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"Pegida-Botschschaften sind ambivalent"

Andrea Grunau14. Januar 2015

Wer sind die Menschen bei den antiislamischen "Pegida"-Protesten? Was wollen sie genau? Der Soziologe Dieter Rucht hat begonnen, das zu erforschen. Im Gespräch mit der Deutschen Welle berichtet er darüber.

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Plakate mit der Aufschrift Mulitikulti stoppen' bei der 'Pegida'-Demonstration in Dresden (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Deutsche Welle: Sie wollen das Phänomen "Pegida" ("Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes") wissenschaftlich erforschen und haben bei der Demonstration in Dresden damit begonnen. Wie gehen Sie vor und was haben Sie erfahren?

Dieter Rucht: Wir waren mit über 50 Leuten unterwegs. Wir hatten zum einen Beobachtungsaufgaben wie die Zählung der Demonstrierenden. Die Polizei hat 25.000 genannt, wir hatten mehrere unabhängige Zählungen durch Gruppen, da kam die Zahl von etwa 17.000 heraus, das mögen auch Tausend mehr oder weniger sein; das lässt sich nicht so genau ermitteln. Weiter haben wir beobachtet: Was passiert auf der Bühne, was hinter der Bühne, was ist mit den Leuten, die am Rande stehen? Die andere Aufgabe war die Initiierung einer Online-Befragung. Dafür haben wir Handzettel ausgeteilt. Die Teilnehmer werden aufgerufen, sich an dieser Online-Befragung in den nächsten Tagen zu beteiligen.

Wie haben die Teilnehmer auf Sie reagiert?

Das war unterschiedlich. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass diejenigen, die im vorderen Teil des Demonstrationszuges angesprochen wurden, zum Teil sehr abwehrend reagiert haben. Eine auffällige Beobachtung gab es bei Ehepaaren: Auch wenn die Frau angesprochen wurde, hat der Mann das Ganze in die Hand genommen und entschieden, ob der Zettel angenommen wird oder hat dann die Diskussion geführt. Im hinteren Teil des Demonstrationszuges war das Klima etwas aufgeschlossener. Die Leute waren eher zu Gesprächen bereit.

Sie haben noch nicht ausgewertet. Gibt es schon erste Eindrücke, worum es den Teilnehmern geht?

Die Pegida-Botschaften sind ambivalent und das ist auch das Irritierende, vielleicht auch das Geschickte der Organisatoren. Nämlich einerseits: "Wir sind ganz normale Bürger, leben friedlich. Folgt den Anweisungen der Polizei und lasst Euch auf keine Gewaltakte ein. Wir sind im Grunde überhaupt nicht ausländerfeindlich, wir wollen das nur besser regeln". Das ist eine Richtung der Botschaften, wo man an vielen Stellen sagen könnte: "In Ordnung" oder "bin ich sogar dafür", etwa wenn es darum geht, die Möglichkeiten von Volksbefragungen zu erweitern. Dann gibt es eindeutige Botschaften, die in eine ganz andere Richtung weisen. Ich glaube, diese Ambivalenz ist kein Zufall, sondern es sollen einerseits Leute angezogen werden, die durchaus dem rechten, ausländerfeindlichen Spektrum zugehören, aber es sollen auch die "Normalbürger" nicht abgeschreckt werden. Für die werden dann andere Botschaften bereitgehalten.

Porträt des Berliner Soziologen Prof. Dieter Rucht (Foto: Privat/dpa)
Der Berliner Soziologe Dieter Rucht: "Pegida" - erst forschen, dann urteilenBild: picture-alliance/dpa/privat

Warum ist es so wichtig, "Pegida"zu untersuchen und was genau ist das Ziel ihrer Untersuchung?

Bislang wird viel darüber in den Medien gesprochen, wer die Leute sind, ob das eher eine homogene Gruppe von Leuten ist oder ob das Ganze in unterschiedliche Fraktionen und Lager zerfällt. Das weiß man nicht, man streitet darüber. Man hat keine gesicherten Zahlen und Aussagen. Das wollen wir genauer ermitteln und auf eine solidere Basis stellen. Wir müssen erst einmal Fakten haben und sollten danach urteilen und nicht umgekehrt, indem man am Tag der Veranstaltung oder kurz danach immer wieder heraus posaunt: "Die Bewegung ist so oder so einzustufen" oder "das sind alles Nazis", als hätte man schon gesicherte Fakten in der Hand.

