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Syrern droht Hungersnot

Kersten Knipp2. Dezember 2014

Das Welternährungsprogramm schlägt Alarm: Die Hilfsgelder für syrische Flüchtlinge reichen nur noch bis Ende Dezember. Das ist ein humanitäres Desaster - und eine sicherheitspolitische Herausforderung.

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Syrische Flüchtlinge aus Kobane in einem Flüchtlingslager in der Türkei, 28.10.2014 (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images/K. Cucel

In den dreieinhalb Jahren seit Kriegsbeginn verlor die Bevölkerung des Landes erst die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit und dann deren Zuwendung. Am Dienstag verkündete das Welternährungsprogramm der Vereinten Nation (World Food Programme, WFP), dass es die Hilfe für syrische Flüchtlinge einstellen muss. Der Organisation fehlen 64 Millionen US-Dollar. Soviel bräuchte sie, um die Menschen wenigstens im Dezember ernähren zu können. Doch das Geld hat sie nicht: Mehrere Geberstaaten hatten zwar Zusagen gemacht, diese bislang aber noch nicht erfüllt.

Bislang hatte das WFP knapp zwei der insgesamt dreieinhalb Millionen Flüchtlinge in den syrischen Nachbarstaaten unterstützen können. Fortan, erklärte WFP-Sprecherin Abeer Etefa, könne das Programm nur noch die 200.000 "meistgefährdeten" Flüchtlinge versorgen. Vielen Syrern droht damit eine Hungersnot. "Unsere Lebensmittel reichen nur noch bis Januar", erklärt Etefa.

Zynische Medienstrategie

Auch außerhalb des Landes wird die syrische Zivilbevölkerung zur Geisel eines Krieges, den sie nicht zu verantworten hat. Innerhalb der syrischen Grenzen aber wird sie von zwei Kräften tödlich bedroht: einerseits von der Armee des Regimes von Baschar al-Assad, das in den letzten Monaten ganze Städte mit Fassbomben aus Hubschraubern übersät hat, andererseits von Terrorgruppen wie dem "Islamischen Staat" (IS). Diese gehen mit erbarmungsloser Härte gegen alle vor, die sich nicht unterwerfen.

Flüchtlinge aus Kobane (Foto: DW)
Flüchtlinge aus Kobane in der türkisch-syrischen GrenzregionBild: DW/K. Sheikho

Mit aus medienstrategischer Perspektive spektakulären Aktionen wie der Enthauptung von Geiseln hat der "Islamische Staat" die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gezogen. Die Verbrechen des Assad-Regimes sind darüber in der öffentlichen Wahrnehmung zurückgetreten. Dem Assad-Regime gibt das die Möglichkeit, sich der internationalen Staatengemeinschaft als Verbündeter im Kampf gegen den IS zu empfehlen. Noch scheut die Gemeinschaft, die ausgestreckte Hand zu ergreifen. Die Videos mit Enthauptungen westlicher Geiseln setzen sie unter Druck: Im IS und seinen potenziellen Mitstreitern in Europa sehen viele westliche Bürger eine größere Gefahr als im Assad-Regime.

Hunger als Waffe

Nun könnte der medialen Wende auch eine politische folgen. Wenn das WFP die syrische Zivilbevölkerung nicht mehr ernähren kann, geraten auch Assads säkular ausgerichtete Gegner unter Druck. Droht den syrischen Zivilisten nun Hunger, erhöht sich für die Kämpfer der Druck, die Waffen schweigen zu lassen und den Konflikt endlich zu beenden. Die entsprechenden Bedingungen würde in diesem Fall allein das Assad-Regime diktieren. Jedenfalls hat es in den letzten dreieinhalb Jahren nicht erkennen lassen, in seinem Kalkül auch die Belange der syrischen Bevölkerung zu berücksichtigen. Der Hunger wirkt darum als weitere Waffe des Regimes.

Finanzstarke Staaten gefragt

Nach dreieinhalb Jahren Krieg fehlt Teilen der Staatengemeinschaft nun offenbar Kraft und Wille, die Syrer weiter zu unterstützen. Dafür gebe es unterschiedliche Gründe, sagt Luise Amtsberg von der Partei Die Grünen, Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag. Einige Staaten hätten schlicht keine Mittel, andere verzichteten aufgrund von innenpolitischen Überlegungen darauf, ihren Beitrag zu überweisen.

Propagandabild IS-Kämpfer ARCHIV (Foto: Abacapress)
Bedrohliche Bilder beeinflussen das SpendenverhaltenBild: picture-alliance/abaca/Yaghobzadeh Rafael

Umso mehr seien darum die finanzstarken Staaten gefragt. Sich zu engagieren sei auch im eigenen Interesse. Denn das Ende der WFP-Hilfe sei ein humanitäres, aber auch ein sicherheitspolitisches Problem. Die ausdünnenden Spenden setzten Syriens Nachbarländer, von denen die meisten jeweils über eine Millionen Flüchtlinge beherbergen, nämlich weiter unter Druck. "Gerade im Libanon zeigt sich, wie hoffnungslos überfordert der Staat mit der Flüchtlingssituation ist. Wir Europäer können kein Interesse daran haben, dass auch dieser Staat noch kippt und zu einem Krisenherd wird", sagt Luise Amtsberg.

Die Macht der Bilder

Die Komplexität des Krieges in Syrien macht auch vielen deutschen Hilfswerken zu schaffen. Die vielen, häufig wechselnden Fronten hemmen die Spendenbereitschaft der Deutschen. So hat die Aktion "Deutschland hilft e.V.", das Bündnis deutscher Hilfsorganisationen, in zwei Jahren für Syrien Spenden von insgesamt 4,3 Millionen Euro gesammelt. Für den Nordirak kamen in nur einem halben Jahr 4,8 Millionen Euro zusammen. Indirekt und ganz gegen seine Absicht hat daran auch der "Islamische Staat" seinen Anteil. "Die dramatischen Bilder aus dem Nordirak haben die Deutschen zu größeren Spenden animiert", sagt Birte Steigert, Pressereferentin von "Deutschland hilft e.V.".

Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, 16.3. 2013 (Foto: dpa)
"Flüchtlingshilfe ist Sicherheitspolitik": Luise AmtsbergBild: picture-alliance/dpa/B. Marks

Gefordert ist nach Einschätzung von Luise Amtsberg eine Aufstockung der staatlichen Gelder. Dies sei auch im Sinne der Aufnahme von Flüchtlingen. Denn wenn man die Menschen allein lasse, und sie dort verhungerten, nütze auch die deutsche Asylpolitik nichts mehr, um ihnen zu helfen.