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Tod durch den Zensurstrick?

Frank Sieren28. Februar 2015

Weibo, das chinesische Pendant zu Twitter, hat seine besten Zeiten schon hinter sich. Die staatliche Zensur, vor allem aber die bessere Konkurrenz bringt Weibo in Bedrängnis, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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China Internet Sina Weibo auf Handy
Bild: Reuters

Der chinesischen Regierung ist Weibo offensichtlich nicht geheuer. Ab kommenden Montag müssen Nutzer sich mit ihrem Klarnamen anmelden. In Deutschland, wo volle Meinungsfreiheit herrscht, wäre das wünschenswert, damit die User Verantwortung für ihre Unverschämtheiten übernehmen, die sie teilweise unter Decknamen über andere verbreiten. In China, wo nicht klar ist, was die Regierung toleriert oder nicht, ist das eine große Einschränkung. Es wird dazu führen, dass die Nutzerzahlen, die seit über einem Jahr sinken, noch weiter zurückgehen werden. Und das ist wohl auch die Absicht der Regierung. Der Zensurstrick wird enger gezogen.

Erst wenn die persönlichen Daten den Behörden vorliegen, darf man sich künftig einen Fantasienamen aussuchen. Die Regierung will also genau wissen, mit wem sie es zu tun hat. Die anderen User wissen das nicht. Wer sich "falsch" äußert, kann schnell mal Besuch von der Polizei bekommen. Anfangs waren es die beliebtesten Benutzer, wie berühmte Musiker, Schauspieler und Künstler, die die Zielscheiben der Zensurbeamten waren und jetzt nur noch Unverfängliches zwitschern. Nun möchte die Regierung auch bei den Durchschnittsnutzern keine Überraschungen mehr erleben.

Vor allem Privates wird verschickt

Doch genau wie der Rest der Welt nutzen auch Chinesen ihre sozialen Netzwerke nicht in erster Linie, um den ganzen Tag über Politik zu diskutieren oder gar eine Revolution auszuhecken. Lieber zeigen sie ihren Freunden, wie gut es ihnen geht, und posten Fotos vom Abendessen oder aus dem Urlaub. Wenn man jedoch einmal nicht aufpasst, kann es einem ergehen, wie einem 16-jährigen Jungen, der festgenommen wurde, nachdem er geschrieben hatte, dass Regierungsbeamte sich untereinander schützen würden.

Doch noch viel schlimmer für Weibo als die Zensur sind die erfolgreichen Konkurrenten. Vor allem das Unternehmen Tencent, das die erfolgreiche Smartphone-App WeChat betreibt, die Weibo seit einigen Jahren langsam aber sicher den Rang abläuft - und das in allen Belangen. Ob man eine schnelle Nachricht sprechen will, ein Foto oder Video schicken will, WeChat ist viel unkomplizierter zu bedienen als Weibo. Und so sind die meisten Weibo-Nutzer längst umgezogen und nutzen die alte Seite fast gar nicht mehr. Gab es 2013 noch um die 500 Millionen registrierte Accounts, so waren es 2014 nur noch 331 Millionen und der Trend setzt sich fort: Zuletzt sanken die Nutzerzahlen auf 275 Millionen, von denen allerdings sogar sechzig Prozent noch nie eine Nachricht geschrieben haben. Überhaupt werden 94 Prozent des Inhalts von nur fünf Prozent der User generiert - das sind Zahlen eines sterbenden Dienstes, der das Interesse der Netzgemeinde verloren hat.

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DW-Kolumnist Frank SierenBild: Frank Sieren

Der erfolgreiche Konkurrent

Dem gegenüber steht WeChat, dessen Entwicklung besser nicht sein könnte. Über 400 Millionen Menschen nutzen das Programm schon und die Zahl der Nutzer wächst stetig. Wer einmal längere Zeit in China verbringt und mit Chinesen in Kontakt kommen will, kommt nicht um die App herum. Was Weibo verpasst hat, hat WeChat längst geschafft: Auch außerhalb Chinas findet das Nachrichtenprogramm schon bei über 100 Millionen Nutzern Anklang. Damit hat der US-Konkurrent WhatsApp, der am schnellsten wachsende Internetdienst der Geschichte, mit seinen 700 Millionen aktiven Nutzern, einen durchaus ernst zu nehmenden Konkurrenten. Facebook hatte WhatsApp vor einem Jahr erst für 15 Milliarden Euro gekauft.

Der größte Vorteil, den WeChat gegenüber WhatsApp hat: Man kann kostenlos normale und Videotelefonate führen. Und man muss die Nachrichten nicht mehr tippen, sondern kann sie auch sprechen. Aus diesem Grund verhandelt der amerikanische Autohersteller Ford gerade mit den Chinesen über eine Kooperation, die es ermöglichen soll, während der Fahrt zu chatten, ohne die Hände vom Lenkrad nehmen zu müssen. Für Chinesen ist die Frage, wie man im Auto vernetzt ist, wichtiger als die Frage der Motorleistung.

Mehr als nur kommunizieren

Tencent entwickelt sein Programm ständig weiter. Inzwischen kann man an der Kasse im Supermarkt oder im Internet bezahlen. Dass WeChat auch in diesem Bereich inzwischen die Nase vorn hat, haben sie auch zum chinesischen Neujahrsfest in der vergangenen Woche bewiesen. Zum neuen Jahr ist es in China Tradition, Geld in roten Umschlägen, sogenannten Hongbaos, an Familie und Freunde zu verschenken. Seit vergangenem Jahr kann man das praktischerweise auf elektronischem Weg machen. In diesem Jahr wurde die Funktion über eine Milliarde Mal genutzt. Alibaba bietet bei Weibo zwar den gleichen Dienst an, Tencent hat aber die besseren Partnerverträge geschlossen. Zum Beispiel mit dem Staatssender CCTV, der die jährliche vierstündige Silvestershow mit über 700 Millionen Zuschauern sendet.

Der Regierung ist WeChat vor allem aus einem Grund lieber: Anders als bei Weibo können nicht alle alles sehen, sondern nur die jeweiligen Gruppen, die die User aufgebaut haben oder denen sie beigetreten sind. Und da WeChat an die Telefonnummer gekoppelt ist, sind die meisten User bekannt. Das ist allerdings keine Versicherung dafür, dass die Regierung nicht auch bei WeChat irgendwann die Freiheit einschränkt.

Unser Korrespondent Frank Sieren gilt als einer der führenden deutschen China-Spezialisten. Er lebt seit 20 Jahren in Peking.