Was sind die wichtigsten Fragen, die Sie klären wollen?

Wir wollen klären: Wer sind die Demonstrierenden? Das sind zunächst soziodemografische Faktoren, also Alter, Geschlecht, berufliche Situation, woher kommen sie und so weiter. Dann wollen wir klären: Wie stehen die Befragten zu bestimmten Aussagen von Pegida? Wie stehen sie zu allgemeinen politischen Statements, wie zum Beispiel: "Die Politiker kümmern sich gar nicht um die kleinen Leute und sorgen sich nur um Ihre eigenen Belange"? Dann gibt es Fragen zum Wahlverhalten: Wen haben Sie bei der letzten Landtags- und Bundeswahl gewählt? Wen würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Wahl wäre? Gehen Sie überhaupt wählen? Wie positionieren Sie sich auf der Rechts-/Linksachse? Dann gibt es eine ganze Batterie von Fragen, die den Aspekt Muslime und tendenziell rechtsradikale Einstellungen betrifft.

In der sächsischen Stadt Leipzig und anderen Städten sind direkt sehr viel mehr Gegendemonstranten auf die Straße gegangen. Denken Sie, es gibt Gründe dafür, dass "Pegida" vor allem in Dresden so erfolgreich ist?

Dresden hat eine Vorgeschichte, weil hier immer Auseinandersetzungen in den letzten Jahren stattfinden, wenn der Bombardierung Dresdens gedacht werden soll. Da gibt es ein Aufschaukeln von Leuten, die eher rechten Gesinnungen zuneigen. Ich will nicht sagen, das seien alles Rechtsradikale, aber einige weisen Affinitäten auf zu solchen Positionen. Daneben gibt es die Gegendemonstranten. Sachsen ist traditionell eher ein Resonanzboden für rechte Gruppierungen, inklusive der NPD. Insgesamt ist es wohl auch so, dass in den neuen Bundesländern eher das Gefühl vorherrscht: "Wir sind sozial zweitrangig, wir sind abstiegsgefährdet. Die im Westen haben es besser". Da sind Ängste bezogen auf Zukunft und Renten, den Arbeitsplatz oder "wie geht es unseren Kindern"im Durchschnitt größer als in den alten Bundesländern.

Wenn man genauer weiß, wer die Menschen sind, die auf die Straßen gehen, und was sie wollen, dann hätte die Politik eine bessere Orientierung, wie sie damit umgehen kann?

Ja, denn die Politik streitet sich ja ganz entschieden darüber, ob man sie pauschal in einen Topf wirft und dann etwa als Nazis bezeichnet oder ob man differenzieren muss: Da gibt es Nazis, Hooligans, Leute, die eher rechtsaffin sind, rechtspopulistisch orientiert und dann gibt es Leute, die sind interessiert an dem Phänomen. Die werden von manchen Aussagen angesprochen, aber die würden sich nie und nimmer als Ausländerfeinde oder rechtslastige Personen bezeichnen. Ich persönlich neige als politischer Mensch dazu zu sagen, - ich spreche jetzt nicht als Forscher - man muss diese Differenzierung erst mal anerkennen als Möglichkeit. Wenn es sie tatsächlich gibt, kann man auch ganz differenziert reagieren. Man kann zum Beispiel sagen: "Wenn ihr als Pegida-Anhänger für ein Einwanderungsgesetz seid, wie soll das denn aussehen?" Wenn dann die Debatten geführt werden, dann wird sich diese, vom Anschein her homogene Menge von Pegida-Anhängern differenzieren und vielleicht sogar spalten.

Das Interview führte Andrea Grunau.

Der Berliner Soziologe Dieter Rucht beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit politischen Protesten und sozialen Bewegungen. Für die wissenschaftliche Untersuchung der "Pegida"-Bewegung in Dresden hat er Studenten und wissenschaftliche Mitarbeiter von Universitäten aus Berlin und Chemnitz gewonnen. Erste Ergebnisse sollen noch im Januar veröffentlicht werden.