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Ein boomendes Geschäft

Wolfgang Dick19. März 2014

Der Prozess gegen Uli Hoeneß hat Experten ins Rampenlicht gerückt, die am liebsten im Verborgenen arbeiten. Sie beraten Steuerhinterzieher gegenüber Finanzbehörden und können sich vor Arbeit kaum retten.

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Mandant und Richter stehen sich gegenüber
Bild: Fotolia/Kzenon

So wie der Fußballmanager Uli Hoeneß versuchten alleine im vergangenen Jahr 25.000 Menschen in Deutschland einer Strafe zu entgehen, weil sie Angst hatten, dass Fahnder steuerpflichtige Einnahmen entdecken, die dem Finanzamt nicht gemeldet wurden. Zum Beispiel Zinseinkünfte auf Bankkonten in der Schweiz, in Liechtenstein oder Luxemburg. Wer solche Gelder noch "offenbaren", also nachmelden will, bleibt nach deutschem Recht nur dann straffrei, wenn eine so genannte "Selbstanzeige" vorgelegt wird. Für diese Anzeigen gelten aber sehr strenge Bedingungen, um anerkannt zu werden. Im Fall Hoeneß wurden diese Bedingungen nicht erfüllt - die Selbstanzeige wurde vom Gericht nicht als strafbefreiend anerkannt.

Inzwischen profitiert eine Heerschar von Spezialisten davon, wirksame Steuermeldungen zu erstellen. Eine regelrechte Industrie mit Zuwachsraten von rund 30 Prozent an Aufträgen ist entstanden. Kanzleien halten Teams von Steuerberatern und Strafrechtlern vor, um alle Fragen abzudecken. Oft sind die Experten ehemalige Finanzbeamte, die die Arbeitsweise der Sachbearbeiter und Ermittler aus eigener Erfahrung kennen. Karsten Randt von der Steuerberatung "Flick Gocke Schaumburg" weiß, worauf es ankommt: "Wichtig ist die Vollständigkeit der Unterlagen. Wenn da nur ein Zeitraum fehlen würde, in dem eine Steuerhinterziehung noch nicht verjährt ist, ist die gesamte Selbstanzeige unwirksam", so Randt. Und auch wenn nur eine Steuerart übersehen würde, gelte dasselbe. Ständige Abstimmung und vollkommene Offenheit zwischen Anwälten und den Steuersäumigen sei daher absolut notwendig.

Einsatz rund um die Uhr

Prof. Dr. Björn Gercke
Strafrechtler Björn GerckeBild: DW/W. Dick

Damit alles gelingt und Informationen nicht zu spät kommen, bieten Berater häufig sogar Notruftelefone, die rund um die Uhr besetzt sind. Björn Gercke, der mit einem Partner eine eigene Kanzlei betreibt, hat auch schon seinen Urlaub für dringende Fälle abgebrochen. "Vor allem nach dem Fall Hoeneß hat es oft nachts geklingelt". Deutsche Mandanten, die im Ausland lebten, hatten Angst bekommen und wollten wissen, wie sie sich verhalten sollen.

Eine enge Abstimmung habe schon vieles möglich gemacht. Stolz berichtet Gercke von einem soeben abgeschlossenen Fall, in dem einem 80-Jährigen Mann eine Steuerhinterziehung von acht Millionen Euro vorgeworfen wurde. Hier sei ein mildes Urteil von einer einjährigen Haftstrafe auf Bewährung ohne eine Hauptverhandlung erreicht worden. Es habe in dem Fall einfach sehr viele schwierige Rechtsfragen gegeben. "Staatsanwaltschaft und Gericht wussten, viele Vorwürfe würden nur schwer nachweisbar sein".

Deals - einvernehmliche Einigungen

Björn Gercke findet es durchaus legitim, Schwachstellen auf Seite seiner Verhandlungspartner zu nutzen. "Man muss schon mal seine Folterwerkzeuge zeigen" sagt Gercke und erklärt, was er damit meint. Meist bedeute es, der ohnehin überlasteten Justiz sehr viel Material zur Prüfung anzubieten. Er nutze unterschiedliche Zuständigkeiten der Behörden oder er verweise auf den Gesundheitszustand beziehungsweise ein hohes Alter seiner Klienten. Mit Trümpfen in der Hand gebe es meist ein Einlenken oder Entgegenkommen. 80 Prozent aller Steuerstrafverfahren würden mit so genannten Deals beendet, solange man mit den Steuerbehörden fair und ehrlich miteinander umgehe.

