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Strässer: "Riesige Dunkelziffer"

Hao Gui1. April 2015

Weniger Hinrichtungen, mehr Todesurteile - so das Fazit von Amnesty International. Der Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung Strässer hat große Sorgen, dass die Todesstrafe in Asien immer häufiger wird.

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Christoph Strässer (Foto: SPD Fraktion)
Bild: spdfraktion.de/Susie Knoll/Florian Jänicke

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat ihren globalen Bericht über die Todesstrafe veröffentlicht. Die Anzahl der Hinrichtungen hat weltweit abgenommen, die Anzahl der verhängten Todesurteile ist dagegen dramatischen gestiegen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung als Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung?

Es ist immer schwierig, solche Momentaufnahmen zu kommentieren. Solche Zahlen sind immer großen Schwankungen unterworfen. Hinzu kommt die riesige Dunkelziffer: Amnesty ermittelt ja für China und Nordkorea keine eigenen Zahlen mehr, schätzt aber, dass China allein weitaus mehr Menschen hinrichtet als der Rest der Welt zusammen.

Wichtig ist mir der langfristige Trend, der schon seit Jahrzehnten global eindeutig weg von der Todesstrafe geht. Dies bestärkt uns in unserem Bemühen, weltweit für die Abschaffung der Todesstrafe einzutreten.

Christroph Strässer (2. v. l.) beim Menschenrechtsdialog mit China am 04. Dezember 2014 in Berlin. (Foto: DW)
Christroph Strässer (2. v. l.) beim Menschenrechtsdialog mit China am 04. Dezember 2014 in BerlinBild: DW/R. Wiederwald

Amnesty fordert China auf, die Zahlen der vollstreckten Todesstrafen zu veröffentlichen und nicht als Staatsgeheimnis zu behandeln. Deutschland führt mit der chinesischen Regierung einen Menschenrechtsdialog und diskutiert mit der chinesischen Regierung über die Todesstrafe. Gibt es Anzeichen für eine Neubewertung der Todesstrafe in China?

Ich habe bei meinen Gesprächen mit der chinesischen Seite - zuletzt während des Menschenrechtsdialogs im Dezember 2014 - erneut betont, dass wir die Todesstrafe verurteilen. Auch wenn kurzfristig nicht mit der Abschaffung der Todesstrafe in China zu rechnen ist, gibt es doch ermutigende Tendenzen.

So wird die Anzahl der Delikte, für die die Todesstrafe verhängt werden kann, fortlaufend reduziert. Jedes Todesurteil muss jetzt vom Obersten Gerichtshof bestätigt werden. Mir wurde signalisiert, dass die chinesische Regierung zwischenzeitlich erkannt habe, dass die Todesstrafe nicht zur Prävention von Kapitalverbrechen geeignet und daher langfristig von deren Abschaffung auszugehen sei.

Dazu müssten allerdings noch Aufklärungskampagnen durchgeführt und weitreichende rechtliche Reformen eingeleitet werden. In diesem Zusammenhang habe ich China angeboten, ein Symposium von Experten zum Thema Todesstrafe durchzuführen.

Besorgniserregend ist auch die Situation in einigen anderen asiatischen, vor allem muslimischen Ländern. Pakistan zum Beispiel hatte im letzten Dezember nach dem Anschlag auf eine Schule mit mehr als 160 Toten ein Moratorium für die Vollstreckung der Todesstrafe aufgehoben. Zunächst sollten nur Terroristen hingerichtet werden, jetzt auch verurteilte Mörder. Seit Dezember 2014 wurden 52 Menschen hingerichtet. Weitere 8000 Todeskandidaten warten auf Vollstreckung des Urteils. Was kann Deutschland tun, um Pakistan davon zu überzeugen, beim Kampf gegen den Terrorismus auf andere Mittel als die Todesstrafe zu setzen?

Die Entscheidung Pakistans, die Todesstrafe wieder zu vollstrecken, ist wirklich sehr bedauerlich. Ich war selbst Anfang März in Islamabad und Lahore und habe in vielen Gesprächen mit Regierungsvertretern, aber auch Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Religionsvertretern den Eindruck gewonnen, dass derzeit der Kampf gegen den Terrorismus das alles beherrschende Thema ist.

