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Künstler in Chisinau

24. Oktober 2010

Die Republik Moldau ist Schlusslicht in Europa. Die politischen Verhältnisse sind fragil, die Wirtschaft liegt am Boden, und auch die Kultur muss kämpfen: um Geld, um Ideen, vor allem aber um eine neue Unabhängigkeit.

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Künstler und ihre Freunde treffen sich zur Hausbesetzung (Foto: DW/Rabitz)
Bild: DW/Rabitz

Nur wenige Minuten jenseits des Zentrums: Direkt neben einem pompösen Büro-Neubau in römischen Stil steht ein Bauzaun, darin eine Tür, die schief in den Angeln hängt. Es ist ein unübersichtliches Gelände. Im Stockdunkeln geht es über einen holperigen Pfad, dann durch ein finsteres, von wenigen Kerzen nur knapp beleuchtetes Treppenhaus nach oben. Hier findet heute der erste "Squat" in Chisinau statt: Die Besetzung eines abbruchreifen Gebäudes durch Künstler und ihre Freunde.

In den beiden Räumen oben ist es voll, heiß und laut, die Atmosphäre ist locker und fröhlich. Auf den Wänden Graffiti und witzige, bunte Malereien. Einige Dichter sind da, lesen eigene Texte vor, auch Gäste aus dem benachbarten Rumänien sind gekommen, man diskutiert, trinkt ein Glas Wein, hört Musik.

Wandmalerei im Abbruchhaus (Foto: DW/Rabitz)
Wandmalerei ...Bild: DW/Rabitz

Underground statt Abrissbirne

Das einstmals sehr ansehnliche Gebäude solle der Abrissbirne zum Opfer fallen, damit hier ein Business-Zentrum gebaut werden kann, berichten Teilnehmer des Treffens. "Es ist immer dasselbe. Wir wollen uns diesem Trend entgegenstellen", sagen sie. Andere sind hierher gekommen, um Leute zu treffen, Spaß zu haben. "Unser Land braucht einen solchen Platz. Das hier ist der wahre Underground, eine neue Kultur, die entstehen wird, es ist toll, ein Teil davon zu sein."

Wandmalerei im Abbruchhaus (Foto: DW/Rabitz)
... im Abbruchhaus.Bild: DW/Rabitz

Theater ohne Publikum

Mitten im Getümmel steht Nicoleta Esinencu. Die 32Jährige schreibt Theaterstücke und zählt eigentlich schon zum Kreis bekannter Künstler – freilich weniger in ihrer Heimat, als in westlichen Ländern. Studienaufenthalte und Stipendien haben sie nach Frankreich, Deutschland und Österreich geführt – für das heimische Publikum aber bleibt sie eine Fremde. Sie erzählt: "Die meisten Leute hier lesen meine Bücher nicht. Nur wenige kommen zu meinen Lesungen oder Performances. Ich habe hier auch keinen Verlag. Ganz anders in Berlin. Dort habe ich immer Publikum – hier nicht, das ist sehr merkwürdig."

Gegen den Strom

Der moldauische Künstler Pavel Braila Foto (Foto: DW/Rabitz)
Pavel Braila - braucht Platz zur EntfaltungBild: DW/Rabitz

Nicoleta schreibt über soziale Probleme in der Republik Moldau. Bewusst setzt sie sich vom kulturellen 'Mainstream' ab und hält der Gesellschaft einen Spiegel vor. Ihr jüngstes Projekt ist ein Theaterstück über Gefangene und Gefängnisse – ein Stück über die Freiheit, wie sie sagt, für das sie Haftanstalten besucht und mit Insassen gesprochen hat.

Sie möchte gerne einem jungen moldauischen Gefangenen die Gelegenheit geben, damit auf der Bühne aufzutreten. In einer Gesellschaft, die vom Theater, von der Kunst vor allem Erbauung erwartet, kommt das freilich nicht gut an.

Kunst und Politik

Das bekommt auch Nicoletas Freund Pavel Braila zu spüren – ein international bekannter Maler und Videokünstler, der schon in den USA, England, Österreich und Deutschland ausgestellt hat. Aber noch nicht in Chisinau.

Die moldauische Autorin Nicoleta Esinencu (Foto: DW/Rabitz)
Nicoleta Esinenu - vermisst das PublikumBild: DW/Rabitz

Wenn die beiden sich bei Tee, Kognak und Zigaretten treffen wird meist heftig diskutiert - über Fragen der nationalen Identität ebenso wie die Mängel im staatlichen Bildungssystem, die Ausbildung an den Kunsthochschulen, Reisen ins westliche Europa. Vor allem aber dreht sich die Debatte um die aktuelle Politik.

Sie sind unzufrieden mit der Situation der verarmten ehemaligen Sowjetrepublik, die erst vor eineinhalb Jahren die Kommunisten in die Opposition geschickt hat. "Ich bin kritisch, weil ich Veränderung will. Aber ich sehe diese nicht. Die Regierung hier ist vollkommen korrupt", sagt Pavel. Am 28. November ist Parlamentswahl. Nicoleta hat es aufgegeben, wählen zu gehen und formuliert drastisch: "Jahrelang habe ich meine Stimme für den kleineren Scheiß abgegeben, nur um einen noch größeren Mist zu verhindern. Das mache ich jetzt nicht mehr."

Pavel Braila hat in seiner Heimat weder eine Galerie, noch eine Agentur, die ihn vertritt. Manchmal flüchtet sich der Künstler in ein kleines Atelier in Berlin. Und dennoch: "Ich kann im Westen nicht richtig kreativ sein. Es ist kaum zu glauben, aber hier in Moldau ist trotz allem vieles möglich, ich stehe hier immer unter Spannung, das ermöglicht auch provozierende Dinge. Bei Euch im Westen ist es einfach zu entspannt."

Trachten und Dinosaurier

Zwei Tage später im Nationalmuseum. Gebäude und Säle künden von verblichener Pracht. Das Haus hat bessere Tage gesehen. Zur neueren Stadt- oder Landesgeschichte gibt es hier fast nichts. Die Ausstellung konzentriert sich auf Archäologisches. Wenn die Besucher die Säle verlassen, wird das Licht ausgeknipst. Das Museum muss Strom sparen.

Teil eines Wandgemäldes im ethnografischen Museum Chisinau (Foto: DW/Rabitz)
Ein buntes Sammelsurium - Wandgemälde im ethnografischen MuseumBild: DW/Rabitz

Das Ethnografische Museum. Ein seltsamer neo-orientalischer Bau in einer ruhigen Seitenstraße. Im Inneren gibt es eine wunderschöne Kuppel aus buntem Glas. Doch durch die Decke regnet es, und auf dem abgetretenen Museumsteppich bilden sich kleine Pfützen.

In den etwas angestaubten Vitrinen stehen bunt zusammen gewürfelte Exponate: Trachten und Töpfe, verblichene Fotos, urzeitliche Gesteinsproben. Im Keller steht das Skelett eines Riesensauriers. "Sechs Meter lang, fünf Meter hoch, ein Original-Fundstück aus unserem Land", sagt stolz die betagte Museumswärterin, die einmal Geschichtslehrerin war und hier ihre karge Rente aufbessert. Und fügt hinzu: "Schauen Sie nur. Eine richtige Schönheit."

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Fabian Schmidt