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Tahir ul-Qadri: Jurist, Prediger, Politiker

Esther Felden16. Januar 2013

Ein grauhaariger Mann mit Brille spricht zu den Massen in Islamabad - und stürzt mit seinen Worten die pakistanische Regierung noch tiefer in die Krise. Aber wer genau ist der Kleriker?

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Tahir ul Qadri, a prominent religious scholar, talks to supporters during a sit-in protest in Islamabad, Pakistan, 15 January 2013. Thousands of supporters of Tahir ul Qadri, who started his march from the eastern city of Lahore on 13 January, reached Islamabad on 15 January, to demand political reforms. Tahir ul Qadri, wants authorities to implement election reforms ahead of a parliamentary vote which should be held within 60 days after the term of the current assembly expires in March 2013. EPA/T. MUGHAL pixel Schlagworte
Tahir ul QadriBild: picture-alliance/dpa

Bis vor wenigen Wochen lebte Tahir ul-Qadri in Kanada. Erst im Dezember kehrte der Religionsgelehrte in seine pakistanische Heimat zurück und meldete sich umgehend lautstark auf der politischen Bühne zu Wort. Zwei Tage nach seiner Einreise marschierte der populäre und gleichzeitig umstrittene Geistliche gemeinsam mit 100.000 Unterstützern durch die Straßen von Lahore, wetterte gegen die "korrupte und inkompetente Regierung" unter Ministerpräsident Raja Pervez Ashraf und forderte gravierende politische Veränderungen sowie ein Ende des Terrors in Pakistan.

Wenige Wochen später die nächste öffentlichkeitswirksame Aktion: Am 13. Januar zog Qadri in Begleitung Zehntausender Anhänger von Lahore nach Islamabad. Am Ziel des "Langen Marsches" kam es dann in dieser Woche zum bisherigen Höhepunkt seiner politisch-religiösen Mission. Am Montag (14.01.2013) stellte er der Regierung ein Ultimatum bis zum kommenden Morgen, um das Parlament aufzulösen. Was Pakistan brauche, um sich verändern zu können, seien eine Wahlrechtsreform, eine Übergangsregierung und Neuwahlen. Die pakistanische Regierung reagierte nicht auf die Forderungen des Predigers und ließ die Frist verstreichen. Tahir ul-Qadri seinerseits harrt ebenfalls aus, spricht seitdem in Islamabad immer wieder zu seinen Unterstützern und ruft sie zum Durchhalten auf.

Totale auf Teilnehmer des "Langen Marsches" am Dienstag (15.01.) in Islamabad
Teilnehmer des "Langen Marsches" von Lahore nach Islamabad am Dienstag (15.01.) in IslamabadBild: DW/ S. Raheem

Jurist mit starkem Glauben

Obwohl Tahir ul-Qadri zuletzt fast zehn Jahre lang in Kanada gelebt hatte und auch über die kanadische Staatsbürgerschaft verfügt, ist der 61-jährige grauhaarige Prediger mit dem ernsten Blick und Brille in seiner Heimat kein Unbekannter. Geboren wurde er im am 19. Februar 1951 in der pakistanischen Provinz Punjab. Nach der Schule studierte er Rechtswissenschaften an der University of Punjab in Lahore und avancierte schnell zu einem führenden islamischen Juristen und Anhänger der islamischen Erweckungsbewegung. Er wurde zum Rechtsberater für islamisches Recht am Obersten Gerichtshof in Islamabad und zum Scharia-Gericht berufen. Der Rechtsgelehrte arbeitete außerdem als Berater für Islamfragen beim pakistanischen Bildungsministerium.

Teilnehmer des Langen Marsches mit Transparenten
"Dank der Regierung haben wir weder Strom noch Wasser" - klagen diese DemonstrantenBild: DW/ S. Raheem

Im Jahr 1981 gründete er die religiöse Bewegung "Minhaj ul-Quran" (Der Weg des Koran). Ihr Ziel ist es, mit Hilfe einer koranbasierten Gesellschaftsordnung den "wahren Islam" zu verkünden. Die sunnitische Organisation ist heute nach eigenen Angaben in mehr als 90 Ländern der Welt - darunter auch Deutschland - vertreten und unterhält über 500 Religionsschulen. Seinen Anhängern gilt Qadri als Vertreter eines liberalen und friedlichen Islams. Diese Meinung teilt auch Christian Wagner, Pakistan-Experte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. "Er steht nicht in einer Reihe mit extremistischen religiösen Parteien in Pakistan, er hat sich in seinen Schriften auch sehr viel mit anderen Religionen beschäftigt", so Wagner gegenüber der Deutschen Welle. "Seine Forderungen stehen eher für einen gemäßigten Islam, wie wir ihn in Pakistan schon haben."

Besondere Bekanntheit erlangte Tahir ul-Quadri durch eine Aktion aus dem kanadischen Exil: Im Jahr 2010 verhängte er eine Fatwa gegen Selbstmordattentäter. Diese seien Ungläubige und Feinde des wahren Islam.

Kritiker sehen in dem Prediger einen Handlanger der Armee. Die pakistanische Regierung wirft ihm aktuell vor, durch seine Aktionen die im Frühsommer geplanten Wahlen verzögern zu wollen.

Auch politische Ambitionen

Die jüngsten publikumswirksamen Aktionen in Lahore und Islamabad sind nicht die ersten Auftritte Tahir ul-Qadris auf der politischen Bühne Pakistans. Bereits 1989 gründete er die Partei "Volksbewegung Pakistans", mit der er große Ziele hatte. Im Jahr 2002 wollte er sogar Ministerpräsident werden. Doch dieser Plan misslang gründlich, berichtet der pakistanische Publizist Mohsan Raza Khan. "Seine Partei hat nur einen einzigen Sitz im Parlament errungen, und der spätere Präsident Pervez Musharraf hat ihn noch nicht einmal für einen Ministerposten in Erwägung gezogen." Als Konsequenz aus diesem Misserfolg gab Qadri sein Mandat zurück und beschloss, nach Kanada auszuwandern.

Seine Rückkehr in die Heimat und vor allem sein Auftritt sind für den pakistanischen Publizisten eine Überraschung. "Nun versammelt er Tausende von Menschen, protestiert gegen die Regierung und fordert sogenannte Wahlreformen", so Raza Khan. Ihn verwundert, dass nach Qadris Vorstellungen erst die Parlamente des Landes aufgelöst und dann Reformen durchgeführt werden sollen. "Jetzt haben wir einen Demonstranten in Islamabad, der aufgrund seiner doppelten Staatsangehörigkeit nicht mal an Wahlen teilnehmen darf", so Raza Khan.

Premierminister Raja Pervez Ashraf
Am Dienstag wurde die Festnahme von Premierminister Raja Pervez Ashraf angeordnetBild: AP

Wenig Aussichten auf Erfolg

Zwar beherrscht Tahir ul-Qadri derzeit die Schlagzeilen in Pakistan. Doch wie lange? Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik jedenfalls bezweifelt, dass Tahir ul-Qadri zu einer zentralen politischen Figur im Land aufsteigen kann. "Er hat nicht die Unterstützung der großen religiösen Parteien, deshalb sehe ich nicht, dass er bei den Wahlen eine entscheidende Rolle spielen wird." Andererseits müsse man aber anerkennen, dass er die enorme Unzufriedenheit kanalisiere, "die im Lande angesichts der Wirtschaftskrise und der Probleme bei der Strom- und Benzinversorgung herrscht".