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Der Trend zum Teilen

Tobias Oelmaier2. Dezember 2012

Landwirte tun es, Urlauber tun es, Autofahrer und Heimwerker. Sie teilen Maschinen, Wohnungen oder Autos - schließlich braucht man sie nur selten permanent. Ein ökonomisch sinnvoller Trend, der auch noch Spaß macht.

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Autos und Fahrräder aus den Sharing-Angeboten der Deutschen Bahn (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Sogar Blick aufs Meer hatten wir", schwärmt Thomas Kohlmann. Der Journalist, der für die DW arbeitet, hat schon öfter seine Wohnung in Köln gegen eine im Ausland getauscht. Vier Wochen Süditalien, in einer authentischen Privatwohung statt in einem unpersönlichen Hotelzimmer. Und das Ganze für 140 Euro Jahresmitgliedschaft bei homelink.de, einer gewerblichen Internet-Wohnungstauschbörse. Die Kohlmanns waren so auch schon in Kalifornien und Frankreich. "Und unsere Gäste haben sich bei uns auch immer wohl gefühlt."

Britta Majer und ihr Mann teilen sich das Auto mit einer Freundin. "Das ist einfach toll", sagt Britta Majer, denn anders als bei professionellen Carsharing-Anbietern müsse man bei der "alten Kiste" nicht so akkurat darauf achten, dass nichts beschädigt wird. Zwar ist Britta Majer auch bei Cambio, einem gewerblichen Anbieter, "aber das lohnt nur für kurze Stadtfahrten, sonst wird es zu teuer." Die Freundin nutzt das Auto unter der Woche, sie am Wochenende. "Besonders bei der angespannten Parkplatzsituation in Köln ist das ein Gewinn für beide", so die Onlinemarketing-Beraterin.

Mehr Arbeit für die Bohrmaschine

Thomas Kohlmann und Britta Majer sind längst keine Einzelfälle mehr. Denn das Teilen ist im Kommen. "Im Bereich b2b, Business to Business, also zwischen Unternehmen, wird es noch interessanter," sagt Michael Kuhndt, der Leiter des Wuppertaler Konsumforschungsinstituts CSCP. "Unternehmen sagen: Wir haben Equipment auf dem Betriebshof stehen oder gar eine ganze Anlage, die wir nicht permanent nutzen. Warum nicht teilen und dadurch Kosten senken?" Für einen einzelnen Landwirt kann die Anschaffung eines Mähdreschers unerschwinglich sein, tun sich aber mehrere benachbarte Höfe zusammen, ist das Großgerät bezahlbar. Und wie so viele andere Maschinen steht es ohnehin die meiste Zeit ungenutzt herum. Eine Bohrmaschine, so war jüngst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen, dreht sich, statistisch betrachtet, während ihres Lebens gerade mal 13 Minuten. Warum also eine eigene im Keller haben? Und auch die meisten Autos stehen 23 Stunden am Tag bewegungslos am Straßenrand.

Ein Mähdrescher fährt die Ernte ein (Foto: dapd)
Ein neuer Mähdrescher kostet mehrere 100.000 Euro. Teilen lohnt sich also, wenn er nicht voll ausgelastet istBild: dapd

Das Netz macht´s möglich

Der Trend zum Teilen und Tauschen kommt, wie so vieles, aus den USA und aus Australien nach Europa, wo er sich gerade in Griechenland besonders durchsetzt. Wirtschaftliche Zwänge begünstigen das Phänomen. So sind es vor allem junge Leute in Großstädten, bei denen das Geld knapp und die Wohnung eng sind, die zum Sharing-Modell greifen. Nach einer Schätzung von Michael Kuhndt gibt es allein in Deutschland inzwischen rund 200 Unternehmen, die Tauschdienste anbieten. Möglich geworden ist das in diesem Ausmaß erst durch das Internet. "Die Transaktionskosten für den Einzelnen sind dadurch reduziert", rechnet Konsumforscher Kuhndt vor. "Sie können über eine Lokal-Applikation auf dem Smartphone oder im Internet herausfinden, ob nicht vielleicht der Nachbar, mit dem Sie noch nie über dieses Thema gesprochen haben, vielleicht sogar sein Auto zum Sharing anbietet." Die Chance dazu steigt von Jahr zu Jahr. Anfang 2011 waren allein in Deutschland 190.000 Carsharing-Nutzer registriert.

