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Syrien, die Chemiewaffen und die UN

Kersten Knipp8. Oktober 2013

UN-Inspekteure haben in Syrien begonnen, die Chemiewaffen des Assad-Regimes zu zerstören. Doch die Vernichtung der C-Waffen ist nur ein Aspekt des Syrien-Konflikts. Die zentralen Fragen und Antworten im Überblick.

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UN-Inspektoren reisen vom Libanon nach Syrien (Foto: REUTERS)
Bild: Reuters

Die Zerstörung der syrischen Chemiewaffen hat begonnen. Wie geht es weiter?

Die Kontrolle und Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ist erfolgreich angelaufen. Seit dem 1. Oktober befinden sich die Inspektoren der UN in Syrien. Am Wochenende haben sie begonnen, Raketensprengköpfe, Bomben und Anlagen zu zerstören. US-Außenminister John Kerry hat die ersten Tage als "guten Auftakt" bezeichnet und dem Assad-Regime für seine Zusammenarbeit Anerkennung ausgesprochen. Unsicher ist allerdings noch, welchen technischen Aufwand das Unternehmen erfordert.

Der Chemiewaffenexperte Ralf Trapp nimmt an, dass sich die Zerstörung der Waffen und Produktionsstätten mit kleineren oder mobilen Chemiewaffen-Vernichtungsanlagen kaum bewältigen lassen wird: "Dafür muss man eigene Anlagen bauen. Das ist keine Aufgabe, die man in wenigen Monaten wird erledigen können." Voraussetzung ist allerdings, dass die Inspekteure ungestört und sicher arbeiten können. Diese Bedingung scheint bislang erfüllt. Hält das Assad-Regime seine Zusagen zur uneingeschränkten Zusammenarbeit ein und verzichtet darauf, einen Teil des Arsenals vor den Inspekteuren zu verstecken, dürfte sich zumindest der Großteil der Waffen bis Mitte 2014 vernichten lassen.

Hat die Vernichtung der Waffen Einfluss auf das laufende Kampfgeschehen?

Nein. Die Kämpfe in Syrien gehen mit unverminderter Heftigkeit weiter. Dieser Umstand wird sowohl von der Opposition als auch von einigen Experten kritisiert. Sadiq al-Mousllie, Vertreter des Syrischen Nationalrats in Deutschland, begrüßt zwar die Zerstörung der Chemiewaffen, hält sie aber für ebenso unzureichend wie die Resolution des UN-Sicherheitsrates: "Denn leider lindert sie nicht das Leid der syrischen Bevölkerung. Das Töten geht nach wie vor weiter. Hunderte von Menschen sterben." Ähnlich sieht es auch der Politikwissenschaftler Nadim Shehadi vom unabhängigen Forschungsinstitut Chatham House in London: "Das Regime hat so von der Internationalen Gemeinschaft einen Freibrief erhalten, die Revolte zu unterdrücken."

Opfer des Chemiewaffenangriffs von Ende August Massengrab in Syrien (Foto: Picture Alliance)
Opfer des Chemiewaffenangriffs vom 21. AugustBild: picture alliance/ZUMA Press

Dagegen erwartet der Brasilianer Paulo Sérgio Pinheiro, Vorsitzender der UN-Untersuchungskommission für Syrien, von dem Abkommen auch positive Auswirkungen. Zwar werde in Syrien weiter gekämpft, aber: "Wir erwarten, dass diese Vereinbarung ein 'Sprungbrett' für Verhandlungen sein wird; der Beginn von politischen Verhandlungen, um den Krieg zu beenden. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Aber die heutige Situation ist viel besser als noch vor einigen Wochen."

Welche Chancen haben diplomatische Lösungen zur Beendigung der Gewalt?

Dazu gibt es verschiedene Einschätzungen. Die Hoffnungen richten sich jetzt auf die für November geplante Konferenz "Genf 2", auf die Russland und die USA hinarbeiten. Ob sie erfolgreich sein wird, ist fraglich. Teile der Opposition gehen mit hohen Forderungen in Verhandlungen. Für den Syrischen Nationalrat gehe es vor allem um zweierlei, sagt Sadiq al-Mousllie: "Erstens, dass Assad abgesetzt wird. Zweitens, dass die Geheimdienste und die Armee so reformiert werden, dass sie fortan der Bevölkerung dienen und nicht umgekehrt." Nadim Shehadi von Chatham House stellt sogar den Sinn der Konferenz generell infrage. Genf 2 werde "Zeitverschwendung" sein, erklärt er. "Der einzige Ausweg für Syrien besteht in einer Übergangsperiode, in der Assad zurücktritt und es zu einem Regierungswechsel in Syrien kommt - weg von der Baath-Partei und den Geheimdiensten. Das Regime hat seine Glaubwürdigkeit und Legitimität verloren."

