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Smith: Schottland will in der EU bleiben

Bernd Riegert10. September 2014

Falls Schottland unabhängig von Großbritannien wird, sollte es in der EU bleiben, meint der schottische Europa-Abgeordnete Alyn Smith im DW-Interview. Am 18. September wird abgestimmt. Und was ist mit der Königin?

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Alyn Smith, Europaabgeordneter aus Schottland (Foto: DW/Riegert)
Bild: DW/B.Riegert

DW: Herr Smith, Sie sind seit zehn Jahren Abgeordneter im Europäischen Parlament für die schottische Nationalpartei, die zur Fraktion der Grünen gehört. Ich nehme an, Sie wollen Ihren Posten hier loswerden, weil Sie dafür werben, dass Schottland aus dem Vereinigten Königreich und damit auch aus der Europäischen Union austritt?

Alyn Smith: Nein, absolut nicht. Schottland ist ein pro-europäisches sozialdemokratisches Land. Wir sind noch Teil eines Mitgliedes (Großbritannien), das sich immer schneller von Europa entfernt. Die britische Regierung untergräbt die Menschenrechte und internationales Recht. Sie stellt die EU völlig falsch dar. Das verstößt gegen schottische Interessen. In Schottland treffen wir jetzt eine andere Wahl. Wir haben seit 1999 bereits unser nationales Parlament zurück. Wir sind eine der ältesten Nationen in ganz Europa. Schottland ist in seiner Geschichte viel länger eigenständig gewesen, als es Teil des Vereinigten Königreiches war. Das Vereinigte Königreich ist ein Gebilde von gestern.

Sie wollen also Großbritannien verlassen, aber Mitglied der Europäischen Union bleiben. Die EU sagt aber, das sei nicht ganz so einfach. Schottland würde die EU verlassen, wenn es das Mitgliedsland Großbritannien verlässt. Das wird also ziemlich kompliziert.

Ja, es ist kompliziert. Natürlich, so kompliziert wie alles in der EU. Die EU ist eine pragmatische Organisation, die auf Demokratie, Menschenrechte und gegenseitigen Interessenausgleich gegründet ist. Es gibt keinen EU-Vertrag und kein Gesetz, das besagt, dass wir gehen müssten. Natürlich gibt es dafür kein Beispiel. Wir sind aber ein Nettozahler, wir haben 80 Prozent der Öl- und Gasreserven Großbritanniens, wir haben Ressourcen und rund 20 Prozent der erneuerbaren Energien in der EU. Die EU wird uns nicht verlieren wollen. Schottland will nicht gehen. Unser Fall ist genauso einzigartig wie die deutsche Wiedervereinigung, wo es auch hieß, das geht nicht. Wenn es einen politischen Willen gibt, kann man das hinbekommen. Beide, Schottland und die britische Regierung, haben sich verpflichtet, den Wählerwillen nach dem Referendum umzusetzen.

Haben Sie keine Sorgen, dass zum Beispiel Spanien einen Verbleib Schottlands in der EU blockieren würde? Sie würden ja einen Präzedenzfall schaffen für andere Regionen in Europa, die ebenfalls nach Unabhängigkeit streben, wie zum Beispiel Katalonien in Spanien: Da könnte es doch Blockaden geben?

Ich sorge mich auch, dass ein Meteorit Schottland in den nächsten fünf Minuten treffen könnte. Ich denke, wir müssen uns mit dem auseinandersetzen, was vernünftig betrachtet wahrscheinlich passieren wird. Ich glaube nicht, dass irgendein Mitgliedsstaat Interesse daran hätte zu blockieren. Niemand in Spanien hat gesagt, dass er Schottlands Beitritt verhindern würde. Der spanische Außenminister hat gesagt, für ihn sei die Einstellung der britischen Regierung in London entscheidend. Die britische Regierung und Schottland haben sich ja schon geeinigt, dass sie nach der Abstimmung auf Europa mit einem gemeinsamen Vorschlag zugehen werden. Insofern wäre das gar kein Präzedenzfall.

Was sagen eigentlich Ihre Kollegen, die anderen europäischen Abgeordneten, zu Ihrem Vorhaben? Verstehen die Ihr Streben nach Unabhängigkeit?

Die verstehen das sehr schnell, wenn man es ihnen erklärt. Ich habe meinen Kollegen in der Grünen-Fraktion immer gesagt, schottischer Nationalismus ist etwas anderes als Nationalismus in anderen Staaten. Schotte ist jeder, der in Schottland lebt. Wenn du in Schottland wohnst, bist du dabei. Wir sind eine pro-europäische Nation. Es geht natürlich um Realpolitik - niemand, auch nicht die EU, wird sich in die inneren Angelegenheiten Schottlands oder Großbritanniens einmischen. Die Leute werden unsere internationalen Rechte respektieren, sobald wir demokratisch entschieden haben, sie wieder an uns zu nehmen.