Neue Konkurrenz für alte Wirtschaftszweige

Die Old Economy, die klassische Wirtschaft, dürfte dadurch aber nicht ins Wanken geraten. "Für die wird es gerade interessant", sagt Michael Kuhndt, "sich auch Gruppen mit niedrigerem Einkommen zu erschließen, die sie sonst nicht erreichen würden, zum Beispiel BMW über ein Nachbarschafts-Carsharing. Und die großen Konzerne tun das auch gerade schon." Und bei manchem dieser Nutzer könnte sich die Lebenssituation eines Tages ändern, er könnte zu Geld kommen, und dann kauft er sich vielleicht genau dieses Auto.

Eine chinesische Touristengruppe geht bei strahlend blauem Himmel über den Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin (Foto: DW)
Allein in Berlin gibt es rund 50.000 privat vermietete Betten, die jährlich von drei Millionen Besuchern genutzt werdenBild: picture-alliance/dpa

Der Hotelverband Deutschland (IHA) schreibt dagegen in seinem Branchenreport, dass die Tourismuswirtschaft durch den Trend zur Vermietung von Privatwohnungen alarmiert sei. Obwohl Privatquartiere mit weniger als neun Betten in der amtlichen Statistik nicht erfasst würden, stellten sie "mit 87 Millionen Übernachtungen pro Jahr ein nicht zu unterschätzendes Marktsegment im Deutschland-Tourismus dar". Allerdings verweist IHA-Hauptgeschäftsführer Markus Luthe auch darauf, dass der Wohnungstausch durchaus auch mit Risiken für Mieter und Vermieter beziehungsweise für beide Tauschpartner behaftet sein könnte. "Bei einem großen Teil dieser Übernachtungsangebote werden die allgemein für Beherbergungsbetriebe gültigen Sicherheits- und Hygienestandards nicht eingehalten. Feuerlöscher und Fluchtwegepläne fehlen oft." Zudem sei fraglich, ob Steuern ordnungsgemäß abgeführt würden.

Großes Thema auch auf der CeBIT 2013

Auf der Computermesse CeBIT in Hannover wird die "Shareconomy" im kommenden Jahr sogar zum Leitthema. Was mit realen Gütern funktioniert, wird im Netz auf noch weniger Barrieren stoßen, so die Idee. "Für die Wirtschaft und auch für die Gesellschaft ist 'Shareconomy' derzeit DAS heiß diskutierte Thema", heißt es auf der Internetseite der Messe-Veranstalter. "Blogs, Wikis, Collaboration, Votings und weitere Software-Lösungen werden die Arbeiteswelt in den kommenden Jahren sehr dynamisch verändern."

Tobias Arns vom Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM) nennt dabei das Stichwort "Crowdsourcing", das Zurückgreifen auf das Wissen der Allgemeinheit: "Die Idee dahinter ist die sogenannte 'Open Innovation'. Innovationsprozesse, die bisher hinter verschlossenen Türen stattgefunden haben, werden jetzt früh im Produktgestaltungsprozess öffentlich gemacht und es wird früh Wissen der Öffentlichkeit abgefragt, die sich so an der Planung beteiligen kann." Als Beispiel nennt Arns im Interview mit der Deutschen Welle den Autobauer Ford, der in Zusammenarbeit mit einem Crowdsourcing-Portal potentielle Nutzer zur seniorenfreundlichen Mitgestaltung des Innenraums aufgefordert hat. "Es liegt dann an den Herstellern, was sie mit den Informationen machen."

Die Teil- und Tauschwelt ist vielschichtig und in ihrer Entwicklung sicher noch am Anfang. Aber ganz neu ist die Geschichte nicht. Büchertauschregale in öffentlichen Gebäuden wie Krankenhäusern gab es schon lange vor der Erfindung des Internets.