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Keine Beschneidung ohne Einverständnis des Betroffenen

Dagmar Breitenbach25. Juli 2012

Jungen müssen alt genug sein, um selber einer religiösen Beschneidung zustimmen zu können. Diese Meinung vertritt Maximilian Stehr, Professor für Kinderchirurgie an der Uniklinik München, im DW-Interview.

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Maximilian Stehr, Facharzt für Kinderchirurgie an der Uniklinik München *** Pressebild, eingestellt im Juli 2012
Maximilian Stehr Kinderchirurg an der Uniklinik MünchenBild: Klinikum der Universität München, M. Woelke

Deutsche Welle: Wie wirkt sich das Urteil des Kölner Landgerichts zur religiösen Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Jungen konkret auf Kinderärzte und -chirurgen hierzulande aus?

Maximilian Stehr: Zunächst muss man sagen, dieses Urteil hat ja kein Recht geändert, es hat lediglich geltendes Recht ausgelegt und angewendet. Eine Auswirkung gibt es natürlich für die Kollegen und Kolleginnen im Bereich der Kinderchirurgie und -urologie dahingehend, dass diese Diskussion die Öffentlichkeit erreicht hat und dass dieser sogenannte Verbotsirrtum sicherlich nicht mehr greifen würde, falls es mal wieder zur Anklage käme. Ich weiss auch von vielen Kollegen und Praxen, die derzeit diese Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Knaben nicht durchführen.

Was empfehlen Sie Ärzten, die bei Ihnen anfragen, sollen wir oder dürfen wir diese Operation durchführen?

Nicht erst seit diesem Urteil empfehle ich eigentlich immer das Gleiche. Ich war schon immer der Auffassung, dass dieser Eingriff nicht mit geltendem Recht und auch nicht mit geltender medizinethischer Überlegung in Einklang zu bringen ist. Und so empfehle ich weiterhin, diesen Eingriff nicht durchzuführen, sondern die religiös motivierte Beschneidung, wenn sie denn durchgeführt werden soll, in einem Alter durchzuführen, in dem das Kind oder der Jugendliche einwilligungs- oder zumindest konsensfähig ist.

Würden Sie demnach die mangelnde Einwilligungsfähigkeit eines Babys als ein größeres Problem ansehen als die körperliche Unversehrtheit?

Ich glaube, das kann man so nicht voneinander trennen. Die körperliche Unversehrtheit ist definitiv das höchste Gut. Das ist unbestritten. Es gibt sicherlich Indikationen und Situationen, in denen der Mensch selber über seinen eigenen Körper dahingehend bestimmen möchte, ob er etwas verändert. Das ist in der Schönheitschirurgie ja gang und gäbe. Und das ist auch in der Kinderchirurgie ein Thema, wenn wir zum Beispiel abstehende Ohren operieren. Dazu bedarf es aber zwingend an Einsichtsfähigkeit über die Tragweite, Risiken und Nebenwirkungen seitens des Kindes oder des Jugendlichen selber. Das ist erst mit 14 oder 16 Jahren gegeben.

Inwiefern geht es hier auch um ärztliche Ethik?

Die ärztliche Ethik ist ganz stark angelehnt an den Hippokratischen Eid. Unser ganzes ärztliches Handeln ist bestrebt, zu heilen und dabei zum Nutzen und Besten des Patienten nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. Noch ein Grundsatz gilt: niemals Schaden zufügen. Beide Grundsätze sind gefährdet, wenn man eine Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Knaben durchführt.

Das heißt, eine medizinisch nicht notwendige Operation?

Es ist eine nicht notwendige Operation. Allen Nutzen den man ihr, teilweise zu Recht, zubilligen kann, sei es jetzt zum Beispiel im Hinblick auf die Übertragung sexueller Erkrankungen oder sei es im Hinblick auf die Malignom-Entwicklung oder Peniskarzinome, das sind alles Gründe, die durchaus die Zirkumzision als mögliche Präventionsmaßnahme ins Spiel bringen - aber nicht in diesem Alter.

Die Bundesregierung arbeitet auf eine zügige Lösung hin, man hat angedeutet, eine gesetzliche Regelung schaffen zu wollen, um den religiösen Ritus weiter zu ermöglichen. Müsste eine machbare Lösung für Sie altersgebunden sein?

Ich sehe überhaupt keinen Grund, irgendein Gesetz neu zu kreieren. Man muss einfach geltendes Recht und geltende Medizinethik anwenden, mehr ist gar nicht gefordert. Dann kommt man nämlich automatisch an den Punkt, an dem wir jetzt stehen: Wenn solche medizinisch nicht indizierten Eingriffe durchgeführt werden sollen, bedürfen sie zwingend der Zustimmungsfähigkeit seitens des Patienten. Ich halte es für wahnsinnig gefährlich, wenn man jetzt ein Sondergesetz erlassen würde, welches einen solchen Eingriff bei Knaben jüdischer Herkunft zum Beispiel erlauben würde. Das widerspricht vollkommen dem Gleichheitsgrundsatz. Da kann man sofort dagegen argumentieren, dass das erst recht eine Diskriminierung ist.

Aber momentan ist es so, dass die Eltern bestimmen, da sie das Sorgerecht haben?

Das Sorgerecht der Eltern erstreckt sich nur auf Entscheidungen, die eindeutig zum Wohle des Kindes getroffen werden. Deshalb halte ich diesen Eingriff auch für rechtswidrig. Man kann es nur so regeln, dass die Religionsgemeinschaften sich darauf verständigen können, dass man diesen Akt tatsächlich verschiebt in eine Zeit, wenn das Kind einwilligungs- oder konsensfähig ist. Es muss ein Kompromiss sein, aber ich sehe keinen durchführbaren Kompromiss, der dahin führt, dass irgendwelche Sondergesetze für irgendwelche Religionsgemeinschaften oder sonstige Gemeinschaften auf den Weg gebracht werden, weil das so dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht - das wird ein Bumerang.

Maximilian Stehr ist Professor für Kinderchirurgie an der Universitätsklinik München und Vorsitzender der AG Kinderurologie der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH). Kinderchirurgen in Deutschland beschäftigen sich schon seit längerem mit dem Thema Beschneidung, und viele sehen ihre Meinung mit dem Urteil des Kölner Landgerichts zur religiösen Beschneidung bestätigt.

Das Interview führte Dagmar Breitenbach