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Streit um Bioenergie

Michael Gessat28. Juli 2012

In einem Gutachten äußern deutsche Wissenschaftler starke Zweifel, ob Biomasse in Deutschland sinnvoll genutzt werden kann. Biosprit-Produzenten sehen die Sache hingegen ganz anders.

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Zapfpistole (Foto: dapd)
Bild: dapd

"Bioenergie - Möglichkeiten und Grenzen", so lautet der Titel der Analyse der nationalen Akademie der Wissenschaften "Leopoldina", an der mehr als 20 Wissenschaftler über eineinhalb Jahre gearbeitet haben. Und anscheinend sehen die beteiligten Chemiker, Biologen, Ökologen und Klimaforscher eindeutig mehr Grenzen als Möglichkeiten für einen sinnvollen Einsatz von "nachwachsenden Rohstoffen" als Energiequelle; zumindest hierzulande. "Die gegenwärtig von der Politik vorgeschlagenen großen Anteile, die die Bioenergie angeblich leisten kann, 23 Prozent, manchmal auch 30 Prozent unserer Energieversorgung zu decken, das ist aus gegenwärtiger Sicht völlig illusorisch" - so lautet die ernüchternde Bilanz von Bernhard Schink, Professor für mikrobielle Ökologie an der Universität Konstanz. Er ist einer der drei Koordinatoren der Studie. Dabei setzt die Bundesrepublik bislang stark auf Biogas, Biodiesel und Bioethanol. Die Förderung alternativer Kraftstoffe ist ein Element der sogenannten "Energiewende". Deutsche Autos fahren zum Beispiel mit Benzin, dem fünf beziehungsweise zehn Prozent Bioethanol beigemengt werden.

Schwierige Bilanzrechnungen

Für den Einsatz von Bioenergie sprechen grundsätzlich zwei Argumente: Zum einen ist der Vorrat an fossilen Energieträgern wie Erdöl und Kohle begrenzt. Diese importieren zu müssen, schafft politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten. Immer aufwendigere Fördertechniken zum Beispiel auch für "minderwertige" Vorkommen wie Ölsand bringen Umweltrisiken mit sich. Vor allem aber setzt der Verbrauch von fossilen Brennstoffen CO2 frei, das als Treibhausgas gilt und hauptsächlich für die "menschengemachte" Klimaerwärmung verantwortlich gemacht wird. Bei der Verwertung von Bioenergie hingegen gelangt genau die Menge CO2 in die Atmosphäre, die von den Pflanzen vorher aufgenommen worden ist - auf den ersten Blick eine Nullbilanz.

Aber selbstverständlich müssen sämtliche klimarelevanten Aspekte der Biomasse-Produktion auch mit einbezogen werden, und das ist auch der Ansatz der Leopoldina-Studie. Zur Gesamtbilanz gehört der Einsatz von Düngemitteln, der zur Freisetzung von Stickstoff-basierten Treibhausgasen führt, dazu gehören die Abgase des Traktors beim Säen, Pflügen und Ernten, und selbst die Emissionen bei dessen Herstellung und Transport auf das Feld des Bauern. Ähnlich kompliziert ist die Frage, wie viel Energie man denn eigentlich zum Beispiel mit einem Liter Bioethanol "gewonnen" hat - auch hier muss man den kompletten Energieverbrauch bei der Herstellungskette berücksichtigen.

Zuckerrohr-Ernte in Brasilien (Foto: AP/dapd)
Anbauflächen in Brasilien eignen sich besser für die Gewinnung von Biokraftstoffen etwa aus ZuckerrohrBild: AP

Flächenknappheit in Deutschland

In einem Land wie Brasilien mit viel Fläche, wenig Einwohnern und einer quasi idealen Nutzpflanze wie dem Zuckerrohr geht die Rechnung auf, schreiben die Wissenschaftler, hierzulande nur in wenigen Ausnahmefällen: "In Deutschland sind unsere Flächen natürlich begrenzt, wir importieren heute bereits ein Drittel unserer gesamten Biomasseproduktion von auswärts, vor allem als Futtermittel." Vor diesem Hintergrund sei es "nur schwer zu vertreten, dass wir auf unserem eigenen Grund nun Energiepflanzen anbauen, während wir eben in anderen Ländern uns die Nahrungsmittel holen." Die Landwirtschaft, die Deutschland sozusagen außerhalb betreibe, so Bernhard Schink, müsse man in alle Bilanzierungen mit einrechnen. Für förderungswürdig halten die Studienautoren nur Bioenergieformen, "die weder zur Verknappung von Nahrungsmitteln führen noch deren Preise durch Wettbewerb um Land und Wasser in die Höhe trieben."