(Archiv) Krankenwagen transportiert vermutlich die Leichname der hingerichteten Extremisten aus dem pakistanischen Zentralgefängnis in Karatschi im Februar 2015. (Foto: dpa)
(Archiv) Krankenwagen transportiert vermutlich die Leichname der hingerichteten Extremisten aus dem pakistanischen Zentralgefängnis in KaratschiBild: picture-alliance/dpa/R. Khan

Viele Maßnahmen, die die Regierung ergreift, sind richtig, wie zum Beispiel das Verbot, über die Lautsprecher von Moscheen außerhalb der Gebetszeiten sogenannte "Hassreden" zu verbreiten. Die Todesstrafe ist aber kein geeignetes Mittel der Terrorbekämpfung. Das habe ich vor Ort auch sehr deutlich gesagt. Dass nun auch Todessurteile für Nicht-Terroristen vollstreckt werden, lässt darüber hinaus gewisse Zweifel an der ursprünglichen Begründung aufkommen, warum das Moratorium aufgehoben wurde.

Fest steht, dass kurzfristige Maßnahmen wie das Lautsprecherverbot oder massenhafte Verhaftungen nicht ausreichen werden, um den Terrorismus in Pakistan nachhaltig zu bekämpfen. Vielmehr müssen die Ursachen langfristig angegangen werden: eine schwache Staatlichkeit insbesondere in den Grenzgebieten zu Afghanistan und die Perspektivlosigkeit junger Pakistanerinnen und Pakistaner, verursacht durch ein rasches Bevölkerungswachstum bei einer gleichzeitig sehr schlechten Wirtschaftslage. Für breite Teile der Bevölkerung sind zudem islamische Religionsschulen, die Madrassen, und deren teils radikale Glaubenslehre der einzige Zugang zu Bildung.

Hier kann Deutschland helfen. Durch unsere Entwicklungszusammenarbeit, die derzeit ca. 50 Millionen Euro pro Jahr beträgt und die unter anderem auf verbesserte berufliche Bildung und Regierungsführung abzielt, aber auch durch Unterstützung im Bereich des Rechtsstaats und des Menschenrechtsschutzes. Zudem haben wir Hilfe für die zahlreichen Binnenvertriebenen bereitgestellt, die durch die Anti-Terror-Operationen des pakistanischen Militärs seit Juni 2014 aus ihrer Heimat in den pakistanischen Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan fliehen mussten. Auch beim Wiederaufbau der betroffenen Gebiete sind wir bereit zu helfen, damit sich für die Bevölkerung wirtschaftliche Perspektiven eröffnen und so dem Terror der Nährboden entzogen wird.

In Bangladesch mit seiner aufgeheizten innenpolitischen Situation wird verstärkt die Todesstrafe angedroht, um sowohl die Opposition als auch Islamisten einzuschüchtern. Die erhobenen Vorwürfe gehen zum Teil auf Verbrechen während des Unabhängigkeitskriegs vor 40 Jahren zurück. Das zuständige Sondertribunal wurde von Premierministerin Sheikha Hasina eingesetzt. Die meisten Urteile des Sondertribunals lauteten auf Todesstrafe. Wie bewerten Sie die offensichtlich politisch motivierten Todesurteile des Sondertribunals?

Das sogenannte "Internationale Kriegsverbrechertribunal" wurde 2010 von der Regierung von Bangladesch eingerichtet, um schwere Menschenrechtsverletzungen juristisch aufzuarbeiten, die im Unabhängigkeitskrieg von 1971 begangen wurden. Nach Schätzungen von Historikern sollen in diesem Krieg, in dem Bangladesch seine Unabhängigkeit von Pakistan erlangte, zwischen 300.000 und drei Millionen Menschen ihr Leben verloren haben.

Nach einem mehrwöchigen massiven Protest wurde im Frühjahr 2013 die ursprüngliche Zeitstrafe gegen Abdul Quader Mollah in einem Berufungsverfahren in eine Todesstrafe umgewandelt, wie es die Demonstranten gefordert hatten. Inzwischen hat das Gericht in mehreren Verfahren die Todesstrafe gegen Angeklagte verhängt. Bislang wurde nur die Todesstrafe gegen Abdul Quader Mollah vollstreckt, obwohl die Bundesregierung an die Regierung von Bangladesch am 12. Dezember 2013 appelliert hatte, diese in eine Freiheitsstrafe zu wandeln und ein Todesstrafenmoratorium zu verfügen. Die Europäische Union hatte ebenfalls am 5. November 2014, als eine weitere Vollstreckung drohte, an die Regierung von Bangladesch appelliert, keine Todesstrafen zu vollstrecken.

