1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Spezialeinheit "Berkut": Zu allem bereit

Olena Perepadya / Markian Ostaptschuk10. Dezember 2013

Eigentlich ist sie für die Kriminalitätsbekämpfung da: die Spezialeinheit "Berkut" des Innenministeriums. Doch jetzt wird sie vor allem gegen Demonstranten eingesetzt. Ihr brutales Vorgehen ist berüchtigt.

https://p.dw.com/p/1AWP2
"Berkut" vor dem Parlament in Kiew (Foto: AFP PHOTO/ SERGEI SUPINSKY)
Bild: SERGEI SUPINSKY/AFP/Getty Images

Bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew sind wiederholt Regierungsgegner verletzt worden. Beteiligt an solchen Einsätzen ist häufig die Spezialeinheit "Berkut" (Steinadler). Auch beim Vorgehen gegen die Demonstranten am Mittwochmorgen (11.10.2012) war die Einheit im Einsatz.

Die ukrainischen Oppositionsparteien fordern, die Truppe des Innenministeriums aufzulösen. So ist Vitali Klitschko von der Oppositionspartei "Ukrainische demokratische Allianz für Reformen" (UDAR) überzeugt, dass die Einheit sich selbst diskreditiert habe. Die übermäßige Gewaltanwendung bei der Auflösung von Straßenprotesten sorge in der ukrainischen Gesellschaft seit Langem für Empörung.

Zahlreiche Spezialeinheiten

"Berkut", "Alpha", "Omega", "Falke" und "Titan" - so heißen all die Spezialeinheiten des ukrainischen Sicherheitsdienstes SBU sowie der Miliz. Eigene Spezialkräfte haben auch der ukrainische Grenzschutz, der Zoll und das Militär. Doch in den letzten Jahren hat immer wieder die Spezialeinheit "Berkut" die Öffentlichkeit mit Brutalität und Aggressivität beim Vorgehen gegen Demonstranten schockiert.

Gewaltsame Auflösung der Studentenptoteste am 30.11.2013 (Foto: REUTERS/Inna Sokolovska)
Bei der gewaltsamen Auflösung der Studentenproteste gab es zahlreiche VerletzteBild: Reuters

Das gilt vor allem für die blutige Niederschlagung der friedlichen Studentenproteste am 30. November auf dem "Maidan", dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Die Studenten hatten gegen die Entscheidung der Regierung demonstriert, das fertig ausgehandelte Assoziierungsabkommen mit der EU auf Druck Russlands auf Eis zu legen. Auch einen Tag später wurden Demonstranten und Journalisten bei gewaltsamen Ausschreitungen vor dem Präsidialamt von der Spezialeinheit "Berkut" zusammengeschlagen.

Gesetzliche Regelung gefordert

Experten weisen darauf hin, dass diese Sicherheitskräfte in einem teilweise rechtsfreien Raum agieren. Zwar müsse es solche Einheiten wie "Berkut" in einem Staat geben, aber zugleich müssten deren zahlenmäßige Stärke genauso wie die Aufgaben und Mittel zur Durchsetzung gesetzlich klar geregelt werden, meint Mykola Chawronjuk vom ukrainischen Zentrum für politische und rechtliche Reformen. Das sei bei "Berkut" nicht genügend gewährleistet. "Der Gesetzgeber muss die Zuständigkeiten und Pflichten klar definieren, und vor allem auch das, was die Einheit nicht darf", so der Experte.

Eingerichtet wurde "Berkut" im Jahr 1992 als schnelle Eingreiftruppe für eine effektive Bekämpfung organisierter Kriminalität. Bis heute regeln die Tätigkeit dieser Spezialeinheit lediglich Normativakte des Innenministeriums. Dies bedeutet, dass einzig und allein die Führung des Innenministeriums - also die Regierung - über die Truppe entscheidet. Das Parlament hat keine Kontrolle.

Genügend geeignete Bewerber

Anfangs dienten in der Einheit ehemalige Mitglieder von Sondereinsatzkräften des Militärs sowie erfahrende Milizionäre. Auch heute müssen die Angehörigen der 4000 Mann starken Einheit vor allem körperlich fit sein. Auf eine Stelle kommen nach Angaben des Innenministeriums vier Bewerber. Doch nicht nur abgehärtete Kämpfer haben Chancen aufgenommen zu werden, sondern auch Kletterer, Taucher und Scharfschützen.

Männer der Spezialeinheit "Berkut" bei ihrem Training (Foto: Foto: Innenministerium der Ukraine)
Männer der Spezialeinheit "Berkut" bei ihrem TrainingBild: Innenministerium Ukraine

Der durchschnittliche Monatsverdienst liegt, abhängig von Dienstalter und Grad, umgerechnet bei bis zu 500 Euro. Im Vergleich dazu verdient ein einfacher ukrainischer Milizionär gut 300 Euro.

Demonstranten als neues Ziel

Im Unterschied zu den Milizionären sollen die Angehörigen von "Berkut" fähig sein, bewaffnete Kriminelle und Mitglieder organisierter krimineller Gruppierungen festzunehmen, aber auch Geiseln zu befreien. Die Männer werden darauf auch psychologisch vorbereitet.

Doch die Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist heute zweitrangige Aufgabe von "Berkut". Nach Angaben des Innenministeriums zählt inzwischen die "Sicherung der öffentlichen Ordnung bei staatlichen, aber auch gesellschaftlichen, politischen und religiösen Massenveranstaltungen, sowie bei Sport- und Kulturereignissen" zu den Hauptaufgaben der Spezialeinheit.

In diesem Zusammenhang weist der Rechtsexperte Chawronjuk darauf hin, dass die Vorschriften des Innenministeriums auf wichtige Fragen keine Antwort liefern: "Was stellt eine Störung der öffentlichen Ordnung dar? Was ist der Unterschied zwischen einer Beendigung und einer Auflösung von Massenunruhen? Ab welcher Teilnehmerzahl spricht man von einer Massenveranstaltung?"

Unterdrückung politischer und sozialer Proteste

Der ukrainische Menschenrechtler Oleg Martynenko beobachtet mit Sorge, dass während friedlicher Protestaktionen meist fast genauso viele "Berkut"-Männer wie Demonstranten präsent sind. "Eigentlich ist es so, dass die Staatsmacht entscheidet, welche Aktion aufgelöst wird. Dann befiehlt der Kommandeur der Einheit seine ganze Truppe zum Einsatzort", so Martynenko.

Der ukrainische Menschenrechtler Oleg Martynenko (Foto: DW)
Der Menschenrechtler Oleg Martynenko warnt vor der Spezialeinheit "Berkut"Bild: DW/O. Vesnyanka

Zudem zeige die psychologische Ausbildung der Männer Wirkung: Sie würden in den Demonstranten eine Gefahr sehen und seien bereit, diese mit jedem Mittel zu beseitigen. Zwar dürften die Männer unrechtmäßige Befehle nicht ausführen, meint Martynenko, aber jeder Befehl ihres Kommandeurs erscheine ihnen vermutlich angebracht. "Sie können schlicht nicht beurteilen, ob ein Befehl ihres Kommandeurs rechtmäßig ist." Auch wüssten sie zu wenig über die Rechte von Bürgern und Demonstranten. Deswegen seien die Spezialkräfte immer mehr zu einem Mittel der Unterdrückung politischer und sozialer Proteste geworden.