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Urteil zu Stammzellen-Patenten

Marcus Lütticke29. November 2012

Darf man Forschungsergebnisse, die aus der Verwertung embryonaler Stammzellen resultieren, patentieren lassen? Der Bundesgerichtshof hat es jetzt mit starken Einschränkungen erlaubt.

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Eine Petrischale mit Stammzellen im Labor (Foto: DW)
Deutschland Forschung Petrischale Stammzelle Stammzellforschung im LaborBild: DW

Die deutsche Verfassung, das Grundgesetz, garantiert die Freiheit der Forschung. Gleichzeitig spricht sie jedem Menschen ein Recht auf Leben zu. Bei der Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen treten diese Rechte in Konflikt. Zumindest wenn man davon ausgeht, dass Leben nicht erst mit der Geburt, sondern mit der Befruchtung beginnt. Denn mit Embryonen im frühesten Entwicklungsstadium, genauer gesagt mit den aus ihnen gewonnenen Stammzellen, wird Grundlagenforschung betrieben. Die Embryonen werden bei diesem Prozess getötet. Verfahren, die dies verhindern, sind in der Entwicklung.

Der Deutsche Bundestag hat im "Stammzellgesetz" die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen und der Forschung sehr enge Grenzen gesetzt. So ist in Deutschland nur die Nutzung von importierten Stammzelllinien erlaubt, die vor dem 1. Mai 2007 im Ausland gewonnen wurden. Mit der Stichtagsregelung soll verhindert werden, dass durch eine Nachfrage aus Deutschland anderswo die Produktion dieser Stammzelllinien, und damit das Töten von Embryonen, gefördert wird.

Streit über Patentierbarkeit

Einige deutsche Wissenschaftler möchten, dass die Ergebnisse und Entwicklungen, die aus ihrer Forschung mit embryonalen Stammzellen entstanden sind, auch patentiert werden können. Genau darum ging es bei einem Rechtsstreit, über den am Dienstag (27.11.2012) der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden hat. Das Gericht stellte klar, dass auf embryonale Stammzellen keine Patente vergeben werden dürfen, wenn dafür Embryonen getötet werden mussten. Damit folgt der BGH einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2011.

Der Bonner Forscher Oliver Brüstle (Foto: dpa)
Der Bonner Forscher Oliver BrüstleBild: picture-alliance/dpa

Aber das Gericht urteilte auch, dass Patente auf Grundlage von embryonalen Stammzellen durchaus möglich sind, wenn die eingesetzten Zelllinien von nicht mehr entwicklungsfähigen Embryonen gewonnen werden oder mit einer anderen Methode für die keine Embryonen zerstört worden sind. Das Gericht urteilte ferner, dass embryonale Stammzellen selbst keine Embryonen sind.

Der Bonner Forscher Oliver Brüstle hatte sich 1999 beim Deutschen Patentamt ein Verfahren patentieren lassen, durch das aus embryonalen Stammzellen sogenannte "neurale Vorläuferzellen" gewonnen werden können. Dieses Patent hat das Gericht nun aufrechterhalten.

"Das Patent gibt keine Produktionserlaubnis, es gibt keine Vertriebserlaubnis, es gibt auch keine Erlaubnis zur Vernichtung von Embryonen. Das Patent gibt ausschließlich ein Recht, nämlich dass der Erfinder als Inhaber eines Patentes Dritten die gewerbliche Verwertung untersagen darf", erklärt Tade Matthias Spranger, Jurist mit dem Schwerpunkt Regulierung der Biomedizin gegenüber der Deutschen Welle.

Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes

Gegen die Patenterteilung für Brüstle hatte die Umweltschutzorganisation Greenpeace mit Hinweis auf die Sittenwidrigkeit solcher Patentierungen 2004 vor dem Bundespatentgericht geklagt – mit Erfolg. Doch Brüstle beantragte Revision, sodass das Verfahren schließlich vor dem Bundesgerichtshof landete.

Die Flaggen der EU-Mitgliedsländer wehen vor dem Gebäude des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg (Foto: dpa)
Der Europäische Gerichtshof in LuxemburgBild: picture-alliance/dpa

Der BGH hatte die Entscheidung zunächst an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg verwiesen, um dort vorab die europarechtliche Auslegung klären zu lassen, da es im Patentrecht eine europäische Richtlinie zur Stammzellforschung gibt. Diese besagt, dass für Erfindungen, deren gewerbliche Verwendung gegen die guten Sitten verstoßen würde, keine Patente erteilt werden. Dies gelte insbesondere auch für die Verwendung menschlicher Embryonen zu industriellen und kommerziellen Zwecken. Der EuGH hat in seinem Urteil vom Oktober 2011 in Anlehnung daran klargestellt, dass Ergebnisse aus der Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen nicht patentiert werden dürfen, wenn die Embryonen dafür getötet werden.

Keine Nachteile für die Forschung

Im Gegensatz zur Frage der Patentierbarkeit ist die generelle Rechtslage zur Forschung mit embryonalen Stammzellen in Europa nicht einheitlich. Großbritannien, Schweden und Belgien haben sehr liberale Regelungen. In England ist unter bestimmten Voraussetzungen sogar die Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken erlaubt. In Deutschland, Norwegen und Italien ist die Gesetzeslage dagegen sehr restriktiv. Die Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich liegt auf Seiten der Nationalstaaten, die EU hat sich dort bisher zurückgehalten. Daher ist in Europa ein Flickenteppich an unterschiedlichen Rechtslagen entstanden. Daran ändert die aktuelle Rechtsprechung nichts. 

Eine Forscherin beugt sich über ein Mikroskop (Foto: DW)
Die Zukunft der Forschung scheint durch das Urteil nicht gefährdetBild: DW-TV

Ingrid Schneider, Politologin mit dem Schwerpunkt Patentierung im Bereich der Biotechnologie an der Universität Hamburg, sieht durch das Urteil die Forschung in Deutschland nicht geschwächt. "Damit wird ja nicht die Forschungsfreiheit eingeschränkt." Es gebe sogar Vorteile für die Forschung, die sich daraus ergeben würden: "Die Forscher müssen dann nicht klären, ob es Patente gibt, die sie mit ihrer Forschung verletzen, sondern können ihre Forschung sehr frei gestalten."