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Solo in der Röhre

Martin Roddewig26. April 2015

Normalerweise spielt sie in ausverkauften Konzertsälen, dieses Mal in einem Magnetresonanztomographen, einem MRT. Für ein Forschungsprojekt begibt sich Hornistin Sarah Willis in die Röhre - und erstaunt sich selbst.

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Deutschland Sarah Willis im MRT des Max-Planck-Instituts in Göttingen (Foto: DW)
Bild: DW/M. Roddewig

Sarah in der Röhre

Als es so weit ist, wird ihr doch ein wenig mulmig: Mit den Berliner Philharmonikern hat die Hornistin Sarah Willis bereits in allen großen Konzerthäusern dieser Welt gespielt, aber angesichts des klinisch weißen, Ehrfurcht einflößend großen und permanent fiependen Magnetresonanztomographen kommen ihr die ersten Zweifel: War das wirklich eine gute Idee? Über eine Stunde soll sie in dieser Röhre verbringen und dabei konzentriert vorgegebene Notenfolgen spielen.

Ausgedacht hat sich diese Testreihe ein Amerikaner: Peter Iltis lehrt am Gordon College in der Nähe von Boston Kinesologie - Bewegungslehre. "Als ich Sarah Willis anschrieb", sagt er, "hätte ich nie gedacht, dass ich eine Antwort bekomme." Doch Sarah Willis war sofort von dem Forschungsvorhaben begeistert und überredete ihre Kollegen, mitzumachen. Mit ihr ist sogar noch ein weiterer Hornist der Berliner Philharmoniker eingetroffen: Stefan de Leval Jezierski.

Deutschland Sarah Willis im MRT des Max-Planck-Instituts in Göttingen (Foto: DW)
Gleich geht es los: Peter Iltis und Sarah Willis am MRTBild: DW

Spezialisten unter sich

Aber warum schriebt der Forscher gerade Hornisten in die Röhre? Peter Iltis' Spezialgebiet ist die Erforschung der Bewegungen der Mund- und Rachenmuskulatur. Er war früher selbst Hornist, musste das Hornspiel aber aufgeben, da er eine Form der sogenannten Dystonie entwickelte, eine Lähmung der Muskeln, die beispielsweise auch das Schlucken und Sprechen schwer beeinträchtigen kann.

Die Untersuchung von Hornisten soll helfen, grundlegende Bewegungsabläufe beim Erzeugen von Tönen zu verstehen. "Mit den MRT-Aufnahmen dieser Elite-Musiker bekommen wir einen Maßstab", erklärt Iltis, "mit dem wir die Muskelbewegungen 'normaler' Menschen vergleichen können". Er hat die verschiedenen Tonfolgen vorgegeben, die die Hornisten nach einem strengen Plan spielen müssen. Und er hat eigens ein Horn bauen lassen, das aus Metallen besteht, die der ungeheuer starke Magnet innerhalb des MRT-Geräts nicht anzieht. Die Hörner der Berliner Philharmoniker würden sich in der Röhre, angezogen vom Magneten, zu tödlichen Geschossen verwandeln.

Peter Iltis und Jens Frahm vom Max-Plack-Institut Göttingen werten Testergebnisse aus (Foto: DW)
Bei der Auswertung: Die Forscher entdecken ErstaunlichesBild: DW

Dass Iltis für diese Tests den weiten Weg nach Deutschland genommen hat, liegt am Max Planck-Institut in Göttingen, das für die Untersuchungen besondere Möglichkeiten bietet. Jens Frahm ist Professor für Biophysik und hat in Göttingen in den 1980er-Jahren ein revolutionäres Schnellbildverfahren mitentwickelt, das den klinischen Einsatz der MRT-Technik entscheidend voranbrachte und das er am Institut stetig weiter entwickelt. "Was wir hier anbieten können, das gibt es noch nicht auf dem freien Markt", sagt er stolz, während die ersten Aufnahmen aus der Röhre über die Bildschirme flimmern.

Das Innenleben der Musiker

Sarah Willis gibt ihr Bestes. Jede Sequenz, die sie im Liegen spielen muss, ist etwa 30 Sekunden lang. Mal sind es schnelle Staccato-Folgen, mal Einzeltöne, die unterschiedlich laut intoniert werden müssen. Besonders schwierig scheinen die seltsamen Tonleitern zu sein, die Peter Iltis geschrieben hat. Im Kontrollraum ist es während der Vorführung angespannt still. Nur vereinzelt kommen Kommentare. "Sieh hier!", "Erstaunlich..." Dank der ausgefeilten MRT-Technik kann man sämtliche Muskeln von Sarah Willis' in Echtzeit studieren: wie sie Luft holt, wie sie die Atemröhre verengt und wieder weitet, wie sie die Lippen anspannt.

MRT-Aufnahme der Hornistin Sarah Willis (Foto: DW)
Als Sarah Willis ihre Aufnahmen aus dem MRT sieht, ist sie überraschtBild: DW

Aber am faszinierendsten sind die Bewegungen ihrer Zunge. "Die ist ja riesig", ruft Sarah Willis überrascht aus, als sie nach über einer Stunde die Röhre verlassen darf und sich die ersten Bilder ansieht. "Die Zunge ist auch das schnellste Organ unseres Körpers, wir haben an der Zungenspitze Geschwindigkeiten bis zu 30 Meter die Sekunde gemessen", sagt Jens Frahm. Da ist auch Sarah Willis verblüfft. Ihr Kollege Stefan de Leval Jezierski schlägt sich ebenfalls tapfer bei dem Versuch, den Wissenschaftlern einen Einblick in seine Horntechnik zu geben. "Die Auswertung wird natürlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen", meint Peter Iltis, "aber eines kann ich jetzt schon sagen: Es ist erstaunlich, wie viele unterschiedliche Strategien die Musiker entwickelt haben, ein und das selbe Problem wie zum Beispiel das Spielen einer bestimmten Tonleiter zu lösen. Das hätte ich nicht gedacht."