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Soykan: "Wir müssen das ertragen"

Sabrina Pabst8. Januar 2015

Nach dem Pariser Attentat und wegen der Pegida-Demonstrationen wächst die Sorge der muslimischen Gemeinden vor Übergriffen. Nurhan Soykan vom Zentralrat der Muslime hofft, dass die Gesellschaft diese Spannungen aushält.

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PEGIDA-Demonstration in Dresden (Foto: Reuters/F. Bensch)
Bild: Reuters/F. Bensch

Deutsche Welle: Frau Soykan, was ging Ihnen nach den Nachrichten über das Massaker in der Redaktion von "Charlie Hebdo" durch den Kopf?

Nurhan Soykan: Es ist ein ganz schlimmer Angriff, den wir auf das Schärfste verurteilen. Wir haben uns schon gestern von dieser Tat distanziert. Wir trauern mit den Hinterbliebenen und sind schockiert über das, was passiert ist. Jetzt habe ich die Sorge, dass alle Muslime wieder unter einen Generalverdacht gestellt werden. Und dass sich die Vorbehalte gegenüber den Muslimen verstärken werden.

Präsident Hollande bezeichnet das Massaker als Terror-Akt. Wie muss die Gesellschaft auf solche Angriffe auf demokratische Werte und die Einschüchterungsversuche der Terroristen reagieren?

Es ist schon mit sehr viel Ablehnung und mit ganz deutlichen Worten reagiert worden. Selbst die kleinsten muslimischen Gemeinden haben Stellungnahmen abgegeben. Darin haben sie deutlich gemacht, dass sie sich von solchen Taten distanzieren und betont, dass es Verrat an unserer Religion ist. Die Gesellschaft sollte das auch bitte zur Kenntnis nehmen und nicht alle Muslime in einen Topf werfen. Es ist ein Terror-Akt und es ist ein Einzelfall. Damit hat die Mehrheit der Muslime nichts zu tun. Ich traue auch unseren Mitbürgern zu, dass sie da differenzieren werden.

Generalskretärin des Zentralrates der Muslime, Nurhan Soykan (Foto: picture-alliance/dpa/O. Berg)
Soykan: "Ich habe die Sorge, dass alle Muslime unter einen Generalverdacht gestellt werden"Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Es ist der Fall eingetreten, vor dem seit Monaten und Jahren gewarnt wird: Dass sich Menschen durch Propaganda im Internet radikalisieren und zu unberechenbaren Attentätern werden. Experten gehen davon aus, dass sie an der Waffe ausgebildet wurden, da ihre Schüsse gezielt auf ihre Opfer abgegeben worden sind. Was muss die muslimische Gemeinschaft und auch die Gesamtgesellschaft unternehmen, um solche Radikalisierungen zu verhindern?

Wir sind schon seit Jahren dafür sensibilisiert und achten in unseren Gemeinden darauf, dass solche Tendenzen sich nicht verbreiten. Falls auffällige Leute in unseren Gemeinden erscheinen, werden sie von dort ausgeschlossen. Dazu benötigt es aber auch andere Maßnahmen. Nur mit einem Ausschluss kommen wir da nicht weiter. Diese Menschen, die sich dieser Radikalisierung aussetzen, brauchen auch weiter Hilfe. Als Zentralrat möchten wir auch mit anderen Gremien und auch mit dem Staat zusammen Projekte entwickeln, damit wir diese Menschen auffangen können.

Als Auslöser dafür, dass die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" Zielscheibe dieses Attentats wurde, gelten die kritisierten und polarisierenden Karikaturen. Wie steht der Zentralrat der Muslime zu den Karikaturen?

Die Karikaturen sind ein verletzender Akt der Meinungsäußerung. Man muss vorsichtig sein und schauen, wo die Grenze erreicht ist. Das ist sie, wenn sich manche Menschen in ihrem religiösen Empfinden verletzt fühlen. Aber das ist eine andere Diskussion. Wir müssen gerade noch viel Schlimmeres ertragen. Die Hassmails, die wir in den vergangenen Tagen bekommen haben, sind noch viel verletzender als diese Karikaturen. Unser Prophet hat sehr viel Hohn und Spott mit Geduld ertragen. Ich denke, dass das der richtige Weg ist. Wir müssen das einfach ertragen und mit gutem Beispiel voran gehen. Ich denke, dass ist ein Weg, den viele Menschen in Deutschland und Europa gehen. Auch wenn es manchmal viele Menschen verletzt, dürfen wir nicht den Weg der Gewalt gehen.

Einen Tag nach dem Terror-Akt wurde ein Anschlag auf eine Moschee in Frankreich verübt. Sie berichten von beleidigenden Mails, aber auch die Anschläge auf Moscheen oder die Diskriminierung von kopftuchtragenden Frauen hat seit Monaten enorm zugenommen. Kundgebungen, die seit Mitte November im Rahmen der Pegida-Bewegung stattfinden, schüren ein Klima des Islam-Hasses. Wie gehen Sie mit solchen Drohungen um?

Das macht natürlich schon Angst. Man fühlt sich als Muslim nicht sicher. Es haben wirklich Übergriffe, auch tätliche Übergriffe sehr stark zugenommen. Das ist schon beängstigend. Aber dennoch werden wir uns nicht entmutigen oder verängstigen lassen. Wir werden unseren Weg weiter gehen, uns als Muslime und auch den Islam in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Natürlich werden wir zerrissen zwischen beiden Extremen. Auf der einen Seite die Terroranschläge und Gewalttaten von extremistischen Muslimen und auf der anderen Seite die rassistischen Bestrebungen von anderen Bewegungen. Der größte und friedliebende Teil der Muslime, die sich integrieren wollen, die leiden von beiden Seiten. Ich hoffe, dass die Gesellschaft dieses Bewusstsein auch bekommt. Ich hoffe, dass sich zunehmend die Menschen vor diese breite Mehrheit der Muslime stellen und Mitgefühl entwickeln Das sehe ich bei vielen Politikern und ich sehe das auch in der Gesellschaft und bei den Kirchen. Ich hoffe, dass das auch weiter anhält.

Die Spannungen wachsen zwischen Islam-Gegnern und denen, die mit den Muslimen in Deutschland Seite an Seite stehen und gegen Pegida demonstrieren. Was muss unternommen werden, diese Spannungen zwischen beiden Gruppen zu durchbrechen, bevor sie sich vielleicht sogar gewalttätig entladen?

Indem die Stimme der Vernunft und die Stimme der Mitte stärker ist, als die der Randgruppen. Das ist ein Aufruf , in die Richtung weiterzumachen. Da haben wir auch gute Signale von unserer Bundeskanzlerin bekommen, den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften. Da sehen wir mit Zuversicht in die Zukunft.

Nurhan Soykan ist Generalsekretärin des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD). Sie engagierte sich in zahlreichen Gremien, wie z.B. im Arbeitskreis Religion und Integration (ARI) und im Netz gegen Rassismus. Soykan nahm auch an der Deutschen Islamkonferenz I teil und war als Referentin des Managementkollegs der Polizeihochschule Münster tätig.