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Shades of Grey - auch im Kino ein Erfolg?

Jochen Kürten11. Februar 2015

Es ist einer der erfolgreichsten Romane der vergangenen Jahrzehnte. Die Trilogie "Fifty Shades of Grey" verkaufte sich weltweit mehr als 70 Millionen Mal. Kann sie den Erfolg auf der Leinwand wiederholen?

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Szene aus dem Film Fifty Shades of Grey (Foto: Universal Pictures/Berlinale)
Bild: Universal Pictures

Die Geschichte, die die Autorin E. L. James in ihren Büchern erzählt, ist denkbar simpel. Eine 21-jährige Literaturstudentin lernt bei einem Interview einen schwerreichen Unternehmer kennen. Die beiden werden ein Paar. Das besondere daran: Ihr erotisches Verhältnis entwickelt sich zu einer sado-masochistischen Beziehung. Das wird im Buch ausführlich und en détail beschrieben. Hierin lag auch ein Grund für den enormen Bucherfolg. Sex Sells.

Dass Hollywood sich die Rechte an dem Roman sicherte, war klar. Die Filmstudios witterten ein Riesengeschäft. Schließlich war die Trilogie weltweit millionenfach verkauft worden. Seit rund einem Jahr kursieren im Internet Gerüchte über das Filmprojekt, erste Trailer sind seit Monaten zu sehen. Nun kommt die Verfilmung von "Shades of Grey" (Originaltitel: "Fifty Shades of Grey") in die Kinos (12.2.). Einen Tag zuvor erlebt der Film eine Vorpremiere im Rahmen der Berlinale.

Wir sprachen mit Werner Fuld, der lange als Literaturkritiker für FAZ und Focus gearbeitet und vor kurzem ein Buch über die Geschichte der erotischen Literatur vorgelegt hat. Fuld nennt noch andere Gründe für den Erfolg des Romans.

"Puritanisches Lehrbuch"

Deutsche Welle: Sie schreiben ganz am Ende ihrer "Geschichte des sinnlichen Schreibens" ,"Shades of Grey" sei überhaupt kein obszöner Roman, sondern "ein höchst puritanisches Lehrbuch zur Selbstoptimierung des Lebens, verkleidet in eine spätpubertäre Liebesgeschichte mit weiblichen Unterwerfungsritualen". Das müssen Sie erklären.

Werner Fuld: Das Buch beantwortet ja eine ganz alte Frage, die Frauen schon immer interessiert hat: Wie angele ich mir einen reichen Mann? Und es gibt den Rat, wie man sein Leben optimieren kann, um dieses Ziel zu erreichen, nämlich durch sexuelle Unterwerfung. Es ist also ein ziemlich reaktionäres Produkt: Am Ende wartet als Belohnung für die Studentin immerhin ein schönes Haus in der Vorstadt mit Rasen und properen Kindern.

Szene aus dem Film Fifty Shades of Grey (Foto: Universal Pictures/Berlinale)
Eine verhängnisvolle Affäre: Dakota Johnson (l.) und Jamie Dornan als SM-Paar in "Shades of Grey"Bild: Universal Pictures

Wie erklären Sie sich denn den enormen Erfolg des Buches noch? Ist es allein der Inhalt, also auch die ausführliche Beschreibung der sexuellen Praktiken? Oder spielten andere Dinge eine Rolle?

Natürlich ist dieser Erfolg nur möglich gewesen, weil sich die Leserinnen dieses Buch anonym auf ihr E-Book runterladen konnten, so dass niemand sah, was sie eigentlich lasen. Und durch die Mund-zu-Mund-Propaganda hat sich das enorm verbreitet.

Aber Sie listen auf den 500 Seiten Ihrer “Geschichte des sinnlichen Lesens“, die ja zurückblickt auf 700 Jahre Kultur- und Literaturgeschichte, eine Vielzahl von Titeln auf, die sich mit erotischen Dingen beschäftigten und die auch einen großen Erfolg hatten. Ist "Shades of Grey" nicht nur ein weiterer Erfolg in dieser Kette?

Es ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Inhalte auch eine neue Technik generieren können, denn das E-Book hätte sich nicht so schnell durchsetzen können, wenn es nicht diesen attraktiven Inhalt gegeben hätte. Andere erotische Romane waren zu ihrer Zeit zwar auch relativ erfolgreich, aber international haben sie doch nicht so ein Massenpublikum erreicht.

Ein klassisches Thema der Literatur

Aber an sich gilt doch: Das Schreiben erotischer Bücher ist so alt wie das Schreiben an sich!

Genauso ist es. Erotische Literatur wurde bis zu einem bestimmten Zeitpunkt im 19. Jahrhundert überhaupt nicht 'erotische Literatur' genannt. Das ist ein moderner Begriff. Erotische Motive und erotische Themen gehörten seit jeher zur Literatur und zwar ganz selbstverständlich, ohne dass man das besonders betonen musste. Erst mit der Einführung bzw. der Erfindung der Pornografie, also mit der Begrenzung der erotischen Literatur auf ein männliches Publikum, entstanden spezifisch erotische Szenen in der Literatur, die sich an ein ausgesprochen männliches Publikum wandten. Vorher war es ganz normal, dass sich Leser und auch Leserinnen daran erfreuten.

