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Türkische Schulbücher auf dem Prüfstand

Janine Albrecht1. Juli 2013

Fördern sie nur die Heimatliebe oder gefährlichen Nationalstolz? Türkische Schulbücher für den muttersprachlichen Unterricht von Einwandererkindern stehen in der Kritik. Bildungsexperten fordern ein Verbot.

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Die Lehrerin Hava Kolbasi steht an der Katharina-Henoth Gesamtschule in Köln in einer 11. Klasse an der Tafel (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Eid auf das türkische Heimatland - in den Schulen der Türkei ist er selbstverständlich. In deutschen Klassenzimmern aber sorgt er derzeit für Aufregung. "Mein Ziel ist es, meine Jüngeren zu schützen, meine Älteren zu achten, meine Heimat, meine Nation mehr zu lieben als mich selbst." Genau das können Schüler aus türkischen Einwandererfamilien derzeit im muttersprachlichen Unterricht lesen. Und zwar dort, wo Türkischlehrer die Bände der türkischen Schulbuchreihe "Türkce ve Türk Kültürü" (übersetzt: "Türkisch und türkische Kultur") einsetzen.

Die Reihe hat das Ministerium für Nationale Erziehung der Republik Türkei in Ankara für den muttersprachlichen Unterricht im Ausland herausgegeben. Die türkischen Konsulate haben die Bücher kostenlos an Türkischlehrer in Deutschland verschickt. Mit der Begründung, es habe bislang kein einheitliches Buch für den Türkischunterricht gegeben.

Schulbücher unter der Lupe

Für Hassan Taschkale ist das nur ein Vorwand. "Es gibt ausreichend und sehr gutes Lehrmaterial, daher habe ich diese Bücher auch nicht benutzt", erklärt der Kölner Pädagoge, der bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Nordrhein-Westfalen für Angelegenheiten multikultureller Politik zuständig ist. "Offensichtlich versucht die türkische Regierung, ihre Schulrituale auch in Deutschland einzuführen", vermutet der Türkischlehrer.

Buchcover Türkçe ve türk Kültürü
Das inkriminierte Lehrbuch

Zum Einsatz sind die Schulbücher bisher besonders an nordrhein-westfälischen Schulen gekommen. Dort darf jeder Lehrer zu den vom Lehrplan vorgegebenen Büchern auch zusätzliches Unterrichtsmaterial verwenden. Einige Schulen haben Alarm geschlagen. Die Gewerkschaft drängt nun auf ein Verbot der Bücher, die sie für gefährlich hält, weil sie die Integration der Kinder aus Einwanderfamilien gefährden könne. Das Schulministerium des größten deutschen Bundeslandes prüft die Bücher deshalb nun genauer.

Ein Recht auf die türkische Kultur und Sprache?

Die türkische Botschaft wollte den Wirbel um die Schulbücher gegenüber der Deutschen Welle nicht kommentieren. Sie verwies stattdessen auf die deutsche Besonderheit, keine doppelten Staatsbürgerschaften zu erlauben. "Diejenigen, die sich zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr für die türkische Staatsangehörigkeit entscheiden, verlieren bedauerlicherweise laut deutschem Recht ihre deutsche Staatsangehörigkeit", so die Botschaft. "Wenn man also berücksichtigt, dass diese jungen Menschen in Zukunft türkische Staatsangehörige sein werden, so ist es ihr natürliches Recht, ihre Kultur und Sprache kennenzulernen."

Kinder melden sich im Unterricht im staatlich anerkannten Privatgymnasium 'Dialog' in Köln (Foto: dpa)
Im muttersprachlichen Unterricht sollen die türkischstämmigen Kinder ihre Sprache und Kultur kennenlernenBild: picture-alliance/dpa

Und dazu gehört offenbar auch die Vermittlung eines bestimmten Geschichtsbildes. Im dritten Band des Schulbuches wird zum Beispiel behauptet, die Armenier hätten sich 1915 auf die Seite der Russen und Engländer gestellt und versucht, das Osmanische Reich zu schwächen. Dem Text zufolge haben die Armenier nach Ende des Ersten Weltkrieges vertraglich auf ihr Wohngebiet verzichtet. Die Vertreibung und Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern wird mit keinem Wort erwähnt.

Vorwurf der Geschichtsfälschung

"Was hier zum Genozid zitiert wird, ist tatsächlich ein Problem", bestätigt Barbara Christophe vom Georg-Eckert-Institut für Schulbuchforschung. Doch es überrascht sie nicht. Denn diese Sicht auf die Geschichte entspricht dem Umgang mit dem Thema in den Schulbüchern der Türkei. "Natürlich ist das eine Repräsentation, mit der man nicht einverstanden sein kann", betont Christophe. Aber sie findet es zumindest positiv, dass der Konflikt mit den Armeniern überhaupt in den Schulbüchern erwähnt wird. Noch in den 1990er Jahren sei er in den Schulmaterialien komplett geleugnet worden, erklärt die Expertin für Erinnerungskultur.

Christophe gibt außerdem zu bedenken, dass der Maßstab, der in Deutschland an Geschichtsbücher für den Unterricht gelegt wird, international nicht vergleichbar ist. Aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit sei man bei der Darstellung geschichtlicher Zusammenhänge besonders vorsichtig. "Hier wird den Schülern immer gleich eine Portion Moral mitverabreicht", so Christophe. Durch die Fragestellung werde meist die moralisch korrekte Antwort im Subtext gleich mitgeliefert. Dadurch müsse sich der Schüler mit dem jeweiligen Thema nicht mehr selber auseinandersetzen. "Dies führt dazu, dass er denkt‚ das hat alles nichts mit mir zu tun", so Christophe.

Barbara Christophe, Leiterin des Querschnittsbereich Erinnerungskultur am Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung (Foto: Georg-Eckert-Institut)
Schulbuch-Expertin Barbara Christophe ist gegen ein VerbotBild: Georg-Eckert-Institut

Positiver bewertet sie dagegen britische Schulbücher. "Dort wird versucht, historische Dilemmata aufzuzeigen und auch ein Verständnis für die handelnden Personen in der damaligen Zeit zu erzeugen." Dieser Umgang mit der eigenen Geschichte könnte nach Ansicht Christophes eher für die türkischen Schulbücher ein Vorbild sein.

Deutsche Schulbücher schließen Migrantenkinder aus

Auch in punkto Integration stellt die Schulbuch-Expertin den meisten deutschen Schulbüchern kein gutes Zeugnis aus. Im Rahmen einer Studie hat sie sich mit der Darstellung von Migranten und Migration in deutschen Schulbüchern befasst. "Dort finden sich Formulierungen, die Kinder mit Migrationshintergrund ausschließen. Sätze wie 'die Muslime sind Menschen, die unser Verständnis brauchen', finden sich heute noch in deutschen Schulbüchern."

Daher plädiert Christophe dafür, in der Diskussion über die umstrittenen türkischen Schulbücher nicht nur anzuklagen, sondern auch sich selbst zu hinterfragen, was hierzulande in der Integration falsch gemacht wurde. Ein Verbot der Bücher ist ihrer Meinung nach das falsche Signal.