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Sender-Schließung ohne Vorwarnung

Panagiotis Kouparanis12. Juni 2013

Völlig unerwartet hat die griechische Regierung den Staatssender ERT geschlossen. Als Grund gab sie Sparmaßnahmen an. Art und Weise der Entscheidung lassen Beobachter jedoch an dieser Erklärung zweifeln.

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Demonstranten vor dem Gebäude des geschlossenen Senders ERT (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Louisa Gouliamaki/AFP/Getty Images

Warum wurde das Problem nicht als solches frühzeitig offen benannt? Warum wurde kein Plan vorgelegt, wie es weitergehen soll? Warum wurde kein öffentlicher Dialog ausgerufen, was für eine Art öffentlich-rechtlichen Sender man haben will? Die plötzliche Schließung des Staatssenders ERT durch die griechische Regierung wirft Fragen über Fragen auf.

Die Begründung der Regierung, es handle sich alleine um eine Sparmaßnahme, nimmt in Griechenland kaum jemand ernst: Die Brutto-Monatseinkommen der rund 2600 Beschäftigten bewegen sich zwischen 4000 Euro für das Führungspersonal und unter 900 Euro für viele Verwaltungsangestellte, Redakteure und Orchestermusiker.

Dementsprechend kritisch fielen die Reaktionen im In- und Ausland aus. Der Geschäftsführer der international agierenden Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen", Christian Mihr, zeigte sich "bestürzt" und forderte die Rücknahme der Entscheidung, von der so viele Beschäftigte betroffen sind. Mihr erhebt den Vorwurf, "dass sich die griechische Regierung wenig um die Meinungsfreiheit schert". Auch wenn ERT ein staatlicher Sender sei, könne er "nicht ohne Einbindung irgendwelcher Gremien, ohne Einbindung der Angestellten, ohne Einbindung der Bürger" von heute auf morgen eingestellt werden.

Demonstranten vor dem Gebäude des nun geschlossenen staatlichen Senders ERT (Foto: AFP/Getty Images)
Tausende demonstrieren vor dem Gebäude des nun geschlossenen staatlichen Senders ERTBild: Louisa Gouliamaki/AFP/Getty Images

Ablenkungsmanöver und Demonstration von Stärke

Der bekannte griechische Journalist Stavros Lygeros sieht die Schließung von ERT im Zusammenhang mit den Auflagen der Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission, Personalkürzungen in Staat und staatlichen Unternehmen vorzunehmen. Der Chefkommentator des Radiosenders Real FM vermutet, dass die Regierung die Möglichkeit wahrnahm, auf einen Schlag gleich zweieinhalbtausend Stellen wegzustreichen. Sie habe geglaubt, "dass das in der Gesellschaft kein negatives Echo hervorrufen würde, weil mit der Schließung auch die Fernsehgebühren wegfallen". Dass sei aber eine "sehr naive" Annahme, so der Journalist.

Ein weiterer Grund für die ERT-Schließung könnte das Fiasko mit der Teilprivatisierung des griechischen Gasunternehmens DEPA sein, vermutet Lygeros. Die Regierung war vor wenigen Tagen damit gescheitert, Anteile des staatseigenen griechischen Gasunternehmens DEPA an die russische Gazprom zu verkaufen. Der Fehlschlag würde zumindest erklären, warum ERT so schnell geschlossen werden musste. Das Urteil von Stavros Lygeros über die Handlungsweise der Regierung ist vernichtend: "Das ist billiges Abenteurertum. Das sind Spiele, die nicht nur strategische Schwächen aufzeigen, sondern auch eine Spielermentalität."

Damit zielt Lygeros auf den konservativen Regierungschef Antonis Samaras, der die Entscheidung ohne Abstimmung mit den beiden kleineren Koalitionspartnern PASOK und Demokratische Linke durchgesetzt hat. Letztere drohen jetzt mit dem Ende der Regierung. Aber genau das könnte die Absicht von Samaras sein, so der Moderator und Produzent vieler ERT-Fernsehsendungen, Kostas Argyros. Er vermutet, dass Samaras es auf eine Machtdemonstration angelegt hat - mit dem Risiko, damit Neuwahlen zu provozieren. PASOK und Demokratische Linke seien nämlich nun in der Zwickmühle. Würden sie die Entscheidung akzeptieren, so Argyros, hätten sie keine Existenzberechtigung mehr. Einen erneuten Urnengang könnten sie aber auch nicht wollen, weil ihre Umfragewerte ins Bodenlose gefallen seien.

Der griechische Regierungschef Antonis Samaras (Foto: Reuters)
Geldmangel oder politisches Kalkül? Griechenlands Premier Antonis SamarasBild: Reuters

Rückblick und Ausblick

Trotzdem könnte sich Samaras verschätzt haben. Der Proteststurm, der seit der Senderschließung in der griechischen Öffentlichkeit ausgebrochen ist, ist gewaltig - möglicherweise der Grund, weshalb die Regierung am Mittwoch einen Gesetzesentwurf für eine neue ERT vorgelegte. Vorgesehen ist dort, die Nachfolgeanstalt bis spätestens Ende August mit bis zu 1200 Beschäftigten wieder auf Sendung gehen zu lassen.

In einem entscheidenden Punkt, an dem nach Meinung vieler Beobachter sowohl die bisherige ERT als auch jedes andere griechische Staatsunternehmen krankt, bleibt es beim Alten. Auch in Zukunft könnte das Parteibuch über Einstellung und über Produktionsaufträge entscheiden. Schon im ersten Paragraf des Gesetzentwurfs wird festgehalten, dass die neue Anstalt ein "öffentliches Unternehmen" ist, dass "vom Staat beaufsichtigt wird". In den Augen von Kritikern war es aber gerade diese staatliche "Aufsicht", die zu Intransparenz und zu Verschwendung von Ressourcen bei der ERT geführt hat.

Kameramann und redakteure bei der letzten ERT-Nachrichtensendung (Foto: Reuters)
Nach der vorerst letzten Sendung am 11. Juni 2013 sind Kameraleute und Redakteure arbeitslosBild: Reuters

Bleibt es bei diesem Gesetzentwurf, so lauten daher jetzt die Befürchtungen, würde auch die neue ERT keine öffentlich-rechtliche Anstalt sein, die unabhängig von Staat und Parteien agiert. Optimisten hingegen hoffen darauf, dass die Proteste rund um die Schließung von ERT eine breite Diskussion über den Charakter eines öffentlich-rechtlichen Senders in Griechenland in Gang setzen könnte.