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Ukrainischer Sturm der Empörung gegen Merkel

Roman Goncharenko16. Juli 2014

In der Ukraine wächst die Kritik an Deutschland. Berlins Bemühungen, den bewaffneten Konflikt in der Ostukraine mit Hilfe Russlands zu befrieden, lösen Entrüstung in den Medien aus.

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Brasilien Merkel Putin Treffen 13.07.2014
Bild: picture-alliance/dpa

Vor der deutschen Botschaft an der Chmelnyzki-Straße im Herzen von Kiew ist alles wie gewohnt. Autos donnern über die Pflastersteine, Passanten schwitzen in der hochsommerlichen Hitze. Doch wenn Botschafter Christof Weil in diesen Tagen in die ukrainische Presse oder ins Internet schaut, muss er schlechte Nachrichten nach Berlin melden: Die Stimmung gegenüber Deutschland droht in der Ukraine zu kippen.

Zum ersten Mal gibt es einen Sturm der Entrüstung gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Seit Montag (14.07.2014) wird ihre Facebook-Seite mit Kommentaren wie "Danke, Frau Ribbentrop" von Nutzern aus der Ukraine, aber auch aus anderen Ländern überflutet. Sie spielen auf den Nazi-Außenminister Joachim von Ribbentrop an, der 1939 den Hitler-Stalin-Pakt vorbereitet hatte. Ein geheimes Zusatzprotokoll schrieb die Aufteilung Polens zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion vor. Ferner fielen Finnland, Estland, Lettland in die sowjetische Interessensphäre, Litauen in die deutsche.

Merkels Treffen mit Putin in Brasilien

Screenshot Facebook Angela Merkel
Schmäh-Kommentare aus der Ukraine landen auf Angela Merkels Facebook-SeiteBild: facebook.com/AngelaMerkel

Ausgelöst wurde der Sturm der Entrüstung durch das Treffen der Bundeskanzlerin mit Russlands Präsident Wladimir Putin vor dem Finale der Fußball-WM in Brasilien. Vor allem der Aufruf an Kiew, Gespräche mit den prorussischen Separatisten im ostukrainischen Industrierevier Donbass zu führen, sorgte für heftige Kritik.

Im Web sind inzwischen dutzende Fotomontagen mit Merkel und Putin in Nazi-Uniformen aufgetaucht. Andere zeigen, wie die beiden Politiker sich umarmen. Dazu steht in Sprechblasen: "Wie geht es deinen Jungs im Donbass?", fragt Merkel. "Ist schwierig, Mutti", antwortet Putin. Die Botschaft des Comics lautet: Die bewaffneten Kämpfer in der Ostukraine werden von Russland unterstützt.

Auch die Menschen auf Kiews Straßen scheinen inzwischen sehr Deutschland-kritisch zu sein. "Sagen Sie Frau Merkel, sie soll endlich aufhören, mit Putin zu kuscheln", sagt Andrij, ein freiberuflicher Architekt Mitte Fünfzig, und fügt hinzu: "Deutschland soll harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängen". Auch der 30-jährige Supermarkt-Verkäufer Olexander ist überzeugt, dass Kiew mit Waffengewalt gegen die Separatisten vorgehen muss. "Keine Verhandlungen", sagt er und ballt die Fäuste. Solche Stimmen sind immer öfter zu hören, da es bei den Kämpfen, aber auch während einer von den Separatisten nicht eingehaltenen Waffenruhe inzwischen zu mehreren hundert Toten in der Ostukraine gekommen ist.

Kritik an Berlins Ukraine-Politik

Wolodymyr Horbatsch vom Kiewer Institut für euroatlantische Zusammenarbeit kann die Empörung im Web nachvollziehen. Merkels Haltung sei "verräterisch". Die Bundeskanzlerin versuche den "Aggressor" Russland zu befrieden, während das "Opfer", die Ukraine, "Hilfe und Schutz" brauche, schreibt er in seinem Blog in der Online-Zeitung "Ukrainska Prawda".

Ob der Sturm der Entrüstung gegen Merkel die Aktion einer kleinen Gruppe ist, oder wirklich von tausenden Ukrainern getragen wird, ist schwer einzuschätzen. So mancher in Kiew vermutet, Russland könnte hinter der Kommentar-Flut stecken, um so einen Keil zwischen Kiew und Berlin zu treiben.

Allerdings hatte es kritische Töne aus Kiew in Richtung Berlin auch schon früher gegeben. Die Bundesrepublik gilt in der Ukraine als ein enger Partner Russlands, vor allem wegen der Gasgeschäfte. So wurde schon vor Jahren der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) als "Putin-Versteher" abgestempelt, da er einen Posten bei der Nord Stream AG hat, die zur Mehrheit dem russischen Konzern Gazprom gehört. Aber auch der CDU-Vorsitzenden Merkel wurde von Kiewer Kolumnisten vorgeworfen, aus Rücksicht auf Russland im Jahr 2008 beim NATO-Gipfel in Bukarest eine schnelle Aufnahme der Ukraine in die Allianz verhindert zu haben.

"Lasst Merkel in Ruhe"

Portrait von Serhij Leschtschenko (Foto: Sergii Leshchenko)
Serhij Leschtschenko kritisiert die verbalen Attacken auf Angela MerkelBild: GMF

Doch es gibt auch Stimmen, die zur Mäßigung aufrufen. So schreibt Serhij Leschtschenko, stellvertretender Chefredakteur bei "Ukrainska Prawda", in seinem Blog: "Lasst Merkel in Ruhe." Der Journalist findet die verbalen Angriffe auf Merkel "kindisch und gefährlich". Zum einen werde Deutschland aufgrund seiner Geschichte immer für Frieden eintreten. Und zum anderen sei die Ukraine auf westliche Milliardenhilfen angewiesen, unter anderem aus Deutschland.

Der Politik-Professor an der Kiewer Mohyla-Akademie, Olexij Haran, hält die Kampagne gegen Merkel sogar für "beleidigend". Sie habe nichts mit sachlicher Kritik gemein, gegen die nichts einzuwenden sei. "Der Aufruf, die Ukraine solle sich mit Terroristen an einen Verhandlungstisch setzen, ist falsch", sagte Haran der DW. Trotzdem sieht er in der deutschen Ukraine-Politik in den letzten Jahren positive Veränderungen. "Die Annexion der Krim durch Russland hat Merkel die Augen geöffnet." Haran wirbt für Verständnis, wenn Ukrainer Deutschland und andere Länder kritisieren: "Wir sind besorgt, dass der Westen zu langsam reagiert."