1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Selbstmordgefährdet: Ja oder Nein?

Hannah Fuchs14. Februar 2014

Depressionen können Betroffene bis in den Suizid treiben. Antidepressiva wirken stimmungsaufhellend, können aber in seltenen Fällen auch erst zum Selbstmord animieren. Die Lösung: ein Bluttest.

https://p.dw.com/p/1Arpe
Tabletten auf dem Nachtschrank (Foto: Oliver Berg dpa/lnw).
Bild: picture-alliance/dpa

"Ich werde es tun!" - "Ich weiß nicht weiter, sehe keinen anderen Ausweg" - Hilferufe von Patienten, die in Onlineforen nach Rat suchen. Sie sind müde vom Leben und sehen keinen Grund mehr darin, am Leben zu bleiben.

Viele von ihnen haben vielleicht schon eine längere Krankheitsgeschichte hinter sich: ambulante Therapien, Klinikaufenthalte, medikamentöse Behandlungen. Mit Antidepressiva zum Beispiel.

Selbstmord trotz Antidepressivum

Seit 2005 sind die Medikamente in den Vereinigten Staaten, Kanada und einigen europäischen Ländern mit einer Warnung versehen: Wer sie einnimmt, kann ein höheres Suizidrisiko haben. Denn gerade in der Anfangszeit der Behandlung wirken die Medikamente noch nicht stimmungsaufhellend, aber dafür antriebssteigernd. Wer schon länger darüber nachdenkt, sich das Leben zu nehmen, schreitet dann möglicherweise zur Tat.

Seit die Medikamente mit dem Warnhinweis versehen sind, "ist es häufiger zu Suiziden gekommen", sagt Andreas Menke vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München der DW. "Das lag allerdings nicht an den Nebenwirkungen des Medikaments. Antidepressiva werden seitdem schlichtweg nicht mehr so oft verschrieben und eingenommen."

Das Selbstmordrisiko im Blut messen

Andreas Menke (Foto: Max-Planck-Institut für Psychiatrie).
"Gar keine Antidepressiva zu verschreiben, ist der falsche Weg", sagt Andreas Menke.Bild: Max-Planck-Institut für Psychiatrie

Menke und seine Kollegen fragten sich, ob das Selbstmordrisiko nicht messbar sei - in Form von veränderten Werten im menschlichen Organismus.

In einer Studie untersuchten sie knapp 400 depressive Patienten. Bei jedem schätzten sie zunächst die Schwere der Depression und das Selbstmordrisiko ein.

Diesen Verlauf beobachteten sie während einer Antidepressiva-Behandlung von zwölf Wochen. Einige Patienten hatten weder vor noch während der Behandlung Suizidgedanken, andere bekamen sie plötzlich.

"Die meisten Patienten sind sehr erschreckt über die eigenen Gedanken und reden auch darüber", sagt Menke. Manchmal seien jedoch gezielte Fragen notwendig, da den Betroffenen ihre Gedanken unangenehm seien.

Mit einer Blutuntersuchung erfassten sie Veränderungen im Erbgut der Patienten. Diese genetischen Marker verglichen sie miteinander. "Wir haben knapp 100 verschiedene Marker gefunden, die bei den beiden Patientengruppen voneinander abwichen und mit der aufgetretenen Nebenwirkung zusammenhingen", sagt Menke.

Nach einer zweiten Studie an anderen Patienten "können wir jetzt mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent sagen: Das ist ein Patient, der wahrscheinlich Selbstmordgedanken bekommt, wenn er mit Antidepressiva behandelt wird - oder eben nicht", erklärt Menke.

Gefährdete besser beobachten

Nach Angaben der Max-Planck-Forscher wäre es damit theoretisch möglich, medikamentenbedingte Selbstmordgedanken festzustellen.

Symbolbild für Selbstmord: Blick von oben auf die Schuhe eines vermeintlichen Selbstmörders, der auf dem Fenstersims eines mehrstöckigen Hauses in einer amerikanischen Großstadt steht. (Foto: picture-alliance/dpa).
Bei positivem Testergebnis müssten die Patienten besser beobachtet werden.Bild: picture-alliance/dpa

Der US-Konzern Sundance Diagnostics möchte den Selbstmordrisiko-Test jetzt auf den Markt bringen. "Sie werden jetzt erst mal diese Tests an Psychiater verteilen", sagt Menke.

Geht diese dritte Studie erneut positiv aus, könnte der Test auf den Markt kommen. Der Suizidrisiko-Test könnte dann "prinzipiell bei jedem depressiven Menschen" zum Einsatz kommen, so der Wissenschaftler. Wann genau das sein wird, kann der Forscher jedoch noch nicht sagen.

Im Falle eines positiven Testergebnisses wären die Patienten gewarnt, dass sie wahrscheinlich auf das Antidepressivum mit Selbstmordgedanken reagieren werden. Die betreuenden Ärzte könnten auch die Therapie im Voraus anpassen. "Sie müssten auf den Patienten besser aufpassen und ihn entweder ambulant öfters sehen oder ihn am besten gleich stationär psychiatrisch einweisen."

Dies wäre dann laut Menke auch der richtige Zeitpunkt, darüber nachzudenken, eine andere Therapieform zu wählen. Vorsichtshalber schon im vorneherein auf Antidepressiva zu verzichten, ist nach Ansicht des Forschers aber der falsche Weg.

Wolfgang Maier, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn, steht einem solchen Test eher skeptisch gegenüber. "Das eignet sich nicht für eine Umsetzung in die Behandlungspraxis beim einzelnen Patienten", sagt er der DW. Denn von den in der Studie gemessenen Unterschieden zwischen den beiden Patientengruppen ließe sich vermutlich nicht auf einen einzelnen Patienten zurückschließen.