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Talente an die Uni holen

Andrea Lueg28. April 2014

Wer aus einer Familie kommt, in der es bisher keine Akademiker gibt, der tut sich oft schwer auf dem Weg an die Hochschule. Talentscout Suat Yilmaz hilft ihnen, sich in dieser fremden Welt zurechtzufinden.

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Suat Yilmaz mit zwei Schülern Foto: Westfälische Hochschule
Bild: Westfälische Hochschule

Mittwochmorgen in einem Raum des Kuniberg-Berufskollegs in Recklinghausen, Suat Yilmaz hat Sprechstunde. Neun Schüler stehen auf der Liste, denen die Schule empfohlen hat, sich mal mit dem Talentförderer zu unterhalten. Klara steht kurz vor dem Abi, aber was kommt danach?

Suat Yilmaz ist an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen als Talentscout angestellt. Jede Woche hält er in zehn Partnerschulen der Fachhochschule Sprechstunden ab. Es kommen Schüler, die gute Noten haben und von denen die Lehrer denken, sie könnten ein Studium schaffen.

"Wir wollen die Guten und Erfolgreichen – aber nicht nur für uns"

"Wir wollen so eine Art Rampe sein, für die, die vielleicht nicht von sich aus ein Studium ins Auge gefasst haben", erklärt Yilmaz. Er will Ansprechpartner sein für Schüler, die die Hochschulwelt nicht kennen und sich deshalb Sorgen machen, dass sie dort nicht zurechtkommen.

Die Hochschule in der ausgesprochen armen Kommune Gelsenkirchen ist die einzige in Deutschland, die eine feste Stelle für einen Talentscout eingerichtet hat. Sie will so mit den vielen anderen Hochschulen besser um die besten Köpfe konkurrieren können und ein Alleinstellungsmerkmal haben.

Woanders sind es oft nur kurzfristige Projekte, die helfen sollen, Migranten oder Kinder aus bildungsfernen Familien an die Uni zu bekommen. Oder es sind ehrenamtliche Projekte aus den Reihen derjenigen, die den Sprung in die Akademikerwelt geschafft haben - wie zum Beispiel "arbeiterkind.de". Einen Vollzeit-Talentscout gibt es nur in Gestalt von Suat Yilmaz.

Mann hält Abizeugnis in der Hand Foto: Fotolia/ Eva Kahlmann
Nach dem Abi an die Hochschule: nicht für jeden selbstverständlichBild: Fotolia/Eva Kahlmann

Stolz auf die Kids

"Offiziell bin ich der Talentscout, Talentförderer der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, und wir haben natürlich ein Rieseninteresse, die Erfolgreichen, die Guten zu uns zu holen." Doch Yilmaz bleibt realistisch: natürlich kämen nicht alle Talente an die kleine Hochschule, die sehr technisch ausgerichtet sei. Wer Medizin studieren wolle, Lehramt oder Design, der gehe natürlich woanders hin und das nehme die Westfälische Hochschule in Kauf. Letztendlich gehe es auch darum, für die strukturschwache Region Ruhrgebiet den Bildungsauftrag zu erfüllen, meint Yilmaz. Und: "Ich bin trotzdem stolz auf meine Kids, wenn die dann in Aachen oder in Essen studieren oder in Rotterdam oder wo auch immer."

Aus einer Akademikerfamilie kommt keiner der Schüler in der Sprechstunde an diesem Morgen, drei sind Migrantenkinder. Suat Yilmaz sucht keine Überflieger oder Hochbegabten. Wer zu ihm geschickt wird, ist vor allem durch gute Noten aufgefallen.

Suat Yilmaz sitzt im Hörsaal Foto: Westfälische Hochschule
Einziger Talentscout Deutschlands: Suat YilmazBild: Westfälische Hochschule

Eine Reise über den Ozean

Was kann man eigentlich alles studieren und wo? Wie bekommt man das Finanzielle geregelt? Was brauche ich alles, um zu studieren, und wie schreibt man sich eigentlich ein? Im Umfeld der Jugendlichen gibt es niemanden, der sowas weiß. Daneben hat Yilmaz vor allem ein großes Netzwerk, das er beständig pflegen und ausbauen muss. Kontakte zu Stiftungen zum Beispiel, die seinen Schützlingen finanziell unter die Arme greifen können.

"Das Finanzielle ist ein Riesenthema", so der Talentscout. Aber auch die Komplexität des Überganges mache Probleme. Für junge Menschen sei der Übergang von der Schule in ein neues Leben ein Riesenschritt. Abstrakt, voller Ängste, Sorgen auch Hoffnungen – "eine Reise über den Ozean", sagt Yilmaz.

Auch den Eltern muss man Mut machen

Der Job des Talentscouts besteht nicht nur aus der Beratung. Er hält Vorträge, lädt die Schüler an die Hochschule ein und vermittelt Gespräche mit Rollenmodellen. "Wenn jemand zum Beispiel Jura studieren will, dann arrangiere ich ein Treffen mit einem Rechtsanwalt oder einer Richterin."

Im Notfall spricht Yilmaz auch schon mal mit den Eltern, denn nicht alle sind von einem Studium begeistert. Manche haben schlicht Angst, dass ihr Kind den langen Weg nicht schafft. Dann bittet der Talentförderer die Eltern, ihre Kinder zu unterstützen, damit sie Erfolg haben. Aber auch ein Scheitern ist für Yilmaz kein Drama. Dann gelte es lediglich, einen neuen Weg zu finden. Auch dabei will er seine Schützlinge dann unterstützen.

Studierende im Hörsaal der FH Gelsenkirchen Foto: Westfälische Hochschule
Für viele eine fremde Welt: Fachhochschule und UniversitätBild: Westfälische Hochschule

Seit zwei Jahren macht Yilmaz den Job, hunderte Schüler hat er inzwischen beraten, viele auch über eine längere Zeit. Und viele haben den Weg ins Studium geschafft. Auch am Kuniberg-Kolleg, erzählt Lehrerin Jutta von Lukoczik stolz: "Ich könnte Ihnen sicherlich fünf Namen nennen von Schülern, die das Studium relativ erfolgreich absolvieren werden."

Noch viel mehr könnten es schaffen, wenn es mehr Unterstützung gäbe, meint Yilmaz. Er ist Optimist und glaubt ganz fest daran, dass Politik und Administration die Bedeutung des Themas verstanden haben: "Und es hoffentlich bald nicht nur einen Talentscout gibt im Land, sondern ganz viele."