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Streit um Steine

Helle Jeppesen12. November 2012

Die Stadt Kehl fordert von ihren Lieferanten den Nachweis, dass ihre Produkte ohne Kinderarbeit produziert sind. Obwohl alle das Ziel unterstützen, gibt es Ärger mit den Steinmetzen der Stadt.

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Die fünfjährige Anna (vorn) und ihre beiden älteren Schwestern zerkleinern am 8.5.2002 im familieneigenen Schotterbetrieb in einem Außenbezirk von Lusaka Steine. Anna arbeitet seit ihrem ersten Lebensjahr und hat noch nie eine Schule besucht.
Bild: picture-alliance/dpa

"Wir sind gegen jegliche Art von Kinderarbeit, egal in welchem Bereich", betont Steinmetz Egon Meffle aus Schutterwald. Seit mehr als 45 Jahren arbeitet er als Steinmetz und führt heute in der vierten Generation die Familienfirma. Doch die neue Vorschrift der Stadt Kehl geht ihm zu weit. Demnach müssen die Steinmetze den Nachweis bringen, dass ihre Grabsteine für die städtischen Friedhöfe ohne Kinderarbeit produziert sind, schimpft er.

Egon Meffle, Bildhauermeister (Foto: DW/Per Henriksen)
Die Steinmetze können die Zertifizierung nicht leisten, sagt ihr Obermeister Egon MeffleBild: DW

Aus 70 bis 80 Ländern beziehen deutsche Steinmetze ihr Material, schätzt Meffle. "Aus der ganzen Welt! Für jedes Material, für jeden Stein solch ein Zertifikat zu bekommen, das wird nicht so einfach sein." Deswegen hat er als Obermeister der lokalen Steinmetzinnung Einspruch gegen die neue Satzung der Stadt Kehl eingelegt.

Lokale Umsetzung der Konvention gegen Kinderarbeit

Die Stadt Kehl schreibt in der geänderten Friedhofssatzung: "Es dürfen nur Grabsteine verwendet werden, die nachweislich aus fairem Handel stammen und ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne der Konvention 182 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hergestellt sind."

Die ILO-Konvention 182 gegen ausbeuterische Kinderarbeit trat im November 2000 in Kraft. Auch die Bundesrepublik Deutschland hat sie ratifiziert. Die Konvention gebe Ländern und Kommunen das Recht, Regelungen zu erlassen, die das Aufstellen von Grabsteinen aus Kinderarbeit verbieten, schreibt die Bundesregierung in einer Stellungnahme vom Oktober 2009. Damals hatten zwei Gerichte solche Satzungen für unwirksam erklärt.

Mittlerweile haben mehrere Kommunen neue Friedhofssatzungen aufgestellt, darunter auch die Gemeinde Kehl am Rhein. Das ist rechtens, entschied im Mai 2012 der Europäische Gerichtshof. Öffentliche Auftraggeber dürfen verlangen, dass ihre Auftragnehmer soziale oder ökologische Kriterien erfüllen. Allerdings, so der Europäische Gerichtshof, dürfen die öffentlichen Auftraggeber keine konkreten Gütesiegel fordern.

Friedhof mit Grabsteinen (Foto: DW/Per Henriksen)
Kommunen dürfen Grabsteine aus Kinderarbeit verbieten, entschied der Europäische GerichtshofBild: DW

Keine weltweiten Standards

Die Gütesiegel sind das Problem - vor allem, weil es sie nicht für alle Steine gibt. In der Stadt Kehl geht der Gemeinderat davon aus, dass Steine aus dem europäischen Wirtschaftsraum ohne Kinderarbeit verarbeitet werden. Für andere Länder fordert die Gemeinde ein "vertrauenswürdiges, allgemein anerkanntes Zertifikat". 

"Es ist so, dass man eben eine bestimmte Zertifizierung vorschreibt und dass der Steinmetz dann die von diesem Unternehmen zertifizierten Steine verwendet. Dann hat er auch kein Problem", betont Kehls Oberbürgermeister Günther Petry.

Dr. Günther Petry, Oberbürgermeister der Stadt Kehl am Rhein (Foto: DW/Per Henriksen)
Will an Zertifizierung festhalten: Oberbürgermeister Günther PetryBild: DW

Die Stadt hat auf einer Sitzung Ende September beschlossen, vorläufig die beiden Siegel "Xertifix" und "Fair Stone" als vertrauenswürdig anzuerkennen. Die beiden Siegel gelten jedoch nur für wenige Länder. "Xertifix" kontrolliert Steine aus Indien. "Fair Stone" Steine aus China, Indien, Vietnam und der Türkei.

Vertrauenswürdige Gütesiegel fehlen

Für andere Länder,wie zum Beispiel Südafrika oder Brasilien, gibt es bis heute kein international anerkanntes Gütesiegel, das eine Produktion ohne Kinderarbeit garantiert.

Für Steinmetz Egon Meffle ein Problem: "Es gibt auch exotische Materialien, die man vielleicht einmal in seinem Leben verarbeitet. Und da muss ich schauen, wo kriege ich so ein Zertifikat her", erzählt er. Vor allem möchte er als kleiner Handwerker nicht die Verantwortung für die Einhaltung der ILO-Konvention übernehmen. "Letztendlich kann sich jeder Bürger mit einigen Mausklicks so ein Zertifikat runterladen und kann das dann irgendwo x-beliebig beilegen. Das kann es ja nicht sein", schimpft der Innungsobermeister. Stattdessen fordert er ein bundeseinheitliches Zertifikat, das auch von allen Kommunen und Gemeinden anerkannt wird.

Neue Landesgesetze

Ob er mit seinem Einspruch gegen die Kehler Friedhofssatzung durchkommt, ist noch nicht entschieden. Das Land Baden-Württemberg, zu dem auch die Stadt Kehl am Rhein gehört, hat mittlerweile das Bestattungsgesetz geändert. Fortan soll es den Kommunen und Gemeinden ausdrücklich möglich sein, Grabsteine aus Kinderarbeit zu verbieten. Das Saarland und die Hansestadt Bremen haben bereits eine solche Regelung. Nordrhein-Westfalen will im Frühjahr 2013 eine ähnliche Gesetzesänderung in Kraft setzen.

Das größte Problem bei Kinderarbeit in den Steinbrüchen in Indien, China oder anderswo ist allerdings nicht die Verarbeitung der Grabstein-Rohlinge. Sie sind so groß und schwer, dass sie nur mit Maschinen bearbeitet werden. Wenn es jedoch darum geht, Schlämme von Maschinen aufzusammeln oder Schotter und Pflastersteine zu verarbeiten, werden auch Kinder für Hilfsarbeiten eingesetzt, so die Hilfsorganisation Terre des Hommes.

Im Versandhandel zahlen deutsche Verbraucher für die Pflastersteine aus Indien oder China zwischen 20 und 30 Euro pro Quadratmeter. Auch mehrere Städte und Kommunen haben für Pflastersteine das günstigste statt das ILO-konforme Angebot gekauft. Deutsche Pflastersteine, so Steinmetz Egon Meffle, kosten mindestens das Doppelte.