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Stichwort Anwerbeabkommen

2. November 2011

Vor 50 Jahren schlossen Deutschland und die Türkei einen Vertrag, der es türkischen Arbeitnehmern erleichtern sollte, in der Bundesrepublik zu arbeiten. Sie kamen als Gastarbeiter, doch viele blieben. Ein Überblick.

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Türkische Männer sind mit dem Zug in den 1960er Jahren auf dem Weg nach Deutschland (Foto: picture-alliance)
Türkische Männer in den 1960er Jahren auf dem Weg nach DeutschlandBild: picture alliance / Beynelmilel

Gesunde, unverheiratete Türken sollten zum Arbeiten nach Deutschland kommen und die Türkei war bei der Vermittlung behilflich. Ein Vertrag zwischen den beiden Staaten regelte die Bedingungen für die Arbeitswilligen - die Fahrkarte und Reiseverpflegung in die Bundesrepublik waren für sie inklusive. Das Rückfahrticket in die türkische Heimat wurde hingegen von dem neuen deutschen Arbeitgeber nicht in jedem Fall bezahlt. So steht es in der "Regelung der Vermittlung türkischer Arbeitnehmer nach der Bundesrepublik Deutschland". Das so genannte Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei wurde am 30. Oktober 1961 in Bad Godesberg bei Bonn unterzeichnet.

Arbeiter für das deutsche Wirtschaftswunder

Viele Gastarbeiter gingen in Deutschland als Bergleute unter Tage - so wie diese Türken auf der Zeche Neu-Monopol im Ruhrgebiet. (Foto: dpa/undatiert)
Viele Gastarbeiter gingen in Deutschland als Bergleute unter Tage - so wie diese Türken auf der Zeche Neu-Monopol im Ruhrgebiet.Bild: picture-alliance/dpa

Zuvor hatte es bereits Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und Italien (1955) sowie Spanien (1960) gegeben. Nach der Türkei folgten bis 1968 noch Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien. Deutschland brauchte während des so genannten Wirtschaftswunders zusätzliche Arbeitskräfte. Nach dem Zweiten Weltkrieg war vor allem die Produktion in Westdeutschland so gewachsen, dass es in Fabriken und im Bergbau mehr Arbeit als Arbeitskräfte gab.

Das Anwerbeabkommen mit der Türkei regelte - ähnlich wie in den anderen Vertragsstaaten -, dass die Bundesrepublik in Istanbul eine "Verbindungsstelle" - eine Außenstelle des deutschen Arbeitsamtes - eröffnen durfte. Mit Unterstützung der türkischen Behörden. Arbeitgeber aus Deutschland konnten dieser Verbindungsstelle dann ihren konkreten Bedarf an Arbeitskräften mitteilen. Bewerbungen nahm zunächst die türkische Arbeitsvermittlung entgegen, traf eine Vorauswahl und organisierte die Vorstellung der Bewerber in der deutschen Verbindungsstelle. Dass eine große Zahl türkischer Männer zum Arbeiten nach Deutschland ging, hatte für die Türkei zwei Vorteile: Die Männer wurden in Deutschland gut bezahlt und schickten ihr Geld meist an ihre Familien in die Heimat. Außerdem qualifizierten sich die Arbeiter durch ihre Jobs weiter und sollten ihr Wissen später zurück in die Türkei mitbringen.

Einwanderung war nicht erwünscht

Der türkische Arbeitsminister Ali Naili Erdem (l.) im Gespräch mit Landsleuten, die 1964 in der Autoproduktion arbeiten (Foto: dpa)
Der türkische Arbeitsminister Ali Naili Erdem (l.) im Gespräch mit Landsleuten, die 1964 in der Autoproduktion arbeitenBild: picture alliance/dpa

Der Einsatz der türkischen Arbeitskräfte sollte zeitlich begrenzt sein, darum hießen sie damals - wie auch die Italiener, Griechen oder Spanier - Gastarbeiter. Nach jeweils zwei Jahren sollten sie wieder in die Heimat zurückkehren und neue Arbeitskräfte kommen, um eine Einwanderung zu verhindern. Auch der Familiennachzug war zunächst verboten. In einer Neufassung des Anwerbeabkommen mit der Türkei wurde 1964 auf Wunsch der Arbeitgeber die zeitliche Befristung von zwei Jahren für jeden Gastarbeiter geändert. Es war zu teuer und aufwendig immer wieder neue Arbeiter zu holen und einzuarbeiten. Später durften die Männer auch ihre Familien nach Deutschland holen.

Anwerbestopp wegen Wirtschaftskrise

Dem Wirtschaftswunder in Deutschland folgte - ausgelöst durch die weltweite Ölkrise - Anfang der 1970er Jahre eine Wirtschaftskrise. Die Anwerbung von Gastarbeitern nach Deutschland wurde 1973 gestoppt. Zwischen 1961 und 1973 bewarben sich laut Bundesregierung 2,7 Millionen Türken um einen Arbeitsplatz in Deutschland, aber nur bis zu 750.000 seien tatsächlich gekommen. Schätzungen zufolge ist die Hälfte dieser Gastarbeiter wieder in die Türkei zurückgegangen. Die andere Hälfte blieb in Deutschland.

2,5 Millionen türkische Migranten

Eine türkische Seniorengruppe in Nürnberg trinkt Tee: Mehr als 100.000 türkische Senioren leben in Deutschland, deren Zahl innerhalb der nächsten Jahre stark ansteigen wird (Foto: dpa)
Eine türkische Seniorengruppe in Nürnberg trinkt Tee: Mehr als 100.000 türkische Senioren leben in Deutschland.Bild: picture-alliance/ dpa

Heute leben rund 2,5 Millionen Menschen in der Bundesrepublik, die einen türkischen Migrationshintergrund haben. Das heißt, entweder sie selbst oder ihre Eltern sind in der Türkei geboren. Damit sind sie die größte Migrantengruppe in Deutschland. 700.000 der türkischen Migranten besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Anders als Bürger einiger EU-Staaten dürfen Türken auf Dauer keine doppelte Staatsbürgerschaft behalten. Für sie gilt das so genannte Optionswahlrecht: Wenn sie in Deutschland geboren wurden und die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft besitzen, müssen sie sich bis zum 23. Lebensjahr für den einen oder anderen Pass entscheiden.

Deutschland wird Einwanderungsland

Trotz der ehemaligen Gastarbeiter aus der Türkei und den anderen Staaten, die in großer Zahl in Deutschland geblieben sind: Erst mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht aus dem Jahr 2000 und durch das Zuwanderungsgesetz von 2005 wurde die Bundesrepublik de facto zum Einwanderungsland erklärt.

Autorin: Klaudia Prevezanos
Redaktion: Arne Lichtenberg