Bedenklich findet der Fachanwalt für Strafrecht allerdings, dass prominente Steuersünder Nachteile in der Behandlung erfahren. Um sich nicht vorwerfen zu lassen, öffentliche Personen zu bevorzugen, würden Finanzbehörden zum Gegenteil tendieren und Prominente eher härter verfolgen. "Es gibt einen Promi-Malus" meint Gercke. Seinem Eindruck stimmen viele Fachleute im Gespräch mit der Deutschen Welle zu. Einen Einfluß auf die Personen, die Rat bei den Spezialkanzleien suchen, habe das nicht. "Freiwillig, nur aus schlechtem Gewissen kommt keiner", sagt Gercke.

Öffentlichkeitsscheue Kunden

Roswitha Prowatke
Steuerrechtlerin Roswitha ProwatkeBild: DW/W. Dick

Die Triebkraft für Selbstanzeigen beim Finanzamt sei Angst vor Entdeckung. Im Büro von Rechtsanwältin und Steuerberaterin Roswitha Prowatke von der Kanzlei LHP nehmen in jüngster Zeit immer häufiger vermögende Unternehmer oder Erben Platz, die gar nicht von deutschen Behörden gejagt werden. Sie bekommen vielmehr die "Weißgeldstrategie" Schweizer Banken zu spüren. "Es gibt regelrechte Drohszenarien." Mandanten würde von den Banken im Alpenland das Ende der Geschäftsbeziehung angedroht, wenn sie nicht darlegen könnten, dass die Kapitalerträge versteuert sind. Ähnliche Tendenzen gibt es in Liechtenstein. Ab März 2015 droht Steuersündern zudem der Start des Auskunftsabkommens mit Luxemburg.

"In Tränen aufgelöst kommt aber keiner", stellt Roswitha Prowatke klar. Die meisten Kunden sind schließlich Geschäftsleute. Statt Taschentüchern gibt es im Besprechungsraum zum ersten Kennenlern-Gespräch einen starken Kaffee. Dann gehe es direkt um die Suche benötigter Unterlagen. 300 Fälle bearbeitet Anwältin Prowatke derzeit. Noch vor vier Jahren waren es gerade einmal zehn im Jahr. Sehr nervös seien die Leute jetzt. Oft hätten sie sich vorab nicht einmal mit ihrem richtigen Namen gemeldet, weil sie erst Vertrauen fassen wollten. "Die Mandanten geben sehr viel dafür, nicht in die Öffentlichkeit zu kommen". Dafür akzeptieren sie sogar Geldauflagen, nur um nicht in eine anstrengende öffentliche Hauptverhandlung zu müssen. "Selbst wenn vielleicht sogar ein Freispruch möglich wäre". Die Frage, warum es zur Steuerhinterziehung gekommen ist, verkneift sich die Steuer- und Rechtsexpertin. Die Rechtfertigungen sind ohnehin bekannt. Die Eltern hätten im Ausland einen Notgroschen gebunkert. Man habe schlicht die Übersicht verloren. Der Staat seinerseits verschwende Steuergelder ohne die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Das exklusive Know-How für die erfolgreiche Bewältigung einer Steuerhinterziehung kostet. Es wird häufig nach zeitlichem Aufwand abgerechnet. "Man kann gut davon leben", schmunzelt Anwalt Björn Gercke. In der Berater-Branche sind Stundensätze von 300 bis 600 Euro netto keine Seltenheit. Dafür müsste ein Durchschnittsverdiener in Deutschland 18 bis 36 Stunden arbeiten. In Afrika oder Asien lebt ein Mensch davon bis zu einem halben Jahr. Die Auseinandersetzung über das komplizierte deutsche Steuersystem, das nur noch von Experten optimal betreut werden kann, hält weiter an.