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Prostitution: Mythen und Fakten

Beate Hinrichs31. Januar 2015

Sexarbeit ist in Deutschland legal. Aber Prostituierte werden stigmatisiert oder zu Opfern erklärt - auch wenn sie ihren Job freiwillig machen. Ein neues Gesetz soll sie schützen. Aber es gibt auch Kritik.

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Blick in das Rotlichtviertel in Frankfurt (Archiv/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

"Eine Zeit lang war ich sehr stolz auf die Sexarbeit", sagt Nadine. Sie trägt blonde Locken und einen flauschigen schwarzen Mantel. "Ich war stolz auf meine Stammgäste. Einmal, als ein Kunde sehr schnell fertig war, habe ich sogar für einen Quickie 150 Euro bekommen und dachte: Wow! Das ist ein geiles Gefühl." Nadine ist Mitte 30 und durchaus hin- und hergerissen gegenüber der, wie sie sagt, "Puff- und Plastikkultur". Sie hat die Macht über Männer genossen und gleichzeitig darunter gelitten, ihre Gefühle abzuspalten. Aber für sie war die Prostitution zehn Jahre lang der beste Weg, ihr Geld zu verdienen.

Die Verdienstspanne ist riesig: Von etlichen hundert Euro pro Termin im hochpreisigen Escort bis zu 20, 30 Euro pro Freier auf manchem Straßenstrich oder Laufhaus. "Es hat ein Preisdumping gegeben", sagt Mechthild Eickel von Madonna, einer Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen in Bochum, "wie in anderen Branchen auch."

Prostitution ist in Deutschland legal, seit 2002 das Prostitutionsgesetz in Kraft getreten ist. Bis dahin galt der Vertrag zwischen Freier und Hure als sittenwidrig, Bordellbetreiber konnten wegen Förderung der Prostitution belangt werden. Jetzt ist ein Puff ein legales Gewerbe. Steuern mussten Sexarbeiterinnen schon immer zahlen - jetzt können sie sich sozial- und krankenversichern. Während die allermeisten krankenversichert sind, haben aber nur wenige eine Altersvorsorge. Das hat die vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebene wissenschaftliche Evaluation des Prostitutionsgesetzes ergeben. Seit 2002 können Sexarbeiterinnen auch eine Festanstellung annehmen; das hat sich im Milieu allerdings nicht durchgesetzt.

Das Prostitutionsgesetz hat auch Kerstin Berghäuser bewogen, ihr eigenes Tagesbordell in Berlin zu eröffnen. Sie hat acht Jahre lang selber angeschafft, weil sie Schulden hatte, die sie mit ihrem Verdienst aus der Sexarbeit am schnellsten abbezahlen konnte. Dann wollte sie sich selbständig machen. "Der ausschlaggebende Punkt war, dass das Prostitutionsgesetz gerade in Kraft getreten war", erzählt die Mittvierzigerin, "und dass ich sicher war, dass ich nichts Verbotenes mache. Ich wollte den Frauen gute Arbeitsbedingungen schaffen. Und so Kleinigkeiten, dass Kondome im Laden sind, das war früher schon Förderung der Prostitution."

Kerstin Berghäuser, Bordellbetreiberin aus Berlin (Foto: dpa)
Betreibt ein Tagesbordell: Kerstin BerghäuserBild: picture-alliance/dpa/A. Novopashina

Prostitution ist nicht Menschenhandel

Das deutsche Prostitutionsgesetz ist eines der liberalsten der Welt. Anders als beispielsweise in den USA: Dort ist Prostitution illegal. Oder in Schweden und Frankreich: Dort ist der Sexkauf verboten; Freier machen sich strafbar. Das fordert mittlerweile auch eine Anti-Prostitutions-Bewegung in Deutschland. Ihr Argument: Der Menschenhandel nehme zu und die meisten Frauen arbeiteten unter Zwang.

Fakt ist: Es gibt keine verlässlichen Zahlen - weder über die Anzahl von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern, noch über Opfer von Menschenhandel. Denn die Dunkelziffer ist hoch. Das sogenannte Hellfeld - die Zahl der Strafverfahren wegen Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung - hat zwischen 2000 und 2011 mit rund 500 Verfahren pro Jahr keinen "signifikanten Anstieg" erfahren, wie die Bundesregierung am 27.02.2013 in der Antwort zu einer Kleinen Anfrage im Bundestag zu den "Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes auf die Entwicklung beim Menschenhandel" feststellte. Sie bezieht sich dabei auf die jährlichen "Lagebilder Menschenhandel" des Bundeskriminalamtes.

Auch die Evaluation des Prostitutionsgesetzes hält fest: Das Gesetz hat Menschenhandel und andere Kriminalität im Milieu nicht verringert. Es hat beides aber auch nicht erhöht. Und es behindert weder die Strafverfolgung noch Polizeikontrollen von Bordellen.

Das Gesetz ist auch nicht für Menschenhandelsopfer erlassen worden - um ihnen zu helfen, hat die Bundesregierung in den vergangen zehn Jahren Stück für Stück das Strafrecht verschärft, in der Regel, nachdem die EU die Änderungen mehrfach angemahnt hatte. Klar ist: Wer eine Person zum Sex zwingt, begeht eine Straftat - ob Vergewaltigung, Zuhälterei oder Menschenhandel zur sexuellen oder Arbeitsausbeutung.

