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Studenten gegen Staatsmacht

Marc Koch, Caracas22. Februar 2014

Seit Wochen protestieren in Venezuela Studenten gegen die Regierung. Längst geht es bei dem gewalttätigen Konflikt um mehr als Versorgungsmängel: Es geht um die Zukunft des südamerikanischen Landes.

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Venezuela Studentenproteste in Caracas
Bild: Reuters

Weiter schwere Unruhen in Venezuela

Vanessa hat sich viel anhören müssen in den letzten Tagen: Reaktionäre seien sie und ihresgleichen, Büttel der USA, Spitzel und Vaterlandsverräter. Doch am meisten getroffen hat sie der Vorwurf, zu einer Bande von Nazis und Faschisten zu gehören, die zum Umsturz in Venezuela aufrufe. Denn Vanessa Eissig, 22 Jahre alt und Studentin aus der Hauptstadt Caracas, stammt aus einer jüdisch-deutschen Familie. Vorfahren von Vanessa haben in deutschen Konzentrationslagern gesessen. Vanessa kennt den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie.

Doch je mehr die Regierung des venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro unter den wochenlangen Studentenprotesten ins Wanken gerät, um so unerträglicher wird die Rhetorik des sozialistischen Staatschefs. Mit wüsten Beschimpfungen, Drohungen und Durchhalteparolen versucht Maduro, die Kontrolle über sein schlingerndes Land zu behalten. Und Nacht für Nacht beweist er, dass ihm dazu fast jedes Mittel recht ist.

Nächte der Gewalt

Der Altamira-Platz in Chacao, einem der besseren Viertel im Osten von Caracas. Die Sonne ist gerade untergegangen, da beginnen die ersten, am Nachmittag aufgeschichteten Barrikaden zu brennen. Motorräder fahren hektisch in alle Richtungen durcheinander und sorgen für noch mehr Chaos. Vor allem ältere Menschen verlassen fluchtartig die Gegend um den beliebten Platz. Dafür kommen immer mehr Studenten an und bringen mit, was in der Nacht am Nötigsten gebraucht wird: Wasser und Essig gegen das Tränengas. Tücher und Schals zum Vermummen. Und Plastikflaschen mit Erde, Benzin und Stoffstreifen.

Venezuela Präsident Nicolas Maduro Foto: Reuters
Venezuelas Präsident Nicolás Maduro versucht, die Kontrolle über sein Land zu behaltenBild: Reuters

Dann beginnen die ersten Scharmützel. Mächtige Wasserwerfer versprühen ihre mit ätzendem Tränengas vermischte Ladung in Richtung der Barrikaden. Hinter den Rauchschwaden sind flackernde rote und blaue Lichter zu sehen. Und die Schilde der Guardia Nacional Bolivariana, der Nationalpolizei. Vanessa gibt gerade ein Interview, da schlägt in der Nähe eine Tränengasgranate ein. Die Demonstranten fliehen hustend und fluchend den Platz hinauf zum Obelisken. Minuten später kommen sie wieder und werfen ihre Plastikflaschen Richtung Polizei. Jedes Mal, wenn eine dieser selbstgebastelten Benzinbomben explodiert, brandet Applaus auf. "Wir müssen uns verteidigen", sagt Vanessa trocken.

Die Zukunft verteidigen

Wie alle, die in diesen Tagen Nacht für Nacht auf die Straße gehen, ist sie sicher, nichts weniger als ihre Zukunft zu verteidigen. Die Studenten waren auf die Straße gegangen, zuerst wegen der ständigen Unsicherheit und der katastrophalen Versorgungsmängel. Grundnahrungsmittel und Gegenstände des alltäglichen Bedarfs fehlen. Eine Mutter erzählt, sie habe drei Monate lang keine Milch für ihre Kinder bekommen. Das Land mit den weltweit größten Ölreserven muss Toilettenpapier importieren, auch Zeitungen kämpfen mit dem Papiermangel. Dazu leiden die Menschen unter der grassierenden Gewalt: Venezuela hat weniger Einwohner als Kanada, aber eine höhere Kriminalitätsrate als die USA. 60 Morde an einem Wochenende sind in Caracas keine Seltenheit.

Studenten demonstrieren auf dem Plaza Alfredo Sadel Foto: Oscar Schlenker
Die Studenten fürchten um ihre ZukunftBild: DW/Oscar Schlenker

Während die Regierung die Missstände ignoriert oder schönredet, wollen gerade junge Menschen wie Vanessa so nicht mehr leben. "Ich habe studiert und finde trotzdem keinen Job, ich will in einem freien Venezuela leben, ich will Familie und Kinder hier haben. Ich kämpfe nicht für eine Partei, ich kämpfe als Bürgerin, als Frau", sagt sie. Sie hat nach ihrem Studium keinen Job gefunden und studiert deshalb nun weiter. Viele Menschen denken, was die Studenten aussprechen: "Sie wollen ein besseres Leben, mit mehr Sicherheit und besserer Qualität", sagt die bekannte Journalistin Yasmin Velasco. "Die Studenten nutzen das für ihre Ziele." Und Marco Antonio Ponce, Forscher beim Institut "Observatorio Venezolano de Conflictividad Social", bestätigt: "Junge Leute haben in Venezuela traditionell ein hohes Ansehen und genießen viel Sympathie, denn sie sind die Zukunft."

Von einer Lösung weit entfernt

Doch die Regierung geht mit der Zukunft des Landes nicht eben zimperlich um. Nach zwei Stunden stürmt die Nationalpolizei den Altamira-Platz, Schreie hallen durch die Tränengasschwaden, Demonstranten fliehen in Restaurants und Hauseingänge. Viele werden von den Sicherheitskräften brutal herausgezerrt und verprügelt. Viele Verletzte, aber zumindest diesmal keine Toten. Die berüchtigten "colectivos", bewaffnete Motorradbanden, die die Regierung unterstützen und wahllos auf Demonstranten schießen, haben sich heute Nacht zurückgehalten.

Vanesa Eissig (Foto: DW)
Vanessa EissigBild: DW

Am nächsten Tag wird Präsident Maduro wieder von einer "faschistischen Verschwörung" gegen sein Land sprechen. Er wird neue Verhaftungen von Oppositionspolitikern anordnen, kritischen Medien mit Schließung drohen und Militär in die Provinzen schicken, um gegen die Demonstranten vorzugehen. Von Dialog und Kompromiss ist das gespaltene Land weit entfernt, scheint es. Vanessa und die anderen Studenten wissen, dass sie noch lange protestieren müssen, bis sich etwas ändert.