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"Inseln der Stabilität in Afrika"

Dagmar Engel25. März 2014

Der deutsche Außenminister auf Afrika-Reise: Frank-Walter Steinmeier besucht Äthiopien, Tansania und Angola. Wirtschaftliche Entwicklung und Demokratie seien nicht zu trennen, so der SPD-Politiker im DW-Interview.

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Außenminister Steinmeier im Regierungsflugzeug auf dem Weg von Äthiopien nach Tansania - (Foto: Michael Kappeler/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Die Lage in der Ukraine ist hochgradig angespannt, in Europa gibt es eine gefährliche Krise. Ist das der richtige Zeitpunkt für eine Afrikareise, können Sie sich überhaupt auf die Länder, die Sie hier besuchen, einlassen, Herr Steinmeier?

Frank-Walter Steinmeier: Es ist ja nie so, dass wir die Chance hätten, uns auf einen einzigen Konflikt weltweit zu konzentrieren und alles andere auszublenden. Aber in diesen Wochen, in der gegenwärtigen Situation ist es besonders schwer, den Konflikt um die Ukraine hinter sich zu lassen und sich ganz auf Afrika zu konzentrieren. Wir sind natürlich ständig in Kontakt mit Berlin und mit der deutschen Botschaft in Kiew. Trotzdem es ist sehr wichtig, dass wir unseren Respekt vor den drei afrikanischen Staaten, die wir hier besuchen, zeigen und auch zeigen, dass uns nicht immer alles andere wichtiger ist.

Haben wir in den vergangenen Jahren zu viel von Augenhöhe geredet und zu wenig Respekt gezeigt?

Afrika hat sich jedenfalls schneller verändert als unsere Wahrnehmung von Afrika. Das heißt nicht, dass der afrikanische Kontinent plötzlich ein Kontinent mit prosperierender Wirtschaft und freier Demokratie und Menschenrechten geworden ist. Aber er ist vielleicht unterschiedlicher geworden: Es gibt nach wie vor die Hotspots, die bilateralen Konflikte zwischen Staaten, häufig auch die Auseinandersetzung zwischen Staat und ethnischen und religiösen Minderheiten. Das alles ist vorhanden. Aber wir dürfen nicht mehr übersehen, dass es auch wachsende Horte der Stabilität gibt, sogar mit bilateraler oder regionaler Kooperation. Eine Entwicklung, wie wir sie uns aus Europa heraus immer gewünscht haben.

Wir sprechen immer davon, dass die deutsche Außenpolitik werte- und interessensgeleitet ist. Wie sprechen Sie Menschenrechtsfragen beispielsweise in Äthiopien an, einem Land, in dem praktisch keine Opposition zugelassen ist?

Das haben wir intensiv thematisiert mit dem äthiopischen Ministerpräsidenten, der da auch sehr argumentationsfähig war. Er besteht auf einem besonderen äthiopischen Weg. Im Fernziel seien wir uns einig: Auch die äthiopische Regierung wolle Demokratie und die Beachtung der Menschenrechte. Aber Deutschland und Europa hätten eine über hundertjährige Entwicklung hinter sich, so lange werde Äthiopien sicher nicht brauchen. Wir haben das zur Kenntnis genommen und doch darauf verwiesen, dass nach unserer Erfahrung wirtschaftliche Entwicklung und Demokratie nicht auseinanderzureißen sind.

Außenminister Steinmeier (links) mit dem äthiopischen Außenminister Tedros Adhanom. (Foto: DW/Getachew Tedla)
Steinmeier mit dem äthiopischen Außenminister Tedros AdhanomBild: DW/Getachew Tedla

Sie sind in drei stabilen Ländern unterwegs. Gerd Müller, der Minister für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit, fährt im Anschluss an Ihre Reise nach Mali und in den Südsudan. Gibt es eine Aufteilung: Der Außenminister geht in die prosperierenden Länder, der Entwicklungsminister in die krisenhaften Staaten?

Nein, das ist ja nicht so: Der Großteil der Gespräche in Äthiopien hat sich mit der Situation in Somalia, im südlichen Sudan oder den Kernkonflikt hier zwischen Äthiopien und Eritrea selbst befasst - das ist auch eine Konfliktregion! In Äthiopien habe ich meine Afrikareise angefangen, um auch zu zeigen, dass der Sitz der Afrikanischen Union eben auch mehr ist als nur Hoffnung. Die Gespräche mit der AU und ihrer Führung waren wirklich erstaunlich: selbstbewusst, aber auch getragen von Verantwortung für die Entwicklung in Afrika. Von der Entwicklung der Handelsbeziehung bis hin zur Entwicklung von Wirtschaft, vor allem aber zur Gewährleistung von Sicherheit und Frieden. Natürlich ist vieles unvollständig - aber wir unterschätzen auch in Deutschland und in Europa, was alles auf den Weg gebracht worden ist. Die AU ist inzwischen mit gewachsener Autorität in den afrikanischen Staaten unterwegs, wird akzeptiert als Chefverhandler mit internationalen Organisationen, auch mit der EU.

AU-Gipfel in Addis Abeba Äthiopien (Foto: imago)
Treffen der Afrikanischen Union: "Die AU ist inzwischen mit gewachsener Autorität in den afrikanischen Staaten unterwegs"Bild: Imago

Betrifft das auch den militärischen Einsatz in Konfliktregionen?

