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Sirtaki fürs Gemeinschaftsgefühl

Vanessa Klüber24. Februar 2015

Faule Griechen, unbarmherzige Deutsche? Die Stimmung in beiden Ländern ist aufgeheizt. Zum Leidwesen jener, die beide Länder kennen. Ein Stimmungsbericht aus Berlin.

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Manfred Grüneberg (Foto: DW)
Bild: DW/V. Klüber

Wenn er alleine ist, tanzt Manfred Grüneberg (Artikelbild) oft Sirtaki. Der Rentner steht morgens auf, legt eine CD ein, bereitet die Arme aus, schließt die Augen, Oberkörper gerade, schwingende Beine. Und einmal pro Woche tanzt er mit anderen Deutschen griechisch in der Gruppe - aus Leidenschaft. Grüneberg erklärt: "Griechischer Tanz funktioniert super in der Gruppe. Aber Griechen tanzen auch versonnen alleine, das ist für sie das Himmelreich."

Anders läuft es nach Meinung von Grüneberg auf dem europäischen Parkett. Da sollen alle Länder zusammenhalten, wie beim Sirtaki, wo sich die Tanzpartner freundschaftlich an den Schultern halten. "Griechenland wird die EU nicht verlassen", ist er überzeugt. In der aktuellen Diskussion um Griechenlands Wirtschaftsschulden wurde auf Seiten der Politiker immer wieder ein Austritt Griechenlands in Erwägung gezogen.

Grüneberg ist dagegen überzeugt, dass Griechenland in der EU bleiben muss. Außerdem ist für ihn klar: Es sollte einen Schuldenschnitt geben.

"Deutschland konnte seine Schulden nicht zurückzahlen"

"Die Position von Finanzminister Wolfgang Schäuble ist zu hart", sagt Grüneberg. "Die Griechen haben nicht die Kraft, ihre Schulden zurückzuzahlen."

Der griechische Staat ist zurzeit mit rund 320 Milliarden Euro verschuldet. Im Jahr 2012 mussten private Gläubiger einen Schuldenschnitt akzeptieren, dem Land wurden damals rund 100 Milliarden Schulden erlassen. Deutschland und die anderen Länder der Eurozone sind gegen einen weiteren Schuldenschnitt, weil der letztlich die Steuerzahler der gesamten Eurozone belasten würde.

Grüneberg erinnert dagegen daran, dass Deutschland selbst einmal von einem Schuldenschnitt profitiert hat. "Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Deutschland seine Schulden nicht zurückzahlen. Ohne Schuldenschnitt hätten wir ziemlich schlecht dagestanden." 1953 hatten zahlreiche Gläubigerländer, darunter auch Griechenland, der jungen Bundesrepublik die Hälfte ihrer Schulden erlassen und einer langfristigen Umschuldung der Restsumme zugestimmt.

Trotzdem findet Grüneberg: "Die Linken in Griechenland dürfen nicht so markige Sprüche raushauen und andere beleidigen." Der neue griechische Regierungschef Alexis Tsipras etwa hatte das Verhalten des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble mit dem eines Kolonialherren verglichen.

"Die EU braucht Griechenland und Griechenland braucht die EU"

Reisebüroleiter Reinhard Schoppnies ist nicht besonders froh über das Griechenlandbild der Deutschen. "Hauptsache Strand, Meer und Hotel - mehr interessiert die jüngeren Leute nicht an Griechenland", sagt er. Die 2000 Jahre alte Kultur des Landes? Fehlanzeige. "Akropolis, ist das eine Kneipe?" soll er schon gefragt worden sein, als er Kunden die antiken Stadtfestungen griechischer Städte anpreisen wollte. "Schade, denn in Griechenland leben extrem nette Leute, die ihre Heimat zeigen wollen", so Schoppnies.

Reisebüroleiter Reinhard Schoppnies
Reisebüroleiter Reinhard SchoppniesBild: DW/V. Klüber

Er selbst hat vor einigen Jahren die Gastfreundschaft der Griechen kennengelernt. Als Reiseland in Europa sei es aber nicht gerade Spitze - die Lust auf Griechenland gehe seit Jahren zurück. Auch seien die Deutschen nicht von griechischen Stränden abhängig. Trotzdem: "Die EU braucht Griechenland und Griechenland braucht die EU", findet Schoppnies. "Man kann die Griechen nicht wegen einer Wirtschaftskrise aus der EU schmeißen."

Vor Kurzem habe ein älterer Kunde im Reisebüro seinen Griechenlandurlaub in einen Spanien-Urlaub umgetauscht; die Griechen seien ihm zu faul. "Das finde ich arrogant und das ärgert mich", so Schoppnies. "Die Griechen sind natürlich nicht fauler als alle anderen Europäer."

"Tsipras‘ Wirtschaftspolitik ist nur der Anfang einer Bewegung"

Die Griechin Eleni Varopoulou kennt die Vorurteile der Deutschen. Die Theaterwissenschaftlerin und Autorin und leitet die griechische Kulturstiftung In Berlin. In den Räumen der Stiftung hängt ein großes Foto des Schweizer Schauspielers Bruno Ganz an der Wand. Die Direktorin möchte vor ihm fotografiert werden, weil sie ihn als Schauspieler sehr mag. Es ist das Werk einer griechischen Fotografin über den Film "Staub der Zeit", der in Berlin spielt. Griechenland und Deutschland, Varopoulou will beides zusammenbringen. Ihr Ort ist für junge Künstler aus beiden Ländern da.

Stiftungsdirektorin Eleni Varopoulou (Foto: DW)
Stiftungsdirektorin Eleni VaropoulouBild: DW/V. Klüber

Sie selbst lebt seit 20 Jahren in Deutschland, kennt beide Länder sehr gut. Für Varopoulou dürfen keine zu großen Lücken entstehen - weder zwischen Griechenland und Deutschland, noch zwischen Arm und Reich. "Ich stehe auf Seiten der neuen griechischen Regierung", so Varopoulou. "Endlich spricht sich jemand ganz klar gegen die Sparpolitik aus. Wenn zu viel gespart wird, trifft das oft die Armen, spaltet die Gesellschaft. Und dann ist Platz für Rechtsextreme Kräfte."

Von der angespannten Stimmung zwischen Deutschen und Griechen merkt die Direktorin wenig. "In meinem Umfeld von Künstlern, Intellektuellen und Studenten will man sich - Deutsche und Griechen - gegenseitig helfen." Für Varopoulou ist die Wirtschaftspolitik von Tsipras nur der Beginn einer Bewegung gegen das Sparen in Europa.

Griechenland hat nun angekündigt, Reformen durchzusetzen, um weitere finanzielle Hilfen von der EU zu erhalten. Beide Seiten sind aufeinander zugegangen.

Der griechisch tanzende Renter Grüneberg erklärt: "Im Griechischen gibt es die pontischen Tänze, die verzweifelten, fast depressiven. Es gibt aber auch die fröhlichen Tänze von den Inseln, immer elegant, aufrecht locker." Grüneberg hofft, dass die pontische Stimmung zwischen Deutschland und Griechenland bald vergeht und die Gangart bald wieder fröhlicher sein wird.