sämtliche neuen, verfügbaren Daten von der EMA berücksichtigt und entsprechende Maßnahmen ergriffen", so die Agentur weiter.

Ruth Stricker ist Wissenschaftlerin am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, und beschäftigt sich mit Influenza. "Ich denke, dass die Fachwelt von dem Ergebnis nicht ganz so überrascht ist." Es sei lange bekannt, dass es nur sehr enge Fenster gebe, in denen Tamiflu überhaupt wirke. In diesem Fenster könnten die Symptome noch gar nicht auftreten. "Wenn jemand eine Grippe hat, geht er zum Arzt und der rät: 'Legen Sie sich zwei Wochen ins Bett.'" Es sei natürlich gut, wenn es ein Medikament gebe, das nachgewiesenermaßen gegen das Virus wirke. Schade sei nur, dass es keinen eindeutigen Zeitpunkt gebe, an dem man das Medikament verabreichen sollte. Für gefährlich hält die Wissenschaftlerin Tamiflu nicht. "Die Wirkung ist so gering, dass man keinen großen Unterschied merkt, wenn man Tamiflu nimmt oder nicht."

Tamiflu auf Vorrat

Nachdem 2003 das Vogelgrippe-Virus entdeckt worden war, entwickelte sich das Grippemedikament zum Verkaufsschlager. Einige Länder tätigten regelrechte Hamsterkäufe. Allein in den USA wurde Tamiflu für über 1,3 Milliarden US-Dollar eingekauft. Die Schätzungen für Deutschland belaufen sich auf etwa 500 Million Euro. Tamiflu bescherte damit der Schweizer Herstellerfirma Roche einen großen Geldsegen.