Königin Elisabeth II. von England
Den Sommer verbringt Königin Elisabeth II. traditionell in Schottland, auf Schloss Balmoral: Wie lange noch?Bild: picture-alliance/dpa

Wie sieht das mit der Mitgliedschaft in der NATO aus: Wird Schottland in der Militärallianz bleiben?

Wir sind, mitten im Nordatlantik gelegen, strategisch sehr wichtig. Wir haben eine sehr lange Küste mit Ölvorkommen und Fischgründen, die es zu verteidigen gilt. Wir werden versuchen, in der NATO zu bleiben, so wie wir das mit der EU machen. Da wird man einen gewissen Prozess durchlaufen, aber es ist im Interesse aller NATO-Mitglieder, dass wir in der NATO bleiben. Wir haben schon einen Vorschlag, wie unsere Armee aussehen sollte. Wir werden eine Verfassung haben, die festlegt, warum und wie diese Truppen eingesetzt werden können. Das unterscheidet uns von Großbritannien, dass außenpolitisch mehr dem Fantasy-Spiel "Game of Thrones" ähnelt, als sich an demokratische Grundsätze zu halten.

Wird es mit der nuklearen U-Bott-Flotte Großbritanniens Probleme geben? Die ist ja in Schottland stationiert. Könnte sie bleiben?

Im Moment haben wir die zutiefst undemokratische Situation, dass 100 Prozent der Nuklearwaffen in Schottland stationiert sind. Sie sind aber auf U-Booten, können also bewegt werden. Das Vereinigte Königreich könnte diese Waffen irgendwo anders aufbewahren. Wir würden ein nuklear-freies Mitgliedsland in der NATO sein. Und das wäre, glaube ich, ein Fortschritt für die Welt.

Falls Schottland das Vereinigte Königreich verließe, würden Sie dann eine Grenze zu England und damit auch zur Europäischen Union errichten oder würden Sie der Schengen-Zone beitreten, also dem EU-Gebiet ohne Grenzkontrollen?

Unser Plan sieht so aus: Wir haben ja bereits eine gemeinschaftliche Reisezone mit Großbritannien, Nordirland und der Republik Irland. Das ist so ähnlich wie in Skandinavien, wo ja Norwegen nicht zur EU gehört, aber sehr wohl zum Schengen-Raum, der gemeinsamen Reise-Zone. Schottland hat nur eine Landgrenze, und zwar zu England. Deshalb ist die gemeinsame Reisezone mit England für uns wichtiger als die Schengen-Zone. Da Großbritannien im Moment nicht Mitglied der Schengen-Zone ist, werden wir der Schengen-Zone auch nicht beitreten. Für die EU heißt das, sie verliert nichts gegenüber dem heutigen Zustand. Wir halten ohne Zweifel einfach die Reise-Gemeinschaft mit Großbritannien aufrecht.

Die britische Königin, die Queen, bräuchte also keinen Reisepass, wenn sie ihre Sommerresidenz im schottischen Balmoral besuchen wollte?

Die Queen könnte einen schottischen Pass bekommen, wenn sie einen haben wollte. Das muss sie entscheiden.

Also, könnte die englische Queen Staatsoberhaupt von Schottland bleiben?

Ja, im Ernst, die Einheit der Krone ist etwas anderes als die Einheit der Parlamente. Das ist schon ein paar hundert Jahre alt. Und das sind unterschiedliche Dinge. Genauso wie die Queen Königin von Kanada, Neuseeland und Australien ist, würde sie auch die Königin von Schottland bleiben. Wir haben ja bereits unsere eigenen schottischen Kronjuwelen im Schloss von Edinburgh. Das sind andere als die englischen Kronjuwelen. Das bleibt alles, wie es ist. Bei der Staatsangehörigkeit kann jeder, der am Tag der Unabhängigkeit in Schottland lebt, einen schottischen Pass beantragen. Aber wie viele Staaten werden wir die doppelte Staatsangehörigkeit anerkennen.

Alyn Smith (41) ist Mitglied der schottischen Nationalpartei, die sich für die Unabhängigkeit Schottlands einsetzt. Er sitzt seit 2004 im Europäischen Parlament. Die schottische Nationalpartei hält zwei der sechs schottischen Mandate im Europäischen Parlament. Die Labour-Partei, die für einen Verbleib in Großbritannien eintritt, stellt ebenfalls zwei Abgeordnete. Jeweils einen Parlamentarier entsenden die Konservativen und die rechts-populistische UKIP (United Kingdom Independence Party). Diese Abgeordneten sind ebenfalls gegen einen Austritt Schottlands aus dem Vereinigten Königreich.