Werner Fuld Autor Literaturkritiker (Foto: Galinai Verlag)
Der Literaturkritiker Werner FuldBild: picture-alliance/dpa/Klaus Franke

Aber diese Literatur ist doch auch immer mal wieder auf heftigste Widerstände gestoßen, zum Beispiel bei den Kirchen.

Es gab Widerstände von der Kirche, wenn ganz bestimmte kirchliche Normen oder Personen angegriffen wurden. Aber es gab keine Gesetze dagegen. Erotische Literatur konnte nur verboten werden, wenn bestimmte Personen oder Institutionen diffamiert wurden, aber nicht wenn sie humorvoll oder satirisch dargestellt wurden. Und diese Bücher konnten auch eben nicht nur wegen sexueller und erotischer Themen oder Szenen verboten werden.

In Deutschland unüblich

Sie beschreiben drei große Sprachräume, in denen die erotische Literatur Triumphe feierte, das Italienische, das Französische, das Englische …

Ja, und da fällt natürlich sofort auf, dass das Deutsche fehlt.

Dazu kommen wir später, zunächst: warum gerade diese drei Sprachen?

Weil zur Ausbildung einer erotischen Literatur die Ausbildung zur Freiheit gehört. Die Freiheit des Salons, in dem Männer und Frauen gleichberechtigt verkehren und sich untereinander austauschen. Das hat es in den drei Ländern gegeben, aber eben nicht in Deutschland. In Deutschland war die Entwicklung sehr zurück. Während in Italien die Renaissance gefeiert wurde, herrschte in Deutschland Krieg. Es gab überhaupt noch keine deutsche Nationalsprache. Man schrieb in einem ganz bestimmten Dialekt. Es gab noch keinen Buchmarkt. Man schrieb nur für einen ganz begrenzten Freundeskreis.

Szene aus dem Film Fifty Shades of Grey (Foto: Universal Pictures/Berlinale)
Die Amerikanerin Dakota Johnson spielt im Film die Literaturstudentin Anastasia SteeleBild: Universal Pictures

Und in Frankreich?

Im 18. Jahrhundert, während der Aufklärung, die ja in der französischen Revolution mündete, war man gewohnt, Themen frei zu diskutieren. Und zwar alle Themen, die den Menschen betrafen. Und da gab es natürlich sehr viele Entdeckungen, auch naturwissenschaftlicher Art, was den Körper und die körperlichen Funktionen betraf. Das wurde zwischen Männern und Frauen sehr offen diskutiert. Und natürlich wollten die Frauen wissen, wie der Mann funktioniert und wie sie selbst funktionieren.

Kein Buchmarkt für erotische Literatur

Und die Deutschen? Das setzte erst später sehr vorsichtig ein, Sie erwähnen in Ihrem Buch beispielsweise Goethes "Wahlverwandtschaften."

Zunächst muss man mal festhalten, dass in Deutschland von einem begrenzten Kreis die französische, die englische und auch die italienische Literatur in den Nationalsprachen gelesen wurde: von den Gebildeten. Die lasen auch die lateinischen Klassiker, die lasen auch Aretino (Pietro Aretino, italienischer Dichter, 1492 - 1556) auf Italienisch und die lasen selbstverständlich die englischen und die französischen Autoren. In Deutschland selbst und in der deutschen Sprache wurde viel gereimt, es wurden obszöne Gedichte geschrieben und auch im Freundeskreis vorgetragen. Innerhalb der Studentenschaft kursierten Romane. Aber einen populären erotischen Buchmarkt gab es im Vergleich zu England oder Frankreich nicht.

Werner Fuld Eine Geschichte des sinnlichen Schreibens Buchcover (Foto: Galiani Verlag)
Bild: Galiani Berlin

Kehren wir noch einmal zurück zu "Shades of Grey", dort wird das Thema Sexualität eng an das Thema Gewalt gekoppelt. Ist das auch ein Grund für dessen Popularität?

Gewalt wird in "Shades of Grey" nur in ritualisierter Form beschrieben. Und die Szenen, die im Buch vorkommen, haben mit der Realität nicht die geringste Ähnlichkeit. Das ist für den amerikanischen Hausfrauenmarkt geschrieben. "Mommy Porn" nannte man das. So stellt man sich SM vor. Es ist eine ritualisierte Gewalt, die per Vertrag geregelt ist, wo keine Wunden zugefügt werden.

Aber auch das Thema gab es ja schon früher in erotischen Klassikern wie "Die Geschichte der O" zum Beispiel (französischer Roman von Anne Desclos, 1954).

Ja natürlich, das hat es alles gegeben und das gerät immer mal wieder in Vergessenheit. So ein Buch, wie ich es jetzt geschrieben habe, dient ja auch dazu, diese verschütteten Traditionen wieder ins Bewusstsein zu rufen.

Werner Fuld: Eine Geschichte des sinnlichen Schreibens, Galiani Verlag Berlin, 538 Seiten, ISBN 978-3-86971-098-3.