Der russische Außenminister Sergej Lawrow und sein US-Kollege John Kerry (Foto: REUTERS)
Russlands Außenminister Lawrow (li.) und sein US-Amtskollege KerryBild: Reuters

Baschar al-Assad selbst äußert sich in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" auf die Frage nach seiner Verhandlungsbereitschaft so: "Mit den Militanten? Nein. Nach meiner Definition trägt eine politische Opposition keine Waffen. Wenn einer die Waffen niederlegt und in den Alltag zurückkehren will - gerne." Eine Lösung ist unter diesen Umständen zwar denkbar, doch wird es erhebliche diplomatische Anstrengungen kosten, sie zu erreichen. "Es gibt eine Chance", sagt der Politologe David Butter von Chatham House, "aber die Positionen der Gegner sind doch sehr weit auseinander."

Wie ist die aktuelle militärische Lage? Welche Gruppe setzt sich durch?

Auch darüber gibt es widersprüchliche Auskünfte. Die bewaffnete Opposition erziele zwar in manchen Regionen sehr gute Fortschritte, sagt Sadiq al-Mousllie vom Syrischen Nationalrat. Doch das Regime habe nach wie vor die Lufthoheit. "Außerdem verfügt es über Raketen, wodurch es der Opposition überlegen ist." Dennoch behalten die Rebellen einzelne Teile des Landes weiter unter ihrer Kontrolle. Am stärksten sind sie in der Provinz Itlib im Nordwesten des Landes. Zudem beherrschen sie die Hälfte des Stadtgebiets von Aleppo, wie auch der angrenzenden Landstriche im Norden und in Richtung Osten zur türkischen Grenze. Ebenso stehen Teile des Eufrat-Tals rund um Dara'a unter Kontrolle der Aufständischen. Außerdem dominieren sie die ländlichen Gebieten um Masa und Homs.

Das syrische Militär fliegt zwar regelmäßig Angriffe gegen Rebellenstützpunkte, kann aber keine entscheidenden Erfolge verbuchen. Der Oberbefehlshaber der oppositionellen Freien Syrischen Armee, Major Salim Idris, hat sich laut einer Presseerklärung der Syrischen Opposition für die Fortsetzung der Kämpfe ausgesprochen: "Eine Voraussetzung für eine politische Lösung in Syrien ist es, die Position der Freien Syrischen Armee zu verbessern und sie zu stärken." Die Folgen der Kämpfe für das Land sind fatal, erklärt Politikwissenschaftler David Butter: "Der Konflikt war so zerstörerisch, dass es letztlich überhaupt keine Gewinner geben wird. Es wird Jahre brauchen, um aus Syrien wieder einen funktionstüchtigen Staat zu machen, falls das überhaupt möglich ist."

Wie stark ist Assad? Wie viel Unterstützung hat er in Syrien?

Seit dem Frühling hat Assads Militär zahlreiche schon an die Rebellen verloren geglaubte Städte und Regionen zurück erobert. Der spektakulärste Fall war die zentral gelegene und darum strategisch bedeutsame Ortschaft Kusair Anfang Juni 2013. Im Kampf um das Städtchen haben Milizen der mit Assad verbündeten libanesischen Hisbollah eine zentrale Rolle gespielt. Längst ist die Hisbollah eine starke Stütze für das Assad-Regime. Auch Iran unterstützt Assad durch Truppen, Ausbilder und Waffen.

Russland liefert ebenfalls Rüstungsgüter nach Damaskus - nach eigener Aussage aber nur solche, über die bereits vor Ausbruch der Proteste Lieferverträge geschlossen wurden. Experten sprechen aber auch davon, dass Russland das Assad-Regime zusätzlich durch Geld und Treibstoff unterstütze. Dank seiner Verbündeten ist Assads Armee weiterhin sehr stark. Weil es zudem über eine starke Luftwaffe verfügt, drängt es die Aufständischen immer wieder zurück.

Wie stark sind radikale Islamisten in den Reihen der Opposition?

Darüber gibt es keine gesicherten Angaben. Seit über einem Jahr warnen westliche und arabische Geheimdienste vor einer immer massiveren islamistischen Präsenz in Syrien. Insbesondere westliche Regierungen nehmen das zum Anlass, mit Waffenlieferungen an die Opposition sehr zurückhaltend zu sein. Sie befürchten, Waffen könnten in die Hände von Extremisten fallen und dann gegen westliche Bürger eingesetzt werden.

Ein Kämpfer der bewaffneten Opposition (Foto: AFP/Getty Images)
Schwer bewaffnet: ein Kämpfer der OppositionBild: Getty Images

Die syrische Opposition versichert hingegen, die Stärke der Islamisten werde im Westen überschätzt. "Die Fundamentalisten stellen in der Opposition nicht die Mehrheit", meint etwa Hisham Marwah, ein Sprecher der oppositionellen syrischen Nationalkoalition, gegenüber der DW. "Die meisten Mitglieder der Opposition sind keine Fundamentalisten. Sie respektieren das Gesetz. Und sie würden keine andere Regierung als eine ordentlich gewählte respektieren." Vorerst sind die Oppositionellen aber dringend auf Waffenlieferungen sympathisierender Staaten angewiesen - was sie zu taktischen Allianzen zwingt. "Die syrischen Rebellen folgen dem Geld", schreibt darum das renommierte "Institute for the Study of War" in Washington. "Hinter der derzeitigen Neuausrichtung scheinen teilweise einflussreiche Unterstützergruppen in der Golfregion zu stecken. Vor allem Saudi-Arabien war in den letzten Wochen hinter den Kulissen aktiv."