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Kanada als Vorbild für Deutschland

Sabine Ripperger30. November 2012

Kanada ist schon lange beliebtes Ziel von Arbeitsmigranten, Deutschland bekennt sich erst seit einiger Zeit dazu. Angesichts des steigenden Fachkräftemangels hierzulande lohnt sich der Blick nach Westen aber nur bedingt.

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Wissenschaftlerin am Mikroskop (foto: Fotolia)
Bild: WavebreakmediaMicro/Fotolia

Kanada verfügt durch seine lange Geschichte als Einwanderungsland über einen riesigen Erfahrungsschatz. Es gewinnt durch Zuwanderung jedes Jahr knapp ein Prozent seiner Bevölkerung hinzu - einen Großteil davon als Arbeitsmigranten. Immer wieder hat das Land seine Politik auf die sich verändernden wirtschaftlichen Bedürfnisse ausgerichtet. Davon könnte Deutschland noch einiges lernen, wie eine Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung zeigt.

Deutschland müsse seine Bemühungen erhöhen, sich nach außen als attraktives Wanderungsziel zu präsentieren, sagt der Direktor des Berlin-Instituts, Reiner Klingholz. In zehn bis fünfzehn Jahren wird es seiner Ansicht nach flächendeckend in allen Branchen einen Mangel an Arbeitskräften geben. Um die Erwerbsbevölkerung über Zuwanderung aufzufrischen, könne Deutschland sich langfristig nicht einzig auf Arbeitskräfte aus anderen EU-Staaten verlassen.

Gleichzeitig müssen sich Politiker auch gegenüber der eigenen Bevölkerung klarer zu Einwanderung bekennen und deren potentiellen Nutzen unterstreichen. "Das heißt: Wir müssen uns wesentlich transparenter aufstellen, offensiver aufstellen. Wir müssen aktiv im Ausland anwerben."

Pipelinerohre in der Landschaft (Foto: Reuters)
Kanada benötigt auch geringer qualifizierte Arbeiter, zum Beispiel beim Bau von ÖlpipelinesBild: REUTERS/TransCanada Corporation

Vorbild Kanada?

Seit 1967 wählt Kanada seine Zuwanderer nach einem Punktesystem aus. Dabei sind Sprachfähigkeiten und der Bildungsstand die wichtigsten Auswahlfaktoren. Potenzielle Zuwanderer können damit etwa zwei Drittel der benötigten Punkte erreichen. Außerdem verteilt die kanadische Regierung Punkte für Berufserfahrung, das Alter oder für ein Jobangebot. Es werden aber auch andere Faktoren berücksichtigt, wie die Bildung des Partners oder vorherige Aufenthalte in Kanada.

Doch das System ist nicht nur für Hochqualifizierte ausgelegt. "Zusätzlich gibt es in Kanada natürlich Bedarf an weniger qualifizierten Kräften im Pflegesektor, in der Ölindustrie, in der Forstindustrie. Und für diese Personen gibt es - von den Regionen, von den Provinzen gesteuert - Extraprogramme", erklärt Klingholz. Diese gewähren Zuwanderern mit bestehendem Jobangebot zunächst einen zeitlich befristeten  Aufenthalt. Die Tür zum Daueraufenthalt stehe später jedoch nur einigen offen.

Die Möglichkeit für Arbeitsmigranten in Deutschland, nach einer gewissen Zeit eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung oder einen deutschen Pass zu bekommen, sei hierzulande noch wesentlich schwieriger als in Kanada, kritisierte Klingholz. Dies sei mit ein Grund, warum die erst in diesem Jahr in Deutschland beschlossene Blue-Card, mit der die Zuwanderungshürden gesenkt wurden, bisher kaum erfolgreich ist, so Klingholz. "Das ist ein Faktor, der die Attraktivität sehr zurückschraubt." Zudem ist sie bisher im Ausland kaum bekannt.

Integration schon vor der Einreise

Viele der potentiellen Einwanderer nach Kanada haben noch kein konkretes Jobangebot. Dies sei kein Nachteil, meint Stephan Sievert vom Berlin-Institut und einer der beiden Autoren der Studie. Es gebe eine ganz aktive Integrationspolitik, die nicht erst beginne, wenn die Zuwanderer die Grenze überschreiten und nach Kanada kommen. "Die Programme, die den Zuwanderern den Start ins neue Leben erleichtern sollen, beginnen bereits im Heimatland mit Informations- und Orientierungskursen, damit sie mit realistischen Erwartungen ins Land kommen." Dazu kommen häufig Praktika, die auf den Berufsalltag vorbereiten und bestehende Kenntnislücken möglichst schnell schließen.

Durchlässiges Schulsystem

Die kanadische Anwerbepraxis hat zur Folge, dass die Zuwanderer im Mittel höhere Bildungsabschlüsse haben als die einheimische Bevölkerung. Zwar hat sich auch in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit der Anteil der Zuwanderer mit Hochschulabschluss erhöht. Im Gegensatz zu Kanada haben in Deutschland jedoch überproportional viele Zuwanderer keinen Berufsabschluss.

Die Erfolge der zweiten Generation, also der Kinder der Zuwanderer, sind laut Studie in Kanada besonders beeindruckend. Sie erreichen überwiegend einen akademischen Abschluss und übertreffen sogar den Nachwuchs der Einheimischen.

Das Schulsystem in Kanada ist generell durchlässiger als das deutsche. Wie Autor Stephan Sievert sagt, ist für die Kinder der Einwanderer besonders von Vorteil, "dass sie ein Schulsystem haben, was Kinder bis zur 9. Klasse gemeinsam durchlaufen. Das heißt, gerade Zuwandererkinder haben vergleichsweise lange Zeit, eventuelle Sprachdefizite aufzuholen."