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Slow TV in Norwegen

Lars Bevanger / db2. November 2013

Fernsehzuschauer weltweit lieben Actionfilme. In den beliebtesten norwegischen Straßenfegern passiert dagegen nicht viel: Da fährt auch schon mal ein Kreuzfahrtschiff tagelang die norwegische Küste entlang - live.

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Zwei Frauen stricken und lachen (Foto: Daniel Karmann/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Nie hätten die Produzenten des norwegischen Rundfunksenders NRK sich träumen lassen, dass ihre Idee, die siebenstündige Bahnreise von Bergen nach Oslo zu filmen und 2009 in Echtzeit zu senden, der Beginn einer neuen Bewegung sein würde: des erstaunlich erfolgreichen Formats "Slow TV".

"Am Anfang haben wir alle darüber gelacht", meint Rune Møklebust, einer der Hauptproduzenten der Show. Das sei so eine Idee gewesen, wie man sie am Ende einer durchzechten Nacht habe. "Solche Ideen haben selten Bestand - diese aber schon", so der Produzent im Gespräch mit der DW.

Entspannung pur

Die Sendung war ein Riesenerfolg mit hohen Quoten - und die Geburtsstunde ähnlicher "Slow TV"-Sendungen. So gab es zum Beispiel am 1. November eine zwölfstündige Livesendung zum Thema Stricken.

Die "Bergensbanen"- Reisesendung sei eine verrückte Idee gewesen, gibt Møklebust zu. Fast hätten die Macher auch kalte Füße bekommen. "In der Woche vor der Sendung dachten wir: Oh, was haben wir uns da eingebrockt?", erinnert sich der norwegische Produzent. Bis dahin hatten die Verantwortlichen noch nicht einmal das ganze Material gesichtet. "Es gab gute Gründe dagegen, aber zum Schluss ließen wir die Sendung laufen."

Bahnstrecke in Norwegen (Foto: Bård Løken/NN/Samfoto/NTB) scanpixFlåmsbanen. Flåmsbana. Jernbane i Flåmsdalen, Aurland, Sogn og Fjordane. Tog. 1000107148
Eine Bahnstrecke in NorwegenBild: picture alliance/Samfoto/NTB/Scanpix

Große Beliebtheit

Die Ausstrahlung begann zur besten Sendezeit an einem Freitagabend auf NRK2. Gleichzeitig liefen auf den anderen Sendern kommerzielle Hits wie "The X-Factor".

"Die Resonanz auf Twitter und Facebook war größer als während jeder anderen TV-Sendung", so Møklebust. Der Marktanteil von NRK2 - normalerweise vier Prozent - schnellte auf 15 Prozent hoch. Es folgte ein 134-Stunden-Monumentalwerk: eine Reise mit der Hurtigruten-Postschifflinie entlang der norwegischen Küste. Drei Millionen der insgesamt fünf Millionen Einwohner Norwegens sahen die Sendung - so etwas hatte es in der TV-Geschichte des Landes noch nie gegeben. Auch eine abend- und nachtfüllende Sendung über die Wunder von Brennholz und eine weitere Bahnfahrt erwiesen sich als Renner.

Fjord in Norwegen (Foto: Bård Løken)
Drei Millionen Norweger sahen eine Fahrt durch die FjordeBild: picture alliance/Samfoto/NTB/Scanpix

Marathon-Stricken

"Überall beschleunigt das Fernsehen, das wollten wir anders machen", erklärt Lise May Spissøy, verantwortlich für das jüngste Slow TV-Projekt auf NRK2: eine Marathonsendung zum Thema Stricken. "Wir wollen den Menschen erlauben, ihre Sätze zu beenden", erzählt Spissøy. Man wolle nicht das Fernsehen verändern. Es sei eine Beigabe, einfach etwas anderes als das, was man sonst im Fernsehen serviert bekomme.

Die Programmmacher sind überzeugt: Solange sie die Themen für ihre Schneckentempo-Sendung sorgfältig aussuchen, ist alles möglich. Die Zuschauer scheinen das auch so zu sehen. "Die ‘Hurtigruten'-Sendung habe ich mir angeschaut, weil ich mich für Geografie und Menschen interessiere", erzählt Finn Lunde, 76. Die "Slow TV" -Programme hätten alle beim norwegischen Volk einen Nerv getroffen, meint der Zuschauer. Sie gingen mehr in die Tiefe und es gebe mehr Details, fügt Lunde hinzu.

Eine Zwölf-Stunden-Sendung zu Brennholz-Themen scheint wie gemacht für eine Bevölkerung, die es gewohnt ist, mit Holz zu arbeiten und viel davon in den langen und kalten Wintermonaten zu verbrennen.

Schaf (Foto: picture alliance/dpa))
Scheren, spinnen, stricken: Los!Bild: picture-alliance/AP

Rekorde brechen im Schneckentempo

Die Macher der Strick-Sendung am 1. November gingen indes kein Risiko ein, und deswegen gibt es darin ein wenig Action. "Nach Mitternacht wollen wir versuchen, den Guinness-Rekord zu brechen", erklärte Wendla Black, zuständig für die Ausstrahlung in der Nacht. Dabei ging es ums Schafe-Scheren, Wolle-Spinnen und Pullover-Stricken. "Der Rekord in Australien liegt bei vier Stunden und 51 Minuten. Den wollen wir brechen."

Bisher haben nur die Schweden das TV-Format übernommen. Dort konnten Zuschauer beobachten, wie ein Elchjäger sich stundenlang an seine Beute heranpirscht. NRK-Produzent Rune Møklebust ist allerdings überzeugt, dass sich das Format auch außerhalb Skandinaviens bewähren könnte.

Slow TV als Exportschlager?

"Es geht um Reisen, mit denen sich unsere Zuschauer identifizieren können. Brennholz und Stricken sind Teil unserer Kultur", erklärt Møklebust. Deutsche, Engländer und Amerikaner hätten doch auch ureigene Themen, meint der Produzent, der sich eine lange Reise durch einen US-Nationalpark oder entlang eines deutschen Flusses durchaus vorstellen kann.

Und was kommt nach der Strick-Sendung? "Ich habe eine Idee, die so merkwürdig ist, dass sie wieder interessant ist", meint Rune Møklebust: das Berliner Kunstprojekt "Standard Time", eine digitale Uhr, die minütlich von Bauarbeitern mit langen Holzbrettern umgebaut und aktualisiert wird. Das, so der norwegische Fernsehproduzent, sei für ihn "Slow TV" in Reinform. So könnten man die Menschen dazu bekommen, "einfach nur da zu sitzen und stundenlang zuzusehen, wie die Zeit vergeht."