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Wie aus Verrätern Helden wurden

Monika Dittrich20. Juli 2014

Am 20. Juli 1944 sollte Adolf Hitler sterben. Offiziere der Wehrmacht hatten ein Attentat geplant. Doch Hitler überlebte; der Staatsstreich scheiterte. Es dauerte lange, bis die Deutschen den Umsturzversuch würdigten.

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Gedenkstätte am Bendler-Block.
Bild: picture-alliance/akg-images

Im Sommer 1951 machte das Allensbacher Institut für Demoskopie eine wichtige Umfrage. Die Meinungsforscher wollten von den Bundesbürgern wissen, was sie über den 20. Juli 1944 dachten. Nur ein gutes Drittel der Befragten hatte eine positive Meinung über die Männer und Frauen, die vergeblich versucht hatten, das NS-Regime zu stürzen. Und noch 1956 war die Mehrheit der Bürger dagegen, eine Schule nach Claus Schenk Graf von Stauffenberg zu benennen, dem gescheiterten Hitler-Attentäter.

Die Deutschen taten sich lange Zeit schwer damit, den Widerstand gegen die Nazi-Diktatur zu würdigen. Was heute selbstverständlich erscheint, "ist in Wirklichkeit das Ergebnis eines langen und vielfach widersprüchlichen Prozesses", schrieb kürzlich Johannes Tuchel, der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. "Vieles wurde dabei ignoriert, verdrängt, vergessen."

Theodor Heuss redete den Deutschen ins Gewissen

Das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 war der wichtigste Umsturzversuch in der Nazi-Zeit. Die Widerstandskämpfer stammten vor allem aus dem deutschen Adel und den Führungskreisen der Wehrmacht. Es war der Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der am 20. Juli 1944 versuchte, Hitler im Führerhauptquartier "Wolfsschanze" mit einer Sprengladung zu töten. Doch der Diktator überlebte; der Staatsstreich scheiterte. Stauffenberg wurde noch in der folgenden Nacht hingerichtet, so wie in den Tagen und Wochen danach hunderte Menschen, die mit der Planung des Attentats in Verbindung gebracht wurden.

Zerstörter Raum in der Wolfsschanze. Foto: Foto: Heinrich Hoffmann/dpa.
Nach dem misslungenen Attentat 1944: Zerstörter Raum im Führerhauptquartier in BerlinBild: picture-alliance/dpa

Die Widerstandskämpfer wurden als Hochverräter dargestellt, die den Fahneneid gebrochen hätten, den sie auf Adolf Hitler geschworen hatten. Diese Meinung teilten viele Deutsche auch noch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Es war vor allem Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, der den Deutschen ins Gewissen redete und sie davon zu überzeugen suchte, dass der Widerstand gegen Hitler kein Verrat war und die Gehorsamsverweigerung eines Graf Stauffenberg sogar ehrenhaft.

Der "Fahneneid wurde von einem Mann geleistet, der formal-rechtlich und moralisch-geschichtlich einen mehrfachen Eidbruch schon hinter sich hatte", sagte Heuss 1954, zum zehnten Jahrestag des versuchten Attentats. Zwei Jahre zuvor war erstmals im Bendler-Block an die Widerstandskämpfer des 20. Juli erinnert worden.

Institution der deutschen Erinnerungskultur

"Die Rede von Theodor Heuss hat eine Wende in der Rezeptionsgeschichte des Deutschen Widerstandes ausgelöst", sagt Rüdiger von Voss im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der Jurist hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Erinnerung an die Widerstandskämpfer wach zu halten. Sein Vater gehörte zu den Verschwörern; er selbst engagiert sich für die Stiftung und die Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944.

Zum 70. Jahrestag des Umsturzversuches hat er ein Buch herausgegeben mit Reden, die in der Bundesrepublik bei Gedenkfeiern zum 20. Juli gehalten wurden. "Wenn man das liest, hat man einen glänzenden Überblick über die Debatte um die geistige und auch politische Substanz des Widerstandes", sagt von Voss. Außerdem dokumentieren diese Ansprachen, wie sich die Bedeutung des 20. Juli 1944 verändert hat: Mittlerweile ist das Datum ein fester Bestandteil der deutschen Erinnerungskultur.

