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Sicherheit durch Gewalt?

Jonathan Sachse7. Dezember 2013

Der Weltfußballverband FIFA möchte eine WM für alle. Ein realistischer Wunsch? Ein halbes Jahr vor der Weltmeisterschaft in Brasilien steht besonders der Umgang mit den Sicherheitsproblemen in der Kritik.

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Bei einem Lehrerstreik überwältigen Polizisten in Sao Paulo Demonstranten (Bild: rtr)
Bild: Reuters

"Meine persönliche Sorge ist die nächste WM. Nicht Katar oder ein anderes Turnier", verkündete Walter de Gregorio öffentlichkeitswirksam auf einer Konferenz im dänischen Aarhus. Der FIFA-Sprecher klagte, er wisse aktuell nicht, wie die Sicherheitslage in Brasilien eingeordnet werden müsse, zu unterschiedlich seien die Informationen.

Alles sei unter Kontrolle, verspräche ihm die Regierung. Dass im nächsten Jahr die Proteste noch schlimmer werden, würde de Gregorio auf der anderen Seite von Gruppierungen wie dem "Schwarzen Block" hören. "Diese Gruppen werden keinen Erfolg haben", ließ er im Namen der FIFA ausrichten. Aber: "Wir müssen die Stadien vielleicht mit bis zu 6.000 Polizisten absichern", rechnete der FIFA-Mann vor. Er gibt zu: "Das ist nicht die beste Atmosphäre, um eine Party zu veranstalten."

Probleme bei WM-Vergabe bekannt

Der Sprecher des mächtigen Sportverbandes wählte seine Formulierungen geschickt: Eine Protestbewegung, die eine Party zerstören könnte, auf die sich bereits ein ganzes Land freue - so lautete seine Meta-Botschaft. De Gregorio versuchte den Eindruck zu erzeugen, nur eine bestimmte Gruppe sei unzufrieden. Er verschwieg, wie ein ganzes Land seit Monaten einen Weg sucht, mit den bevorstehenden Großsportereignissen, der Fußball-WM 2014 und den Olympischen Sommerspielen 2016 umzugehen.

Als das FIFA-Exekutivkomitee 2007 die Weltmeisterschaft zum insgesamt zweiten Mal nach Brasilien vergab, konnten die Entscheidungsträger ahnen, welche Sicherheitsprobleme auf sie zukommen würden. Dennoch entschieden sich die 28 Männer dafür. Über die Konsequenzen wurde in den letzten Monaten immer wieder berichtet - geräumte Favelas sind nur ein Beispiel.

Angst durch institutionalisierte Gewalt

Dennis Pauschinger forscht an den Universitäten in Hamburg und Kent über den Umgang mit Sicherheitsproblemen bei sportlichen Großveranstaltungen. In Brasilien sieht er ein strukturelles Problem: "Wir haben drei Schlüsselelemente in der Gesellschaft, die sich weigern, nach demokratischen Werten zu agieren." Gefängnisse, in denen jeden Tag gefoltert werde. Gerichte, die nicht objektiv urteilten. Eine Polizei, die gewaltbereit sei und töte. Sein Urteil: "Ich denke, man kann hier von institutionalisierter Gewalt sprechen."

Dennis Pauschinger von der Universität Hamburg und Kent (Bild: Thomas Søndergaard)
Wissenschaftler Dennis PauschingerBild: cc-by 2.0/Thomas Søndergaard

Die Bevölkerung fühle sich von den staatlichen Organisationen oftmals nicht fair behandelt. Pauschinger nennt Beispiele, in denen Bürger Quasi-Prozesse von kriminellen Organisationen bevorzugten, weil sie sich dort mehr Gerechtigkeit erhofften.

Keine No-Go-Areas - oder?

In den vergangenen drei Jahren sind mehr als 200.000 Menschen in Brasilien ermordet worden. Diese Zahlen kennt auch die FIFA und beauftragt deshalb neben den staatlichen Kontrollinstanzen private Sicherheitsfirmen. Dadurch würde der Weltverband einen "Parallelstaat" während des Turniers aufbauen, kritisiert Pauschinger: Sicherheit für einen bestimmten Zeitraum an bestimmten Orten. Die kulturellen Gründe für die Gewalt würden nicht untersucht werden. Und es bestehe auch kein Interesse, diese zu bekämpfen.

"Wir haben einen Plan für das ganze Land, alle Touristen werden sich frei bewegen können", wehrt sich Valdinho Caetano, der als Sonderbeauftragter für Sicherheit bei der Weltmeisterschaft 2014 eingestellt wurde. Caetano verspricht: "Es wird keine No-Go-Areas geben."

Kritiker wie Pauschinger sehen das anders. Drogenbanden, andere kriminelle Organisationen und die Polizei trügen einen brutalen Kampf aus. Pauschinger findet, "dass gerade diese Art von Sicherheitsproblemen von FIFA, IOC und Regierung mit der falschen Lösung angegriffen wird." Er nennt das Beispiel der geräumten Favelas, wo gerade die "Polizei als ein Teil des Problems" die Lösung bringen sollte.

Polizeigewalt außer Kontrolle

Elizabeth Martin, Initiatorin von "Don’t kill 4 me" (Bild: Thomas Søndergaard)
Aktivistin Elizabeth MartinBild: cc-by 2.0/Thomas Søndergaard

Die US-Amerikanerin Elizabeth Martin beschäftigt sich seit Jahren mit der Gewalt, die von der Polizei in Brasilien ausgeht. "Wenn die Polizei beauftragt wird, für Sicherheit bei der WM zu sorgen, bedeutet das, dass sie für uns tötet", meint Martin. Sie zählt Beispiele auf: Menschen, die auf offener Straße erschossen wurden, weil sie Informationen weitergaben. Räumungsaktionen, bei denen ganze Familien starben.

Mehr als 500 Menschen werden pro Jahr von der brasilianischen Polizei getötet, schätzt Martin die Dunkelziffer. Als ihr Neffe, der in Brasilien "das Abenteuer suchte", von der Polizei erschossen wurde, startete sie die Kampagne "Tötet nicht für mich".

"Ich möchte den Leuten beibringen, wie die Polizei arbeitet", erläutert sie ihre Motivation. Im Vorfeld der kommenden Großereignisse hat sie eine Online-Petition gestartet, die Vorschläge für einen Reformprozess innerhalb der Polizei beinhaltet und an FIFA und IOC adressiert ist.