1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rechtsextremismus in der Gesellschaft

Richard Fuchs14. August 2012

Der Vorwurf wiegt schwer: Eine Stiftung bezichtigt die deutschen Behörden, rechtsextreme Gewalt im Alltag zu bagatellisieren. Falsche Ausbildung des Personals und mangelndes Bewusstsein seien der Grund.

https://p.dw.com/p/15pGa
Polizisten stehen mutmaßlichen Neonazis gegenüber Foto: Jan Woitas (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Rechtsextreme Gewalt werde von Behörden regelmäßig bagatellisiert, die Gefährlichkeit der Täter negiert - zu diesem Schluss kommen die Opferschutz-Aktivisten der Amadeu-Antonio-Stiftung in einem am Dienstag (14.08.2012) veröffentlichen Report. Die Stiftung wirft darin deutschen Sicherheitsbehörden eine "systematische Verharmlosung" rechter Gewalttaten vor.

Dies werde vor allem im Umgang der Behörden mit den Opfern deutlich: "Sie werden von staatlichen Stellen nahezu systematisch im Stich gelassen", sagt Marion Kraske, die Autorin des Reports. Ihr Fazit: Man wolle die rechtsextreme Gewalt nicht sehen oder man könne sie mitunter nicht sehen, weil vielleicht auch das Problembewusstsein fehle.

Hilfsverweigerung wegen gebrochenem Deutsch

Für einen türkischen Imbissbetreiber aus Mücheln in Sachen-Anhalt sei diese Behörden-Haltung beinahe zum Verhängnis geworden, sagt Kraske. Sie berichtet von jenem 25. Feburar 2012, an dem der 25-Jährige in seinem Geschäft zusammengeschlagen wurde: Sechs Vermummte, darunter zwei Frauen, stürmten den Döner-Laden und verprügelten den Besitzer. Die offensichtlich aus rechtsextremen Motiven handelnden Täter hätten dabei ihr Opfer aufgefordert, den Imbiss zu schließen und die Stadt zu verlassen.

Dessen kurdischstämmige Frau habe daraufhin die Polizei informiert. "Die erste Reaktion des Beamten war, sich erst einmal darüber zu beschweren, dass die Frau gebrochen Deutsch sprach", sagt Kraske. Bei einer späteren Begehung des Tatorts durch die Polizisten sei es dann zu weiteren Entgleisungen und staatlichen Hilfsverweigerungen gekommen. Die erste Amtshandlung vor Ort habe darin bestanden, den angegriffenen Imbissbesitzer zunächst einmal einem Alkoholtest zu unterziehen. Im späteren Polizeiprotokoll hätten die Beamten dann zu Papier gebracht, bei der Auseinandersetzung habe es sich um einen Streit ums Rauchverbot gehandelt.

Marion Kraske: Autorin des Reports Foto: Richard Fuchs
Marion Kaske: Außmaß der Verharmlosung erschreckendBild: DW

"Dieser Fall ist symptomatisch für den Umgang von staatlichen Stellen mit rechtsextremer Gewalt", so Kraske, denn es werde der rechtsextreme Hintergrund häufig einfach negiert und die mangelnde interkulturelle Kompetenz der Beamten führe dann zu weiteren Fehlern.

Schlecht für das Image

Die rechtsextremen Taten würden schon deshalb kein Aufsehen erregen, weil sie in keiner Polizeistatistik auftauchen. Der politische Hintergrund der Tat bleibe oft im Dunkeln. "Rechtsextreme Gewalttaten landen dann in den Polizeistatistiken als ganz normale Schlägerei."

Systematisch werde außerdem oftmals auch von den Vertretern der betroffenen Städte und Gemeinden der Kampf gegen den rechtsextremen Alltagsterror unterbunden, klagen die Aktivisten. Denn vielen Bürgermeistern und Landräten sei der Ruf ihrer Kommunen wichtiger als der aktive Kampf gegen braune Umtriebe im Ort, der schlecht fürs Image sei. Das Ergebnis, sagt Kraske: "Die Leute, die rechtsextreme Gewalt anprangern, werden kriminalisiert und zu Nestbeschmutzern erklärt."

"Eine Kultur des Wegschauens" habe sich dadurch etabliert, prangert die Amadeu-Antonio-Stiftung an, die nach einem Opfer ausländerfeindlicher Gewalt benannt ist. Ein Tatbestand, der sich auch nach der Aufdeckung der rechtsextremen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) im Herbst 2011 nicht geändert habe, bedauert Kraske. Sie verwies dabei auf eine lange Tradition rechtsextremer Gewalt, die immer wieder auch von staatlicher Seite verdrängt worden sei.

Bundeskanzlerin Merkel bei einer Gedenkfeier für die Opfer der Neonazi-Mordserie Foto: Michael Gottschalk
Bundeskanzlerin Merkel bei einer Gedenkfeier für die Opfer der Neonazi-MordserieBild: dapd

Vor rund 20 Jahren erschütterte schon einmal eine Serie ausländerfeindlicher Anschläge die Republik: Im September 1991 attackierten Rechtsextreme eine Asylunterkunft in der sächsischen Stadt Hoyerswerda, im August 1992 griffen rund 400 Jugendliche in Rostock-Lichtenhagen in Mecklenburg-Vorpommern ein Asylbewerberheim an und steckten es in Brand und im November 1992 starben drei Türkinnen bei einem Brandanschlag auf ein Haus in Mölln in Schleswig-Holstein.

NSU-Mordserie heute und ausländerfeindliche Übergriffe vor 20 Jahren: Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, stellt fest, dass sich auf der Ebene des täglichen Handelns der Behörden nichts verändert habe. "Und das ist ein Skandal", sagt Kahane.

Statt die Neonazi-Mordserie als systematischen Terror einer Gruppe fanatischer Einzeltäter zu verharmlosen, müsse die Politik den Alltagsrassismus bekämpfen, fordert die Vorsitzende der Stiftung Kahane.

Die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane Foto: Richard Fuchs
Will ein Ende des Verharmloser-Kartells: Anetta KahaneBild: DW

Claudia Luzar, Leiterin der Opferberatungsstelle "Back Up" in Nordrhein-Westfalen, fordert zudem, gewachsene Strukturen im Kampf gegen die rechtsextreme Gewalt im Alltag dauerhaft zu unterstützen: "Es kann doch nicht wahr sein, dass die Projekte jedes Jahr einen Antrag stellen müssen, sich wieder was Neues einfallen lassen müssen, damit die Opfer von rechter Gewalt weiter beraten werden können im nächsten Jahr."

Ministerium: Einzelne Defizite, keine Systematik

Ulla Jelpke, Innenexpertin der Oppositionspartei Die Linke, forderte die Einrichtung einer politisch unabhängigen Dokumentationsstelle zur Beobachtung rechter Gewalt. "Die deutschen Sicherheitsbehörden sind offenkundig nicht in der Lage, mit ganzer Kraft gegen Nazis vorzugehen", sagt Jelpke.

In einer Stellungnahme des zuständigen Bundesinnenministeriums heißt es lapidar: "Einzelne Defizite bei den örtlichen Polizeibehörden stellen keinen Anlass dar, die insgesamt von den zuständigen Polizeibehörden konsequent verfolgte Linie bei der Bekämpfung der politisch rechts motivierten Kriminalität grundsätzlich in Frage zu stellen."

Für die Stiftungs-Vorsitzende Anetta Kahane sind solche Antworten offizieller Regierungsstellen der Beweis, dass ihre Stiftung noch viel Arbeit haben wird. Bislang funktioniere das "Kartell der Verharmloser", sagt sie.