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Skandal um angebliche Erdogan-Telefonate

Senada Sokollu25. Februar 2014

Im Internet kursieren Mitschnitte von angeblichen Telefonaten des türkischen Premiers Erdogan. In einem soll er seinen Sohn auffordern, Millionensummen zu verstecken. Unklar ist, ob das Material authentisch ist.

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Der Premierminister der Türkei, Tayyip Erdogan (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo

Der angebliche Telefonmitschnitt wurde im Internet in den ersten zwölf Stunden nach Bekanntwerden 1,2 Millionen Mal angeklickt. In den sozialen Netzwerken ließen die Menschen die ganze Nacht lang ihrem Unmut freien Lauf. "Zu peinlich!", "Die politische Spannung erreicht ihren Gipfel!" oder "Wollte die Türkei nicht mal in die EU?" - das waren typische Reaktionen auf Twitter und Facebook. Aber die Kernfrage blieb offen: "Kann jemand verifizieren, dass der Erdogan-Leak echt ist?", fragt eine Twitter-Userin.

Die Gespräche sollen vom 17. und 18. Dezember 2013 stammen - angeblich fordert Erdogan darin seinen Sohn auf, mehrere Millionen Dollar und Euro zu verstecken. Der 17. Dezember war der Tag, an dem in der Türkei ein Korruptionsskandal bekannt wurde, in den die Spitzen von Politik und Wirtschaft verstrickt sein sollen. Es geht um Bestechung, illegale Goldgeschäfte mit dem Iran und illegale Bauprojekte. Ranghohe Politiker und Wirtschaftsbosse, aber auch Söhne von Ministern wurden verhaftet.

Opposition fordert Rücktritt der Regierung

Die Regierung reagierte prompt mit einer Pressemitteilung: "Die Sprachaufnahmen, die angebliche Gespräche zwischen Recep Tayyip Erdogan und seinem Sohn darstellen, sind ein unmoralisches Produkt der Montage und absolut unrealistisch."

Die Republikanische Volkspartei (CHP), die größte Oppositionspartei der Türkei, forderte die Regierung unter Premier Erdogan zum Rücktritt auf. "Es ist inakzeptabel, dass jemand, der sich im Zentrum dieses schmutzigen Geflechts befindet, weiter die Türkei regieren soll. Diese Regierung hat mittlerweile ihre gesamte Legitimität verloren", wird CHP-Sprecher Haluk Koc von der türkischen Zeitung Hürriyet zitiert. Auch die nationalistische Partei MHP schloss sich dieser Meinung an: Wenn diese Telefongespräche echt und nichts hinzugefügt worden sei, müsse man an der Glaubwürdigkeit und Moral des Premierministers zweifeln, war vom MHP-Vorsitzenden Devlet Bahceli zu hören.

Bei Protesten gegen die türkische Regierung am 25.02.2014 setzte die Polizei wieder Tränengas ein (Foto: Reuters)
Proteste in Istanbul: Die Polizei setzte Tränengas einBild: Reuters

Am Dienstagabend (25.02.2014) sind in Istanbul, Ankara, Izmir und anderen Städten Hunderte von Regierungsgegnern auf die Straße gegangen. Viele skandierten Parolen wie: "Überall ist Bestechung, überall ist Korruption". Es kam erneut zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die Polizei setzte Tränengas ein.

Erdogan geht gegen "Parallelstaat" vor

Seit Beginn des Korruptionsskandals Mitte Dezember geriet die Regierung aufgrund von Gesetzesentwürfen und Maßnahmen gegen die türkische Justiz vermehrt in die Kritik. So ließ Erdogan bereits hochrangige Richter, Staatsanwälte und Polizisten entlassen oder zwangsversetzen. Kritiker haben diese Ermittlungen als Antwort Erdogans auf die Polizeirazzien im Rahmen der Korruptionsermittlungen interpretiert. Immer wieder betonte der türkische Premier, ein Parallelstaat, ein sogenannter "tiefer Staat" habe seine Finger im Spiel, der durch den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen gesteuert werde. Gülen ist ein ehemaliger Verbündeter Erdogans und soll in den letzten Jahren durch seine Anhänger in der Türkei den Einfluss seiner Bewegung in Justiz und Polizei beträchtlich erhöht haben. So wird auch Erdogans Justizreform von Kritikern als Versuch interpretiert, die Macht der Gülen-Bewegung innerhalb des Justizapparats zu schwächen.

Der türkische Politikexperte Can Paker, ein ehemaliger Berater der CHP-Parteispitze, fragt sich, wer tatsächlich verantwortlich für die Mitschnitte der angeblichen Gespräche Erdogans ist - und ob das Material überhaupt authentisch ist. "Sowohl die Gülen-Anhänger, als auch die Erdogans besitzen Telefonmitschnitte von Gesprächen der anderen. Sie bewahren sie als Munition auf und dann bringen sie diese zu einem bestimmten Zeitpunkt, der ihnen passend erscheint, an die Öffentlichkeit", so Paker im DW-Gespräch. Dies sei Teil des Machtkampfs, das sei der Grund für das zahlreiche Material im Internet.

Der in den USA lebende Prediger Fethullah Gülen (Foto: EPA)
Anhänger des Predigers Fethullah Gülen sollen über erheblichen Einfluss in der türkischen Justiz verfügenBild: picture-alliance/dpa

"Erdogan wird niemals zurücktreten"

Auch der Politikwissenschaftler und Kolumnist Cengiz Aktar betont, dass der Wahrheitsgehalt der Aufnahmen noch nicht bestätigt worden sei. "Wenn dieser Mitschnitt aber echt ist, dann ist er Teil der Ermittlungen zum Korruptionsskandal. Doch dieser Mitschnitt ist anders als vorherige Vorwürfe und Veröffentlichungen von Telefongesprächen. Dieses Mal verlangt die Opposition den Rücktritt des Premierministers. Damit erreicht diese Krise eine neue Dimension", so Aktar im DW-Gespräch.

Trotzdem werde Erdogan noch lange nicht zurücktreten, so Aktar: "In der politischen Welt der Türkei gibt es keine Tradition für einen solchen Rücktritt. Niemand kann Erdogan dazu zwingen, zurückzutreten. Er wird nie einen Schritt zurückweichen."