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Seufert: Erdogan blickt schweren Zeiten entgegen

Jennifer Fraczek30. Januar 2014

Die türkische Währung verfällt, dem Land droht eine Wirtschaftskrise. Aus Sicht des Türkei-Experten Günter Seufert ist Ministerpräsident Recep Erdogan maßgeblich selbst für die Situation verantwortlich.

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Dr. Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik (Foto: Privat)
Bild: privat

DW: Die türkische Lira hat in letzter Zeit erheblich an Wert verloren. Was sind die Gründe für den Währungsverfall?

Günter Seufert: Ein Grund ist der Kurswechsel der US-Notenbank Fed, die im Mai angekündigt hat, dass sie ihren Kapitalausstoß zur Bekämpfung der Finanzkrise verringern will. Das führt dazu, dass ausländische Investoren Geld aus Schwellenländern wie der Türkei abziehen.

Schwerer wiegen aber die innenpolitischen Gründe. Die innenpolitische Krise in der Türkei erreichte Mitte Dezember einen vorläufigen Höhepunkt, unter anderem durch die Korruptionsermittlungen gegen Minister aus dem Kabinett Recep Erdogans. Seitdem hat die türkische Lira gegenüber dem US-Dollar um sechs Cent nachgegeben, während es in den sechs Monaten davor insgesamt vier Cent waren.

Die Reaktion der Regierung auf die Korruptionsvorwürfe - Anrufe des Justizministers bei den Ermittlern, Massenversetzungen bei der Polizei - und die Tatsache, dass die Regierung Staatsunternehmen und die Steuerbehörde benutzt, um missliebige Firmen in den Ruin zu treiben, haben das Vertrauen der Anleger in das Land erschüttert. Zudem scheint die Türkei vor einer längeren Phase politischer Instabilität zu stehen. Die Regierungspartei AKP ist schwer angeschlagen, das zeigen auch Meinungsumfragen vor der Kommunalwahl am 30. März 2014. Gleichzeitig gibt es aber keine Partei, die die Macht übernehmen könnte.

Ist der Währungsverfall ein Zeichen für das Ende des Wirtschaftsbooms in der Türkei?

Ja. Die Türkei hatte zuletzt über mehrere Jahre hinweg ein Wirtschaftswachstum zwischen sieben und zehn Prozent. Für dieses Jahr rechnet man mit 3,4 Prozent. Mit dem aktuellen Wertverlust der Lira und der Zinserhöhung der türkischen Zentralbank wird sich die Lage für verschuldete - vor allem kleine und mittlere - Unternehmen und Bürger verschlechtern. In der Türkei sind viele Menschen relativ hoch verschuldet, weil viel auf Raten und mit Kreditkarten gekauft wird. Das heißt auch, dass die Nachfrage schrumpfen wird, was natürlich einen weiteren Rückgang des Wirtschaftswachstums zur Folge haben würde.

Die wirtschaftliche Stärke des Landes war immer ein Trumpf von Ministerpräsident Erdogan. Was bedeutet der Währungsverfall der Lira denn für seine machtpolitische Stellung?

Wir erleben bereits einen Rückgang der Unterstützung von Erdogans Partei. Sie galt lange als einzige Vertreterin des konservativen muslimischen Spektrums, jetzt gibt es jedoch einen Machtkampf zwischen ihr und der sunnitisch-muslimischen Gülen-Bewegung. Das spaltet Erdogans potenzielle Wählerschaft, und wegen seiner autoritären Tendenzen hat er kaum Möglichkeiten, aus dem säkularen Lager Stimmen zu gewinnen. Eine Wirtschaftskrise würde die Unzufriedenheit mit der Regierung weiter erhöhen.

Demonstrationen gegen Erdogans Regierung (Foto: Reuters)
Wegen der Korruptionsvorwürfe demonstrierten im Dezember viele Menschen in der TürkeiBild: Reuters

Wie sich die politische Lage im Land entwickeln wird, lässt sich derzeit kaum vorhersagen. Wenn die Regierungspartei viele Stimmen verliert, kommt es möglicherweise zu einer Spaltung. Es könnte auch sein, dass im konservativen religiösen Lager neue Parteien gegründet werden oder dass sich Erdogan zurückzieht. Der Ausgang der Kommunalwahl wird von großer Bedeutung sein.

Erdogan war gegen eine Zinserhöhung. Was sagt es über das Verhältnis der Notenbank zur Regierung, dass sie nun trotzdem kam?

Das zeigt, dass die Notenbank, die sich jetzt als unabhängig präsentiert, gar nicht so unabhängig ist. Denn die Zinserhöhung hätte viel früher passieren müssen. Der Leitzins wurde von fünf auf zehn Prozent erhöht - eine immense Erhöhung und eine Reaktion, die auf eine gewisse Panik schließen lässt.

Was wird Erdogan tun, um trotz innenpolitischer und Wirtschaftskrise an der Macht zu bleiben?

Derzeit befindet sich das Land noch nicht in einer Wirtschaftskrise. Ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent ist verglichen mit dem Rest der Euro-Zone immer noch gewaltig. Wenn das Wachstum jedoch stagniert oder sich in einem Bereich von einem halben oder einem Prozent einpendelt, wird die Arbeitslosigkeit vor allem bei den jungen Leuten signifikant steigen, und das wird sich auf das Stimmverhalten auswirken.

Erdogan war noch nie mit einer so schlimmen Situation konfrontiert wie heute. Er verliert nicht nur innenpolitisch an Unterstützung, auch außenpolitisch war er im vergangenen Jahr alles andere als erfolgreich - und nun macht auch noch die Wirtschaft Schwierigkeiten. Es wird sich zeigen, wie groß seine politische Wendigkeit und sein politischer Verstand sind, um aus dieser Lage noch einen Ausweg zu finden.

Erdogan bei einer Pressekonferenz in Istanbul (Foto: Reuters)
Erdogan sieht die Türkei einer "Diffamierungskampagne" ausgesetztBild: Reuters

Erdogan selbst ist anscheinend optimistisch, was die wirtschaftliche Entwicklung angeht. Er sagt, die türkische Wirtschaft bahne sich "trotz aller Diffamierungskampagnen und all der Sabotage ihren Weg auf solide und unverwüstliche Weise". Wie bewerten Sie diese Aussagen?

Das zeigt entweder, dass er von Wirtschaft nichts versteht oder dass er versucht, von den wirtschaftlichen Problemen abzulenken und dem politischen Gegner die Verantwortung zuzuschieben. Solange er diese Haltung hat, sehe ich keine Chance, dass es zu einer vernünftigen Wirtschaftspolitik kommt.

Das Gespräch führte Jennifer Fraczek.

Günter Seufert ist Soziologe und Türkei-Fachmann bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Er war bereits als Autor und freier Journalist in Istanbul tätig und arbeitete dort als akademischer Leiter des Orient-Instituts.