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Syrien und die Chancen der Diplomatie

Kersten Knipp13. September 2013

Russen und Amerikaner verhandeln über die internationale Kontrolle der syrischen Chemiewaffen. Die Gewalt in Syrien wird das Treffen kaum beenden können. Langfristig aber bietet es Perspektiven.

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Der russische Außenminister Lawrow (rechts) und sein US-Kollege Kerry in Genf (Foto: Reuters)
John Kerry (links) mit Sergej Lawrow in GenfBild: Reuters

Mit Blick auf Alpen und den See verhandeln Russen und Amerikaner in Genf über die Zukunft der syrischen Chemiewaffen. So jedenfalls will es die Agenda. Tatsächlich aber, vermuten die Gegner Assads, geht es um viel mehr - nämlich um die Zukunft des militärischen Kräfteverhältnisses in Syrien. Und das, fürchten sie, werde sich in der nahen Zukunft immer mehr zu ihren Ungunsten entwickeln. Es droht das ohnehin prekäre politische Gleichgewicht der gesamten Region aus dem Lot zu geraten. Entsprechend groß ist das Misstrauen der Assad-Gegner. Die in Genf angesetzten Verhandlungen, erklärt etwa die "Nationale Koalition der syrischen Revolutionären und oppositionellen Kräfte" in einer Presseerklärung, seien Teil einer politischen Strategie, um Zeit zu gewinnen. "Das wird dem Regime erlauben, in Syrien weiterhin für Tod und Zerstörung zu sorgen und die Länder und Menschen der Region zu bedrohen."

Auch die für ihre guten Verbindung zur saudischen Regierung bekannte Zeitung "Sharq al Awsat" sieht die kommenden Tage mit Skepsis. Für ihren Kommentator Saleh Al-Qalab ist eine wesentliche Entwicklung ohnehin bereits offensichtlich: Der Einfluss der USA in der Region nimmt ab. "Da sich die Vereinigten Staaten nun entschieden haben, diesen Schlag nicht auszuführen, wird ihr Einfluss im Nahen Osten zurückgehen", schreibt Al-Qalab. Das erlaube Iran einen weiterhin aggressiven Auftritt in der Region. Auch sein Atomprogramm werde Iran weiter verfolgen. Die ganze Region, fürchtet der Kommentator, werde in Chaos versinken, Al Kaida und andere Terrorgruppen immer weiteres Terrain gewinnen. "Das werden die Amerikaner bereuen. Aber dann wird es zu spät sein und Reue nichts mehr nützen."

Anti-amerikanische Proteste in Ägypten
Verlust an Einfluss: Proteste gegen Barack Obama in KairoBild: picture-alliance/dpa

Härtere Kämpfe in Syrien nicht auszuschließen

Hält man solche Szenarien für wahrscheinlich, dürften die Genfer Verhandlungen, die sich ja auf die Kontrolle der syrischen Chemiewaffen beschränken, in gewisser Weise von vornherein vergeblich sein. Denn diese Waffen dürfte Assad angesichts der internationalen Aufmerksamkeit ohnehin nicht mehr einsetzen. Täte er es, ließe sich ein Militärschlag kaum mehr aufhalten. So verschafft ihm die Genfer Konferenz zunächst Zeit, den Kampf gegen die Aufständischen weiter fortzuführen. Die Verhandlungen, so der Nahost-Analyst David Butter vom britischen Think-Tank "Chatham House", dürften die Gewalt in Syrien kaum stoppen. Er gehe davon aus, so Butter im Gespräch mit der DW, dass das Assad-Regime keine ernsthaften Sanktionen wegen des Chemiewaffeneinsatzes zu befürchten hätte. "Darum könnten wir in Zukunft eine noch härtere Auseinandersetzung in Syrien sehen."

Fehlende Legitimität einer Intervention

Tatsächlich dokumentiere die bisherige Auseinandersetzung eine Patt-Situation, erklärt der Politologe Michael Zürn vom Wissenschaftszentrum Berlin. Diese ergebe sich neben unterschiedlichen Interessen der beteiligten Konfliktparteien vor allem aus dem Umstand, dass es einer Intervention in Syrien derzeit an internationaler Legitimität fehle. Interventionen müssten sowohl durch den UN-Sicherheitsrat als auch durch die Parlamente der beteiligten Staaten sanktioniert sein. "Und das ist ein grundsätzliches Problem, das durch die Vetomächte der fünf permanenten Mitglieder des Weltsicherheitsrates noch verschärft wird." Tatsächlich habe diese Konstellation eine Intervention in Syrien verhindert. "So führen die institutionellen Regeln dazu, dass in bestimmten Situationen, in denen der gesunde Menschenverstand sagt, dass hier eigentlich eingegriffen werden müsste, ein Eingreifen unmöglich ist."

Dennoch könnten die Genfer Verhandlungen zumindest langfristig Einfluss auf das Kriegsgeschehen in Syrien nehmen, vermutet David Butter. Denn beide Parteien, Russland ebenso wie die USA, hätten ein gemeinsames Interesse – nämlich die Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu bringen. "Denn sollte das Assad-Regime stürzen, ist sehr ungewiss, in wessen Hände diese Waffen gelangen könnten. Sie könnten ja auch in den Besitz militanter Gruppen fallen." Darum wollten beide Seiten diese Waffen aus dem Verkehr ziehen. Das wiederum bedeute, dass die russische Verhandlungsinitiative nicht ausschließlich darauf abziele, das Assad-Regime vor einem Angriff der Amerikaner zu bewahren. "Russland hat durchaus Interesse daran, die Chemiewaffen in Sicherheit zu wissen. Darum wird Russland den Entsorgungsprozess unterstützen", so Butter.

Syrischer Oppositionskämpfer mit Gasmaske in Aleppo (Foto: AFP)
Kämper mit Gasmaske in AleppoBild: Pierre Torres/AFP/GettyImages

Versöhnliche Töne aus Russland

Russland erklärte sich zur Zusammenarbeit bereit. In einem Beitrag in der New York Times erläuterte der russische Präsident Wladimir Putin die Position seines Landes. Eine Intervention, schreibt er, würde zu einer Ausweitung des Konfliktes weit über die syrischen Grenzen führen. Zudem sei eine nicht durch den UN-Sicherheitsrat legitimierte Intervention mit dem Risiko einer Aufrüstung schwächerer Staaten verbunden. Deren Reaktion liege nahe: "Wenn man sich auf internationales Recht nicht verlassen kann, muss man andere Wege finden, seine Sicherheit zu garantieren", schreibt Putin.

Im politischen Washington hatte der Artikel für Verstimmung gesorgt. "Im Gegensatz zu Russland stehen die USA für demokratische Werte und Menschenrechte im eigenen Land und rund um die Welt ein", erklärte etwa US-Präsidialamtssprecher Jay Carney in Reaktion auf Putins Text.

Allerdings könne man den Artikel auch anders lesen, sagt Michael Zürn. Der Artikel erwecke den Eindruck, dass in Syrien keine grundsätzlich konträren Interessen auf dem Spiel stünden. Zwar gebe es unterschiedliche strategische Interessen. Auch wolle Russland einen Verbündeten nicht fallen lassen. "Aber das ist nicht das Entscheidende. Ich habe den Eindruck, dass der russische Präsident die Situation nutzt, um nicht nur Syrien-, sondern auch Weltordnungspolitik zu betreiben."