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Die Hälfte des Himmels

Frank Sieren14. April 2015

Dass in China fünf Frauen, die für mehr Gleichberechtigung kämpfen, eingesperrt wurden und ihnen nun eine Anklage droht, ist unverhältnismäßig, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Portraits von Frauenrechts-Aktivistinnen Li Tingting, Wei Tingting, Wang Man, Wu Rongrong und Zheng Churan
Bild: Reuters/Tyrone Siu

Mit China und dem Feminismus ist das so eine Sache. "Die Frauen tragen die Hälfte des Himmels", hat Mao einmal gesagt. Seitdem taucht der Satz immer wieder in Diskussionen um Frauenrechte auch in China auf. Das Problem ist nur: Für Mao ging es nicht um Rechte, sondern um Pflichten. Malochen für Mao also. Nicht bunt, sondern brav sollten die Frauen sein. Nicht selbstbestimmt, sondern gehorsam. In manchen Teilen der chinesischen Gesellschaft hat sich diese Einstellung bis heute gehalten. Anders lässt sich die Verhaftung von fünf Feministinnen nicht erklären, die am 8. März, dem Weltfrauentag, Flugblätter und Aufkleber gegen sexuelle Belästigung landesweit an öffentlichen Plätzen verteilen wollten.

Die fünf Frauen sind mittlerweile auf Kaution frei, doch noch immer droht ihnen eine Anklage: "Organisieren einer Versammlung zur Störung der öffentlichen Ordnung", lautet der Vorwurf. Und das, obwohl sich ihre Ziele mit denen der Kommunistischen Partei decken. Auch beim diesjährigen Nationalen Volkskongress im Frühjahr wurde über die Rechte der Frauen beraten. Zum ersten Mal ging es um einen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt.

Besetzte Herren-WCs, blutige Brautkleider

Wie man jedoch für Frauenrechte kämpft, darüber haben Teile des Staates und der Partei offensichtlich noch andere Vorstellung als die jungen Frauen zwischen 25 und 33 Jahren. 2012 schon haben die Aktivistinnen landesweit Männertoiletten besetzt, um darauf aufmerksam zu machen, dass es zu wenige öffentliche Frauen-WCs gibt. Oder sie demonstrierten gegen häusliche Gewalt, indem sie mit blutverschmierten Brautkleidern auf die Straßen Pekings gingen. Bevor sie verhaftet wurden, planten sie zuletzt, in mehreren Städten gleichzeitig gegen Grapscher in Bussen und Bahnen zu demonstrieren.

Für viele junge Leute in China ist das bunt, harmlos und humorvoll. Andere Chinesen empfinden es als geschmacklos aber tolerierbar. Wieder andere, nicht nur in Staat und Partei, halten dies für eine Störung der öffentlichen Ordnung. Was die Mehrheit der Chinesen denkt, möchte man sich lieber nicht vorstellen. Der Staat jedenfalls hat sich in diesem Fall klar entschieden. Er hat wieder einmal gezeigt, wie intolerant er ohne Not sein kann. Derartige Fälle haben seit dem Amtsantritt von Staats- und Parteichef Xi Jinping zugenommen. Xi hat die Verhaftung der Frauen natürlich nicht befohlen und sich sehr wahrscheinlich nicht einmal damit beschäftigt.

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DW-Kolumnist Frank SierenBild: Frank Sieren

Die Verhaftungen passen aber zu seinen gegenwärtigen politischen Zielen: Wir haben so schwierige historische Reformen vor, lautet seine Linie, dass die Aufmüpfigen in der Zivilgesellschaft jetzt den Mund halten sollen. Xi und seine Gefolgsleute mögen das für pragmatisch halten angesichts eines riesigen Landes mit 1,4 Milliarden Menschen. Die Minderheit der modern denkenden Chinesen vor allem in den großen Städten hält das für maoistisch oder zumindest für rückständig.

Von Obama lernen

Für Xi sind die Verhaftung und die mögliche Anklage jedenfalls außenpolitisch höchst ungeschickt. Hoffentlich hat ihm wenigstens das schon jemand gesagt. Im September will Xi das zwanzigjährige Jubiläum der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon groß feiern. Xi, der im Sommer erstmals als Staats- und Parteichef in die USA reisen wird, kann in dieser Frage von US-Präsident Barack Obama lernen, wie man mit staatlichen Gewaltexzessen umgeht, die es ja auch in den USA zuweilen gibt. Kaum jemand macht US-Präsident Barack Obama dafür verantwortlich, dass in den USA immer wieder wehrlose Schwarze von Polizisten erschossen oder zusammengeschlagen werden. Denn Obama distanziert sich von den Übergriffen, obwohl es eine unabhängige Justiz in den USA längst gibt.

In China ist in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahrzehnten zwar schon viel passiert, aber nicht so viel, dass die fünf Frauen auf ein faires Verfahren hoffen können. Aus Sicht der Staatssicherheit verstoßen die Aktionen der Fünf nicht nur gegen das eingeschränkte Recht der Organisation, sondern - so lautet der absurde Vorwurf - sie gefährden die Stabilität des Landes. Sollte die Staatsanwaltschaft in Peking zu dem gleichen Ergebnis kommen, könnte jede der Frauen zwischen fünf und zehn Jahren im Gefängnis landen. Das ist unverhältnismäßig und unmenschlich.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.