Suppenküchen für die Mittelschicht
14. Januar 2014Im eleganten und grünen Athener Vorort Kifissia verteilt Maria Kefala-Salmatani Lebensmittel und Medikamente an Bedürftige. 2003 war die Unternehmerin in den Stadtrat gewählt worden - mit dem Versprechen, ein neues Heim für behinderte Kinder und Jugendliche zu gründen. Doch seitdem haben sich die Prioritäten der Lokalverwaltung verändert: Wegen der rasant um sich greifendenWirtschaftskrisemusste sich die Stadträtin zunächst um die Versorgung der Bedürftigen kümmern. Den Großteil der Anschubfinanzierung - rund 4000.000 Euro - stellte ein EU-Programm bereit. Heute wird das Hilfsprojekt vor allem durch Privatspenden getragen. Bis Ende Januar eröffnet die Lokalverwaltung von Kifissia auch eine Sozialapotheke für Bedürftige.
"Unsere Siedlung hat sich zwar seit den 1980er Jahren zum Prominentenviertel gemausert, doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. In Kifissia wohnen auch viele Familien aus der Mittelschicht, die nun mit dem Albtraum der Arbeitslosigkeit konfrontiert werden", erläutert die 62-Jährige. Das seien ehemalige Doppelverdiener-Familien mit Kindern, in denen Vater und Mutter ihre Jobs verloren haben. Ebenfalls von der Krise betroffen seien in der Siedlung auch überschuldete Unternehmer, die ihren Lebensmittelbedarf nicht mehr allein decken können.
Diskretion als oberstes Gebot
Insgesamt 19 Mitarbeiter der Stadtverwaltung kümmern sich heute um die tägliche Essensausgabe, dazu kommen ehrenamtliche Mitarbeiter einer Hilfsorganisation. In Kifissia haben sich bereits 170 Menschen als Empfänger von Lebensmittelhilfen eintragen lassen. Die Dunkelziffer der Bedürftigen dürfte noch weitaus höher liegen, denn viele einst wohlhabende Menschen seien einfach zu stolz, um die wirtschaftliche Notlage ihrer Familie zuzugeben und Hilfe von staatlicher Seite anzunehmen, gibt Maria Kefala-Salmatani zu bedenken.
"Oft bekommen wir nur einen dezenten Hinweis von den Nachbarn, dass zum Beispiel kein Licht mehr im Haus brennt, was ja vermutlich bedeutet, dass der Strom abgestellt ist", sagt die Stadträtin. In solchen Fällen versuchten Psychologen und Mitarbeiter der Sozialberatung mit den Betroffenen in Kontakt zu treten und Hilfe zu leisten - so diskret wie möglich.
Auch in der noblen Vorstadt Psychikon im Norden Athens ist Diskretion das oberste Gebot, sagt Bürgermeister Pantelis Xyridakis. Viele der Betroffenen hätten sich niemals vorstellen können, in eine Notlage zu geraten und würden sich heute dafür schämen, um Hilfe zu bitten, deswegen hätten sich die Stadtbehörden etwas Ungewöhnliches einfallen lassen.
"Vor gut anderthalb Monaten haben wir einen Kiosk eingerichtet, wo jeder vorbeikommen und Lebensmittelspenden abgeben darf", sagt Xyridakis. "Der Kiosk liegt direkt vor einem großen Supermarkt in zentraler Lage, aber die Essensausgabe erfolgt ganz woanders, an einem abgelegenen Ort." Das hätte alles seinen Grund: Wer spendet, freue sich in der Regel, dabei beobachtet zu werden und motiviere dadurch auch seine Mitmenschen zum Spenden, so der Bürgermeister. Wer von den Spenden lebt, wolle dagegen lieber nicht auffallen.
Großer Andrang bei Kirchentafeln
Vor Ausbruch der Wirtschaftskrise waren Immobilienpreise bis zu 10.000 Euro pro Quadratmeter keine Seltenheit im Villenviertel Psychikon. Dass die Stadtbehörde eine Grundversorgung Bedürftiger mit Lebensmitteln hätte einrichten müssen, wäre damals unvorstellbar gewesen. Doch in den vergangenen Jahren haben sich bereits 120 Menschen an die städtische Essensausgabe gewandt. Einmal in der Woche bekommt jeder von ihnen ein umfangreiches Hilfspaket mit Lebensmitteln, das den Wochenbedarf decken soll. Zu Weihnachten bietet die Tafel von Psychikon außerdem allen Bedürftigen die Möglichkeit, gemeinsam zu feiern.
Das sei auch eine gute Gelegenheit für ihn, diese Menschen persönlich kennenzulernen und sie über weitere Hilfsangebote zu informieren, meint Xyridakis. Die genaue Zahl der Betroffenen kennt auch der Bürgermeister nicht, da sich viele von ihnen nicht an die Stadtbehörden, sondern lieber an die Kirchen wenden. "Wir schätzen, dass mindestens 300 Menschen in unserem Stadtbereich eine von der Kirche organisierte Essensausgabe besuchen - und zwar täglich", sagt der 53-Jährige. Besonders aktiv sei die katholische Kirchengemeinde mit ihrer eigenen Tafel. An die katholische Kirche von Psychikon würden sich auch zahlreiche Migranten katholischen Glaubens wenden, die keine andere Möglichkeit hätten, Hilfe zu bekommen.