Es bestehen Zweifel, ob die Verfahren vor dem sogenannten "Internationalen Kriegsverbrechertribunal" den Anforderungen an ein rechtsstaatlich faires Verfahren entsprechen. Sie hält auch aus diesem Grund ihren Appell an die Regierung von Bangladesch aufrecht, verhängte Todesstrafen nicht zu vollstrecken.

(Archiv) Menschenmenge wartet im April 2014 auf die Hinrichtung eines Verurteilten in der Öffentlichkeit in der iranischen Stadt Noor
(Archiv) Menschenmenge wartet auf die Hinrichtung eines Verurteilten in der Öffentlichkeit in der iranischen Stadt NoorBild: ISNA

In Indonesien sollen unter anderem zwei australische Drogenschmuggler hingerichtet werden. Wie Indonesien argumentiert auch die iranische Regierung, dass die Todesstrafe im Kampf gegen Drogenhandel und Drogenmissbrauch - in beiden Ländern ein großes gesellschaftliches Problem - abschreckende Wirkung habe. Welche Gegenargumente bringt Deutschland dagegen vor?

Ich halte die Anwendung der Todesstrafe grundsätzlich für falsch. Es gibt keine Belege dafür, dass die Todesstrafe eine abschreckende Wirkung hat, weder bei Drogendelikten noch bei anderen Taten. Ihr vehementer Einsatz ist eher ein politisches Symbol für die Entschlossenheit der Regierung im Anti-Drogenkampf. Dafür sollte kein Menschenleben geopfert werden!

Übrigens lässt der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den sowohl Indonesien als auch Iran ratifiziert haben, bereits heute die Todesstrafe nur noch für schwerste Verbrechen, also insbesondere Verbrechen gegen das Leben, zu. Ihre Anwendung bei Drogendelikten ist daher von vornherein unzulässig.

Ich habe diese Haltung mehrfach in Stellungnahmen zu den Hinrichtungen in Indonesien zum Ausdruck gebracht. Die Hohe Vertreterin der EU hat sich ebenfalls in zwei Stellungnahmen an die Verantwortlichen in Indonesien gewandt, und die EU hat in Jakarta diplomatischen Einspruch gegenüber dem Generalstaatsanwalt und dem Außenministerium erhoben.

Auch innerhalb Irans ist die Todesstrafe im Zusammenhang mit Drogendelikten nicht unumstritten. Die abschreckende Wirkung wird immer wieder auch von offizieller Seite bezweifelt und entsprechende Gesetzesentwürfe zur Abschaffung der Todesstrafe bei Drogenhandel diskutiert.

(Archiv) Indonesische Polizei verlagert im März 2015 zwei verurteilte australische Drogenhändler auf die Gefängnisinsel Nusa Kambangan. (Foto: Reuters)
(Archiv) Indonesische Polizei verlagert zwei verurteilte australische Drogenhändler auf die Gefängnisinsel Nusa KambanganBild: Reuters/Darren Whiteside

Ich fordere den Iran auf, dieses Vorhaben mit Nachdruck weiterzuverfolgen. Denn trotz leichten Rückgangs bleibt der Anteil der wegen Drogenhandels Hingerichteten hoch (2014: 41 Prozent, 2013: 53,4 Prozent, 2012: 76 Prozent, Anm. d. Red.). Auch die Hinrichtungszahlen in Iran insgesamt sind erschreckend. Allein in diesem Jahr wurden bereits fast 200 Menschen hingerichtet. Daher fordert die Bundesregierung - auch hier im Verbund mit den EU-Partnern - die iranische Seite bei allen sich bietenden Gelegenheiten auf, umgehend ein Moratorium gegen die Vollstreckung der Todesstrafe zu erlassen und bis zu ihrer vollständigen Abschaffung die Verhängung von Todesurteilen erheblich zu reduzieren.

Der Bundestagsabgeordnete Christoph Strässer (SPD) ist Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe.