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Streit um Abtreibung

Luisa Frey27. Juni 2012

Die Zahl der Abtreibungen in Brasilien ist hoch. Doch es gibt nur wenige Indikationen dafür. Die Folgen der illegalen Abbrüche schaden der Gesundheit der Frauen. Eine Gesetzesänderung soll Abhilfe schaffen.

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Bild: picture alliance/dpa Themendienst

Eine Kommission von Juristen hat am Mittwoch (27.06.2012) dem brasilianischen Senat den Entwurf für ein neues Strafgesetzbuch übergeben. Unter anderem ist vorgesehen, den Besitz kleinerer Drogenmengen nicht als Straftat anzusehen und juristisch massiver gegen Bereicherung im öffentlichen Dienst vorzugehen. Besonders umstritten aber ist die Lockerung der rechtlichen Grundlage für legale Abtreibungen.

Bisher sind Schwangerschaftsabbrüche in Brasilien nur nach einer Vergewaltigung erlaubt oder wenn Lebensgefahr für die Schwangere besteht. Der Gesetzentwurf, den eine aus 14 Experten bestehende Kommission erstellt hat, sieht vor, einen Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche zu gestatten, wenn das Leben oder die Gesundheit der Frau in Gefahr sind, wenn beim Fötus schwere Fehlbildungen wie festgestellt werden oder wenn die werdende Mutter psychisch zu labil ist, um das Kind zu bekommen.

Tecio Lins e Silva Rechtsanwalt aus Brasilien
Silva: "Der gesundheitliche Schaden ist gravierender als die Abtreibung selbst."Bild: assessoria de comunicacao

In den städtischen Gebieten Brasiliens haben mehr als 20 Prozent der Frauen vor ihrem 40. Geburtstag bereits eine Schwangerschaft abgebrochen. Üblicherweise werden Abtreibungen im Alter zwischen 18 und 29 Jahren vorgenommen und zwar häufiger bei Frauen mit geringerer Schulbildung, so eine brasilianische Studie zur Abtreibung, die vom Gesundheitsministerium finanziert wurde.

Internationaler Kontext

In der Europäischen Union sind die Abtreibungsgesetze weniger restriktiv als derzeit in Brasilien. Portugal beispielsweise legalisierte 2007 den Abbruch bis zur 10. Schwangerschaftswoche. In Frankreich, Italien und Deutschland ist der Abbruch bis zur 12. Schwangerschaftswoche zulässig.

In Lateinamerika und der Karibik hingegen erlauben sieben Länder den Schwangerschaftsabbruch unter keinen Umständen, darunter Chile und Haiti. Brasilien gehört zu den acht Ländern, in denen der Eingriff legal ist, wenn dadurch das (Über-)Leben der Frau im Vordergrund steht.

Die Auswirkungen von Verboten und Einschränkungen spiegeln sich in konkreten Daten wider. Eine im Januar veröffentlichte Studie der Weltgesundheitsorganisation und des nordamerikanischen Institutes "Guttmacher" zeigt, dass die Abtreibungsrate in Westeuropa bei zwölf zu tausend liegt. In Lateinamerika hingegen - obwohl die Gesetzgebung dort strenger ist - liegt die Rate weitaus höher:  Hier haben 32 von tausend Frauen einen Abbruch vornehmen lassen.

Schlagwörter: Brasilien,  Marta Rodriguez de Assis Machado, Rechtsanwaltin, Strafgesetzbuch, Recht, Abtreibung Beschreibung:  Marta Rodriguez de Assis Machado, Rechtsanwaltin aus Brasilien Datum: 26.06.2012 Copyright: Piti Reali Ich bestätige, dass die DW die Bilder honorarfrei verwenden darf.
Machado befürchtet den Einfluss religiöser GruppierungenBild: Piti Reali

Verbote erhöhen die Gefahren

Je größer die Einschränkungen, desto höher sind auch die Risiken. In Ländern, in denen Abtreibungen erlaubt sind, werden sie auch sicherer durchgeführt; dort, wo die Möglichkeiten legaler Abtreibungen stark eingeschränkt sind, ist der Eingriff üblicherweise gefährlich, bestätigt die WHO-Studie. Die letzten Daten stammen aus dem Jahr 2008. Damals wurden 95 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche in lateinamerikanischen Ländern als risikoreich eingestuft.

"Abertausende Frauen verlieren ihr Leben oder werden durch eine illegale Abtreibung verstümmelt und brauchen anschließend ärztliche Betreuung. Der gesundheitliche Schaden ist viel gravierender als die Abtreibung selbst", meint Técio Lins e Silva, Anwalt und Mitglied der Expertenkommission, die den Gesetzentwurf erarbeitet hat.

"Einen Schwangerschaftsabbruch weiterhin als Straftat anzusehen, ist falsch, denn abgesehen davon, dass Abtreibungen dadurch nicht unterbunden werden, verhindert die Kriminalisierung eine angemessene ärztliche Behandlung der betroffenen Frauen", fügt Marta Machado, Juraprofessorin der brasilianische Getúlio Vargas-Stiftung (FGV), hinzu. Die Stiftung befasst sich vorrangig mit Wirtschaftsforschung.

Soziale Kosten

2008 waren illegale Abtreibungen verantwortlich für dreizehn Prozent der Todesfälle von Frauen weltweit - fast alle davon betrafen Frauen in Entwicklungsländern. Schätzungen zufolge erleiden jedes Jahr 8,5 Millionen Frauen Komplikationen nach illegalen Abtreibungen und drei Millionen erhalten keine adäquate medizinische Behandlung.

Rio+20 Dilma Rousseff Präsidentin Brasilien
Rousseff verteidigt offen die reproduktiven Rechte der FrauBild: REUTERS

"Wenn wir fordern, die Rechte auf Abtreibung zu erweitern, verteidigen wir die Frauen, besonders die armen Frauen, die keine Hilfe von Spezialkliniken bekommen", so Silva.

Laut WHO ist es immer üblicher geworden, Medikamente einzusetzen, sowohl für legale als auch für illegale Abtreibungen. In Lateinamerika ist diese Methode in Ländern wie Kolumbien, Mexiko und Brasilien verbreitet. Eine Vielzahl dieser Fälle endet im Krankenhaus. Die Hälfte der im Rahmen der Studie befragten Frauen wurden wegen Komplikationen eingeliefert, die mit dem Schwangerschaftsabbruch zu tun hatten.

Widerstand und Geduld

Die Lockerung der Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch stößt in der brasilianischen Gesellschaft auf breiten Widerstand. "Beeinflusst durch religiöse Gruppen wird die Frage nach der Autonomie der Frau hinsichtlich der reproduktiven Rechte im Kongress sehr kontrovers diskutiert. Das könnte die Zustimmung zu diesem Vorschlag verhindern", sagt Machado. Auch Silva wertet die Einstellung von religiös geprägten Politikern als Hindernis.

Bei der Formulierung des Schlussdokuments der UN-Nachhaltigkeitskonferenz Rio+20 beugte sich Gastgeber Brasilien dem Druck des Vatikans und strich den Ausdruck "reproduktive Rechte", der sich auf die Autonomie der Frau bezieht, zu entscheiden ob sie Kinder bekommen möchte und wann.

Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff verteidigt offen die reproduktiven Rechte der Frau und die Ministerin des Sekretariats für Frauenpolitik, Eleonora Menicucci, betont, dass ein Schwangerschaftsabbruch "keine ideologische Frage" sei, sondern eine Frage der öffentlichen Gesundheit.