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Ungeduldig nach oben

Bettina Marx15. Dezember 2013

Es waren spannende Stunden für den Chef der Sozialdemokraten. Die SPD-Mitglieder haben einer großen Koalition mehrheitlich zugestimmt. Sigmar Gabriel selbst ist auf dem Gipfel der Macht angekommen - als Vizekanzler.

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Koalitionsverhandlungen im Willy-Brandt-Haus in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa

Sigmar Gabriel ist ganz oben angekommen. Vom etwas belächelten Jugendbeauftragten seiner Partei, der für Popmusik zuständig war und deshalb scherzhaft "Siggi-Pop" genannt wurde, ist er zum anerkannten, wenn auch nicht völlig unumstrittenen Vorsitzenden aufgestiegen. Und in der neuen Regierung wird er als Vizekanzler das Wirtschafts-und Energieministerium führen.

Der Provinzpolitiker aus Niedersachsen wurde einer der einflussreichsten Männer in Deutschland. Seit 2009 steht er an der Spitze der SPD, der ältesten demokratischen Partei Deutschlands. Mit politischem Geschick, mit viel Energie und manchmal auch mit Ungeduld führt er seither die Sozialdemokraten. Dabei ist es ihm in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen, den Genossen Mut einzuflößen und die Reihen der geschrumpften und innerlich zerrissenen Volkspartei zu schließen.

"Raus ins Leben"

Nach dem Wahldebakel von 2009, als die SPD von 34 auf 23 Prozent der Stimmen abgesackt war, richtete der ehemalige Umweltminister seine enttäuschten und frustrierten Parteifreunde beim Parteitag von Dresden mit einer mitreißenden und kämpferischen Rede wieder auf. "Wir müssen raus ins Leben", rief er den niedergeschlagenen SPD-Mitgliedern damals zu. "Wir müssen dahin, wo's anstrengend ist. Denn nur da ist das Leben."

Gestärkt durch das Vertrauensvotum der Delegierten, die ihn mit 94,2 Prozent als Nachfolger von Franz Müntefering an die Spitze der Sozialdemokraten wählten, versprach er, die SPD wieder an die Macht zu führen. Doch zunächst ging die Partei für vier Jahre in die Opposition. In dieser Zeit setzte Gabriel innerparteiliche Reformen durch. Er schaffte das Parteipräsidium zugunsten eines erweiterten Vorstands ab und führte den regelmäßig tagenden Parteikonvent ein, das höchste Gremium zwischen den Parteitagen. Er entfaltete seinen Einfluss vor allem in der Zeit nach der Bundestagswahl im letzten September, als er sich für Koalitionsverhandlungen mit der Union aussprach. Die letzte Entscheidung über den Eintritt in eine Regierung Merkel wollte Gabriel den Parteimitgliedern überlassen.

Franz Müntefering gratuliert Sigmar gabriel beim Parteitag von Dresden 2009 zu seiner Wahl zum Parteichef. (Foto: getty images)
Franz Müntefering gratuliert seinem Nachfolger Gabriel zur Wahl zum ParteivorsitzendenBild: Getty Images

Als Parteichef wiedergewählt

Der SPD-Chef war auf dem Leipziger Parteitag kurz nach der Bundestagswahl in seinem Amt bestätigt worden. Doch diesmal war das Ergebnis nicht berauschend. Nur 83,6 Prozent der rund 600 Delegierten gaben ihm ihre Stimme, acht Prozentpunkte weniger als bei seiner letzten Wiederwahl im Jahr 2011. Gabriel bedankte sich für das "ehrliche Ergebnis".

Sigmar Gabriel am 14.11.2013 beim SPD-Parteitag in Leipzig (Foto: REUTERS)
Nüchterne Bestandsaufnahme beim Parteitag in Leipzig im November 2013Bild: Reuters

Zuvor hatte er dem Parteitag eine nüchterne und schonungslose Bestandsaufnahme vorgelegt. Mit Blick auf das Wahlergebnis gebe es nichts zu beschönigen, sagte er und: "Die politische Gesamtverantwortung für unser Wahlergebnis trage ich." Die SPD habe unter mangelnder Glaubwürdigkeit gelitten. Für die Menschen in Deutschland sei die stabile wirtschaftliche Lage wichtiger als das sozialdemokratische Gerechtigkeitsideal. Die SPD brauche daher ein stärkeres Wirtschaftsprofil. Ein Kanzlerkandidat, der dies verkörpere, reiche aber offenbar nicht aus, um Wahlen zu gewinnen.

Bittere Wahlschlappe

In der Tat hat die SPD bei der Wahl im September ihr bisher zweitschlechtestes Ergebnis erzielt. Nur 25,7 Prozent der Wähler gaben der Partei ihre Stimme. Auch Gabriel wurde für diese Wahlschlappe verantwortlich gemacht. Er sei dem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück mit unglücklichen Äußerungen und nicht abgestimmten Vorschlägen in die Parade gefahren, lautete die Kritik. So hatte er mitten im Wahlkampf ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen ins Spiel gebracht, diesen Vorschlag jedoch schnell und kleinlaut wieder zurückgezogen, als es Proteste hagelte. Außerdem habe er selbst Zweifel an der Eignung Steinbrücks gestreut, als dessen Kandidatur zu einem Fiasko zu werden drohte.

Beim Parteitag in Leipzig war von solchen Misstönen nichts mehr zu hören. Seine Freundschaft zu Steinbrück habe über den Wahlkampf hinweg gehalten, erklärte Gabriel und an den gescheiterten Kanzlerkandidaten gerichtet fügte er hinzu: "Du bist einfach ein feiner Kerl". Dieser versöhnliche Ton kommt auch in der Öffentlichkeit gut an. Dort konnte der schwergewichtige Gabriel inzwischen Sympathiepunkte hinzugewinnen. Trotz seiner rumpigen Art stieg er in die Riege der beliebtesten Politiker auf. Und das, obwohl er Journalisten gegenüber oft ungeduldig und genervt auftritt. In einem Interview mit der ZDF-Moderatorin Marietta Slomka vor wenigen Wochen reagierte er unwirsch auf ihre nachhakenden Fragen zum Mitgliedervotum und warf ihr vor "Quatsch" zu verbreiten. Schützenhilfe bekam er dafür von unerwarteter Seite: CSU-Chef Horst Seehofer beschwerte sich beim ZDF über den Fragestil der Fernsehjournalistin, die nach der Verfassungsmäßigkeit des SPD-Mitgliederentscheids gefragt hatte.

Der damalige Umweltminister Sigmar Gabriel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im August 2013 in Grönland. (Foto: DPA)
Schon einmal war Gabriel Minister im Kabinett Merkel. Wird er nun Vizekanzler?Bild: picture-alliance/dpa

Mit der Abstimmung der SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag hat Gabriel seine Parteifreunde in ein Dilemma gestürzt. Denn bei den meisten von ihnen ist ein Regierungsbündnis mit der Union äußerst unbeliebt. Zu frisch ist noch die Erinnerung an die letzte große Koalition zwischen 2005 und 2009, die für die SPD einen herben Absturz in der Wählergunst brachte. Auch für Gabriel selbst war die Mitgliederbefragung ein Wagnis. Ein Nein der Basis hätte das Ende seiner Karriere sein können. Stattdessen beschwört die SPD den Aufbruch.