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Serbien zwischen USA und Russland

Nemanja Rujević13. Juni 2015

Serbien pflegt traditionell freundschaftliche Beziehungen zu Russland. Seit dem Beginn der Ukraine-Krise wurde das Land verstärkt auch für die USA interessant. Jetzt gibt es Anzeichen für eine Orientierung gen Westen.

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F-16 Kampfjet (Foto: EPA/SASA STANKOVIC, dpa)
Bild: picture-alliance/epa/S. Stankovic

Er kennt noch heute alle Namen der Spieler der sowjetischen Eishockeymannschaft, die 1980 als großer Favorit zu den Olympischen Winterspielen nach Lake Placid flog. Spieler, die so enttäuscht waren, als die USA doch noch mit 4:3 gewannen, in einer Partie, die als "Wunder auf dem Eis" in die Sportgeschichte einging. "Ich konnte nach diesem Spiel kaum schlafen", erinnert sich der heutige serbische Premier Aleksandar Vučić in einem Interview. Aus dem Neunjährigen, der Eishockey guckte, wurde später ein radikaler Nationalist, zu dessen Politik die Liebe zu Russland und Hass gegen Amerika gehörten. Doch das alles scheint eine längst vergangene Geschichte zu sein. Nach einem dreitägigen Aufenthalt in den USA sprach Vučić über eine Partnerschaft mit "unseren amerikanischen Freunden".

Abhängigkeit von russischem Gas

Der Besuch in Washington gleicht einer Wende. Denn Serbien wurde bisher vor allem als Klientelstaat Moskaus gesehen. "Gas ist einer der wichtigsten Gründe für die Wiederkehr der strategischen Spiele auf dem Balkan", meint Milan Ćulibrk, Chefredakteur der Belgrader Wochenzeitung "NIN". Ebenso wie andere Länder der Region ist Serbien von russischem Gas abhängig, das über unsichere Wege durch die Ukraine fließt. Nach Serbien strömt es zu nicht gerade brüderlichen Preisen. Deswegen setzten die serbischen Machthaber jahrelang ihre Hoffnungen auf den Bau der South-Stream-Pipeline - der geplanten russischen Gasleitung, die das dringend nötige Gas durch das Schwarze Meer und Bulgarien nach Serbien hätte bringen sollen. Das South-Stream-Projekt scheiterte jedoch an den europäischen Regelungen. Gazprom kündigte an, 2019 den Gastransit durch die Ukraine einzustellen.

"Serbien ist gezwungen, nach Alternativen zu suchen", sagte Ćulibrk der DW. "Eine Option wäre die geplante russische Pipeline durch die Türkei - wenn diese überhaupt zustande kommt. Eine weitere Möglichkeit wäre der Anschluss an die künftige Transadriatische Pipeline, die das Gas aus Aserbaidschan bringen soll. Oder alternativ sogar das flüssige Gas aus den USA, das eines Tages bis zur kroatischen Insel Krk transportiert werden könnte. Die Suche nach anderen Gasquellen nennt Premierminister Vučić "Diversifizierung". Doch viele sehen darin eine Abkehr von Russland und einen Schulterschluss mit den USA. Serbiens auflagenstärkstes Blatt "Blic" schrieb auf der Titelseite: "Leb wohl, Genosse Putin".

Titelseite Serbische Zeitung "Blic" - "Leb wohl, Genosse Putin" (Foto: blic.rs)
"Leb wohl, Genosse Putin"Bild: blic.rs

Vučić brachte aus den USA nicht nur neue Ideen für eine alternative Energieversorgung seines Landes mit. Nach etlichen Treffen mit prominenten US-Politikern und Wirtschaftsbossen sprach er über mehr Investitionen und auch über die amerikanische Unterstützung für eine schnellere europäische Integration Serbiens. Seit mehr als drei Jahren ist das Land offiziell EU-Beitrittskandidat, die Verhandlungen haben jedoch noch nicht begonnen, was viele Beobachter als eine Art Sanktion wegen der guten Beziehungen zu Russland deuten.

Brüderliche Verbundenheit und Pragmatismus

Trotz der neu entdeckten Partnerschaft mit den USA, sind die historischen und kulturellen Bindungen der Serben und Russen - zweier orthodoxer slawischer Völker - immer noch sehr stark und tief. Eine Umfrage zeigte, dass über 50 Prozent der serbischen Bürger Russland in positivem Licht sehen. Moskau wird auch deshalb geschätzt, weil es den Kosovo ebenso wie Belgrad immer noch als serbisches Gebiet betrachtet. Die frühere Südprovinz Serbiens, die 2008 ihre Unabhängigkeit erklärte, wird heute von den meisten Ländern als Staat anerkannt - nicht aber von der UN-Vetomacht Russland. Die USA dagegen führten 1999 die Luftangriffe gegen Serbien an, die den Kosovokrieg beendeten, aber auch hunderte tote Zivilisten und große Zerstörung im Land hinterließen.

Doch heute sei das Thema Kosovo eher rituell in der serbischen Politik präsent, meint Jelica Minić von der Nichtregierungsorganisation "Europäische Bewegung". Deswegen könnte die US-amerikanische wirtschaftliche "Geste des guten Willens" die Stimmung ändern. "Die emotionalen Beziehungen sind nicht unwichtig, doch Menschen sind vor allem pragmatisch - die Unterstützung gilt denjenigen, die das Überleben der nationalen Ökonomie ermöglichen", gibt sie im DW-Gespräch zu bedenken.

In der Schusslinie

Die Experten sind sich einig: Serbien und der gesamte Balkan sind seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise wieder für die globalen Mächte interessant geworden. Diese Region sei "in the line of fire" - in der Schusslinie, sagte US-Außenminister John Kerry noch im Februar. Serbien hat dabei eine Sonderrolle - nicht nur weil das Land die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht mittragen wollte und an der russischen Militärparade zum Tag des Sieges teilnahm, sondern auch weil Belgrad in diesem Jahr die rotierende OSZE-Präsidentschaft inne hat. Außerdem liege Serbien im Herzen des Balkans, was geopolitisch nicht zu unterschätzen sei, sagt Minić. "Weder der Westen noch Russland und die Türkei - die auch gewisse Interessen in der Region hat - können es sich leisten, die Beziehung zu Serbien zu vernachlässigen. Für uns ist das potenziell von Vorteil, birgt aber auch jede Menge Gefahren."

Putin in Belgrad am 16.10.2014 Fans bei der Militärparade (Foto: ANDREJ ISAKOVIC/AFP/Getty Images)
Im letzten Oktober war Putin noch ein Sondergast der Militärparade in BelgradBild: AFP/Getty Images/Andrej Isakovic

"Blic" schreibt dazu, Serbien sei enormem Druck von beiden Seiten ausgesetzt. "Der Westen sagt, Serbien habe das Recht, die Freundschaft mit Russland zu pflegen; die Russen sagen, sie hätten nichts gegen einen EU-Mitgliedschaft Serbiens. Weder die Einen noch die Anderen erzählen die Wahrheit", schreibt die Zeitung. Auch Milan Ćulibrk macht sich Sorgen: "Der Balkan bleibt der Ort, wo die Interessen der Mächtigsten sich zu einem großen undurchsichtigen Netz verflechten."

Und das Spiel geht weiter: Direkt nach seinem USA-Besuch bekam der serbische Regierungschef Vučić von seinem russischen Kollegen Dmitri Medwedew die Einladung nach Moskau, erst Mitte Mai hatte schon Außenminister Sergei Lawrow Serbien besucht. Und Anfang Juli kommt der nächste wichtige Staatsgast nach Belgrad: die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.