Das Prostitutionsgesetz dagegen gilt für freiwillige Sexdienstleistungen. "Das Prostitutionsgesetz wird für Phänomene des Menschenhandels verantwortlich gemacht", kritisiert die Sozialwissenschaftlerin Barbara Kavemann, die das Gesetz evaluiert hat. "Aber wenn es angeblich so viel mehr Menschenhandel gibt, dann hat das vor allem mit der EU-Osterweiterung zu tun." Seit 2004 hat die Europäische Union 13 überwiegend osteuropäische Staaten aufgenommen. Frauen aus diesen Ländern können legal nach Deutschland einreisen und sich hier aufhalten.

Prostituierte an einer Bar im Kölner Bordell Pascha (Foto: dpa)
Frauen wie andere auch: Prostituierte am ArbeitsplatzBild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Sexarbeit ist Arbeit

Paula ist eine von ihnen. Die zierliche Bulgarin mit den langen, fast schwarzen Haaren glaubte, sie könne in Deutschland in einer Küche arbeiten - und wurde vor einem Bordell abgesetzt. Das lässt sich als Menschenhandel werten: Die Ausnutzung einer hilflosen Lage, weil Paula kein Deutsch sprach, kein Geld hatte und nicht wusste, wohin sie sich wenden sollte. Sie weinte und wollte nicht als Prostituierte arbeiten - und tat es dann doch. Die Bordellchefin ließ sie von 6 bis 22 Uhr anschaffen und kassierte die Hälfte vom Verdienst - ein Fall massiver Arbeitsausbeutung. Paula flog mehrmals nach Bulgarien und kam nach Deutschland zurück. Weil sie keine feste Stelle annehmen durfte, arbeitete sie wieder im Puff. Das Ausländerrecht ließ ihr kaum eine andere Möglichkeit: Als Bulgarin durfte sie nur selbständig arbeiten.

Fünf Jahre hat Paula durchgehalten und ihren Job gehasst. Sie fand viele Männer eklig. Aber sie hat sich auch durchgesetzt: Sie hatte nie einen Zuhälter: "Einer hat's probiert und gesagt: 'Ab heute arbeitest du für mich!' Ich hab den dumm angeguckt und gesagt: 'Hast du nicht alle Tassen im Schrank?'" Männer, die sich nicht benommen haben, hat Paula rausgeschmissen: "Nackt oder nicht - raus mit Euch! Denn die meisten haben probiert, es ohne Gummi mit mir zu machen." Verkehr ohne Kondom hat sie strikt abgelehnt.

Auch Migrantinnen wie Paula seien keineswegs nur Opfer, betont Mechthild Eickel von Madonna. "Viele Frauen arbeiten unter sehr schwierigen Bedingungen. Aber sie entscheiden sich dafür."

Ist Sexarbeit also ein Job wie jeder andere? Nein. Allein schon deswegen nicht, weil Prostituierten immer noch Verachtung entgegenschlägt - nur wenige können offen sagen, womit sie ihr Geld verdienen. Aber Sexarbeit ist Arbeit. Und die Frauen und Männer, die ihren Job als Dienstleistung ansehen, fordern gute Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutzrichtlinien. Dazu würde auch gehören, dass Bordellbetriebe als Gewerbe angemeldet und baurechtliche Standards erfüllt werden müssen - eine entsprechende Regelung sieht das Prostitutionsgesetz aber nicht vor, so dass hier jede Kommune anders verfährt.

Flyer mit der Aufschrift Sexarbeit ist Arbeit (Foto: dpa)
Kampf um Anerkennung: Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen werben für eine Diskussionsrunde am Internationalen HurentagBild: picture-alliance/dpa/D. Reinhardt

Verbände warnen: "Schutzgesetz" verstärkt Ausgrenzung

Eine Konzessionspflicht für Bordelle sieht darum das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz vor, das die große Koalition zurzeit aushandelt. Arbeitsstandards erwähnt der Entwurf aber nicht. Stattdessen unter anderem eine Anmeldepflicht, medizinische Zwangsuntersuchungen und ein Mindestalter von 21 Jahren. Zur Begründung heißt es in einem Eckpunktepapier des federführenden Bundesfamilienministeriums unter anderem, das Gesetz solle das "Selbstbestimmungsrecht von Menschen in der Prostitution stärken" und "Kriminalität in der Prostitution (...) bekämpfen".

Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, etwa der Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD), befürchten das Gegenteil. Auch Beratungsstellen und Fachverbände wie die Deutsche Aidshilfe, der Deutsche Frauenrat und der Deutsche Juristinnenbund (DJB) warnen, dieses Gesetz werde das Stigma der Prostituierten vergrößern und sie in die Illegalität abdrängen. Heftig kritisiert wird auch der Vorschlag, Freier zu bestrafen, die wissentlich zu Opfern von Menschenhandel gehen. Die Polizei bekommt beispielsweise von Paysexkunden oft anonyme Tipps - die würden sie in Zukunft vermutlich nicht mehr geben. Der DJB fordert stattdessen "stärkeren Schutz der Opfer von Menschenhandel" wie etwa ein Aufenthaltsrecht.

Engagierte Sexarbeiterinnen bemängeln, dass wenig mit ihnen und viel über sie geredet werde - sie wehren sich gegen Bevormundung. Johanna Weber vom BesD lacht: "Das ist wie diese Geschichte mit dem Pfadfinder, der jeden Tag eine gute Tat tun möchte und dann die Oma am Straßenrand über die Straße zerrt. Und auf der anderen Seite stellt er fest, dass sie gar nicht rüber wollte. Und so wird im Moment mit uns Prostituierten verfahren. Wir sollen alle gerettet werden und wir sagen alle fünf Minuten: 'Nein, wir wollen aber nicht gerettet werden!'"