Unter dem Strich kommen die Leopoldina-Wissenschaftler eigentlich nur auf ein sinnvolles Szenario der heimischen Bioenergie-Nutzung: die Verwertung von Abfällen in der Landwirtschaft, aber auch im kommunalen Bereich; sprich die Produktion von Biogas aus Stoffen, die sonst auf der Deponie landen würden. Statt für die Energiewende noch mehr Biosprit ins Benzin zu mixen, solle Deutschland lieber andere "erneuerbare" Ressourcen ausbauen, schlagen die Forscher vor - Photovoltaik, Solarthermie und Windenergie seien viel effizienter und in der Gesamtbilanz nachhaltiger.

Obst-, Gemüse- und andere Lebensmittelabfälle (Foto: pa/dpa)
Wertvoller Rohstoff: Obst- und GemüseabfälleBild: picture-alliance/dpa

Gutachten eine "ärgerliche Fehlleistung"

Elmar Baumann, Geschäftsführer des "Verbands der Deutschen Biokraftstoffindustrie" (VDB), nennt das Leopoldina-Papier dagegen "eine ärgerliche Fehlleistung". Es bringe im Grunde gar nichts Neues: "Es sind Daten, die auch anderswo schon in ähnlicher Form publiziert worden sind, es werden Fragen gestellt,  die auch andere schon gestellt haben - man fragt sich also unweigerlich, wozu dient die Studie?" Selbstverständlich sei zum Beispiel Biosprit aus deutschem Raps ökologisch sinnvoll, betont der Verbandsvertreter. Das sei schließlich gesetzlich geregelt und zertifiziert: Laut  "Nachhaltigkeitsverordnung" müssen nämlich die Vermarkter eine Treibhausgasreduktion von mindestens 35 Prozent gegenüber fossilen Brennstoffen nachweisen. Die im Leopoldina-Gutachten aufgezählten Faktoren der Herstellungskette, so Baumann, seien "mit inbegriffen in der Bilanz, das heißt, die ist soweit vollständig." Die Wissenschaftler würden zudem verkennen, dass es zu Biodiesel und Bioethanol im Verkehrsbereich überhaupt keine Alternative gebe - die Empfehlung von Solar- und Windenergie führe da nicht weiter.

Bio-Ethanol als Übergangslösung

Diesem Kritikpunkt stimmt auch Bernhard Schink glatt zu: "Sachlich ist das völlig richtig – wir bieten hier letztlich keine Alternative." Allerdings könne er sich vorstellen, an anderen Stellen fossile Energieträger einzusparen, und Erdöl bzw. die Folgeprodukte Benzin und Diesel könnten dann für Verbrennungsmotoren gewissermaßen reserviert werden - so lange, bis irgendwann einmal flächendeckend Elektrofahrzeuge auf den Straßen unterwegs wären. Aber die Leopoldina-Studie nennt sogar ausdrücklich ein Beispiel, wie man Bio-Ethanol auch in Deutschland ökonomisch und ökologisch sinnvoll herstellen könnte: Bei einem neuen Verfahren, das von deutschen Forschern der Universität Hohenheim konzipiert wurde, werden Bio-Sprit und Bio-Gas gleichzeitig produziert - das führt, so Mikrobiologe Schink, zu einer deutlich besseren Energiebilanz. Bislang funktioniere dieses Kombi-Modell allerdings nur im kleinen Format: "Eine Ausweitung auf einen großtechnischen Einsatz würde sicherlich noch einige Entwicklungsarbeit erfordern."