Die Grenzen von Eid und Gehorsam

Dazu waren auch "harte Sätze" notwendig, wie es Theodor Heuss 1954 ankündigte: "Es gibt Gehorsamsverweigerungen, die historischen Rang besitzen". Die mächtigen und eindringlichen Worte des ersten Bundespräsidenten waren Voraussetzung dafür, den Umsturzversuch als Aufstand des Gewissens zu erkennen und zu würdigen. "Theodor Heuss war der erste, der das verheerende Versagen der Führungseliten in Deutschland beim Namen nannte", so Rüdiger von Voss.

Merkel bei Eröfnung Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Foto: Michael Sohn/dpa.
Der lange Weg bis zur Anerkennung: Angela Merkel bei Eröffnung der Gedenkstätte Widerstand in BerlinBild: picture-alliance/dpa

Von einer moralischen Pflicht zum Tyrannenmord sprach 1958 der Sozialdemokrat Carlo Schmid: "Wenn es keinen anderen Weg gibt, sich aus solcher Not zu befreien, dann ist es sittlich erlaubt, - ja, geboten –, den zu töten, der uns, der unser ganzes Volk in den Stand der Unmenschlichkeit zu versetzen droht."

Viele Redner dieser Zeit nahmen auch Bezug auf den 17. Juni 1953, den Tag des Volksaufstandes in der DDR. Die Parallele sollte offenbar verdeutlichen, dass auch der versuchte Mord an Hitler ein rechtmäßiger Kampf für Freiheit und Menschenrechte war. Es ist auffällig, wie oft es in den Reden und Debatten dieser Zeit um die Grenzen von Eid und Gehorsam geht, um eine "Pflicht zum Hochverrat", wie es der Religionsphilosoph Ernst Steinbach 1968 formulierte.

Gesamtdeutsches Erinnern an den Widerstand

Es war eine langwierige Aufgabe der Geschichtspolitik, den Widerstandskämpfern einen festen Platz im Gedenken einzuräumen. Dazu beigetragen haben Redner wie der Schriftsteller Carl Zuckmayer, der 1969 sagte: "Diese Männer wussten, dass es nur eine geringe Hoffnung gab, zu gewinnen, und dass sie es dennoch wagen müssten. Sie wagten es in der größeren Hoffnung, dass ihrer Tat, auch wenn sie scheitern sollte, eine zukünftige Leuchtkraft innewohne."

Eine bemerkenswerte Gedenkfeier gab es 1990: kein runder Jahrestag, aber das erste gesamtdeutsche Erinnern an den Widerstand. Die DDR-Führung hatte das Attentat vom 20. Juli jahrzehntelang ignoriert, vor allem, weil die konservativen und adeligen Verschwörer um Stauffenberg nicht in das sozialistische Menschenbild passten.

"Durchschnittsmenschen in einem totalitären Staat"

Mit dem Blick auf zwei vergangene deutsche Diktaturen warnte der spätere Bundespräsident Roman Herzog seine Landsleute vor Duckmäuserei. Herzog lenkte den Blick 1990 auf diejenigen, "die nichts getan haben als wegschauen". So würden sich seiner Ansicht nach – und nicht nur in Deutschland – auch heute wieder die meisten verhalten: "Und von diesen, den ganz normalen Durchschnittsmenschen in einem totalitären Staat, ist hier zu sprechen."

Öffentliches Gelöbnis von Bundeswehrsoldaten. Foto: REUTERS/Tobias Schwarz.
Die Grenzen des Gehorsams: Öffentliches Gelöbnis von BundeswehrsoldatenBild: REUTERS

Mangel an Zivilcourage

Und heute? Aus den Verrätern sind in der öffentlichen Wahrnehmung längst Helden geworden. Das Gedenken an die Widerstandskämpfer gehört mit Kranzniederlegungen und feierlichem Rekrutengelöbnis inzwischen zum offiziellen Erinnerungskanon. Aber: "In den Schulen hat der deutsche Widerstand weitgehend noch keinen Platz gefunden", bemängelt der Jurist Rüdiger von Voss.

Dabei sei die Beschäftigung mit den Ideen der Widerstandskämpfer so wichtig, "auch um unserer Ordnung eine geistige und politisch tragfähige, glaubwürdige Grundlage geben zu können". Ein Mangel an Zivilcourage sei schädlich für das Gelingen der Demokratie, so von Voss. Insofern gelten die Worte von Theodor Heuss aus dem Jahr 1954 auch heute noch: "Das Vermächtnis ist noch in Wirksamkeit, die Verpflichtung noch nicht eingelöst."