Die AU ist insgesamt mit etwa 70.000 Soldaten in innerafrikanischen Konflikten unterwegs, um dort als Peacekeeper tätig zu sein oder unfriedliche Zustände zu beseitigen. Was mir aufgefallen ist: Niemand erwartet von uns die Entsendung von Soldaten in Kampfeinsätze, sondern es ist fast umgekehrt. Viele sagen hier, "wir sind es leid, in Europa, in Amerika, bei den UN ständig um Soldaten nachzufragen. Wir wollen das eigentlich selbst können". "African Owner" heißt das Stichwort. Die Bitte an uns lautet: "Unterstützt die afrikanischen Staaten oder die AU, ihre eigenen Fähigkeiten auszubilden." Deshalb wird Beratung, Training, auch Ausrüstung in Zukunft noch wichtiger sein, als wir das in Deutschland wahrgenommen haben.

Die Frage ist in der Regel: Wie kann Deutschland, wie kann Europa Afrika helfen. Umgekehrt gefragt: Wie profitiert Deutschland von Afrika?

Wir sind positiv und negativ voneinander berührt. Kaum ein Konflikt ist noch regional. So wie die Afrikaner jetzt viele Jahre von der europäischen Krise betroffen waren, weil einfach sehr viel weniger Finanzmittel zur Verfügung gestanden haben, weil einzelne Staaten in Europa überhaupt nicht mehr in der Lage waren, sich um ihre afrikanischen Kooperationspartner zu kümmern, so sind wir auch von innerafrikanischen Krisen in gleicher Weise berührt, meistens durch Flüchtlingsbewegungen. Und deshalb profitieren wir davon, wenn sich Inseln der Stabilität in Afrika bilden. Ganz vorsichtig vielleicht im Augenblick in Ostafrika, wo wir in Kenia, Tansania, Ruanda, Burundi eine Entwicklung haben, die Anfänge einer regionalen Kooperation zeigt.

Ähnlich in Nordafrika, wenn ich auf die Entwicklung in Tunesien schaue. Sicherlich, die Lage in Ägypten und Libyen muss uns beunruhigen. Es sieht eher danach aus, dass wir die Spitze der Eskalation noch nicht gesehen haben. Tunesien aber hat in einem schwierigen innerstaatlichen Prozess eine neue Verfassung auf den Weg gebracht und bereitet jetzt einen zivilen Regierungswechsel vor. Ich habe den scheidenden Ministerpräsidenten angerufen, der ganz verdutzt war und fragte, "warum rufen Sie mich an?" Ich hab ihm dann gesagt: weil ich mich dafür bedanken will, dass Sie einer Vorbereitung einer Wahl und einem demokratischen und zivilen Wechsel in der politischen Führung des Landes durch Ihren Rücktritt den Weg bereiten. Das war eine große persönliche Leistung, die auch mit Verzicht auf eine eigene politische Karriere verbunden war. Deshalb sage ich: In Tunesien haben wir im Moment eine Sonderentwicklung, die verdient von uns unterstützt zu werden.

Tunesien neue Verfassung Parlament Flagge Tunis
Das tunesische Parlament: "Eine Sonderentwicklung"Bild: Reuters

Noch mal zum Thema interessengeleitete Außenpolitik: Ein Ziel der Reise ist Angola, ein Land reich an Rohstoffen. Sind Rohstoffe das wesentliche Positive, das wir von Afrika erwarten?

Noch einmal in aller Deutlichkeit: Es gibt vielfältige Beziehungen zu Afrika und zur AU, die uns auch von einer friedlichen und stabilen Entwicklung in einzelnen Regionen in Afrika profitieren lassen. Die Stationen dieser Reise sind ja auch so unterschiedlich, dass man diese Reise nicht zurückschneiden kann auf die oberflächliche Sicherung von Rohstoffinteressen - ganz im Gegenteil. Tansania beispielsweise ist ein Land, das nicht durch Rohstoffinteressen mit uns verbunden ist, sondern wegen langer traditioneller politischer Verbindungen. Und Angola ist ein drittes Land in einer ganz anderen Kategorie. Sicher wirtschaftlich von diesen drei Staaten am stärksten prosperierend, aber was die politische Entwicklung angeht, auch deutlich nachhängend. Man darf natürlich auch Interessen aus der Außenpolitik nicht völlig ausblenden. Das wäre auch naiv, beziehungsweise, wenn es der Außenminister sagt, nicht ehrlich. Aber ich versuche eben zu zeigen: Darauf darf Außenpolitik nicht reduziert werden und sich nicht selbst darauf reduzieren, sondern für uns steht der politische Aspekt im Vordergrund.

Ölproduktion in Angola (Foto: MARTIN BUREAU/AFP/Getty Images)
Ölproduktion in Angola: Bei der Reise geht es nicht vorrangig um Rostoffinteressen, sagt SteinmeierBild: MARTIN BUREAU/AFP/Getty Images

Sie haben zu Beginn Ihrer Amtszeit eine Afrika-Strategie angekündigt. Wären Sie gerne mit einer fertigen Strategie hergekommen?

Das ist ja nicht nur eine Frage der aufgeschriebenen Strategie. Wer sich ein paar Jahre in der Politik bewegt, weiß, dass es klug ist, sich vorher Gedanken zu machen, wo will man ungefähr hin. Aber man weiß auch, dass die Realität die Eigenschaft hat, sich meistens nicht an den Papieren und Konzepten auszurichten. Insofern geht es ja gerade darum, die Konzepte und Ideen zu konfrontieren mit einer Realität und dadurch die Konzepte besser werden zu lassen - deshalb auch mein Besuch hier, und deshalb in einer Phase, in der das Afrikakonzept noch in der Erarbeitung ist.

Das Gespräch führte Dagmar Engel.