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Schwimmende Weltmacht

Marc von Lüpke-Schwarz23. Dezember 2012

Die britische Royal Navy ordnete seit dem 18. Jahrhundert die Welt nach ihren Vorstellungen neu. Und nahm es mit Piraten und der Natur zugleich auf. Die Historikerin Julia Angster erzählt ihre Geschichte.

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Schlacht bei Trafalgar (Gemälde aus der Tate Gallery, London)
Schlacht bei TrafalgarBild: picture alliance/akg-images

"Ran an den Feind!", befahl der britische Admiral Horatio Nelson am 21. Oktober 1805 seiner Flotte. In der Nähe des spanischen Kap Trafalgar traf die Royal Navy auf eine zahlenmäßig überlegene französisch-spanische Flotte. Bald beharkten sich die Kriegsschiffe mit mörderischen Breitseiten, die auf jeder Seite einen hohen Blutzoll forderten. Am Ende siegten die Briten, doch der geniale Horatio Nelson überlebte die Schlacht nicht. Der Erfolg machte ihn jedoch unsterblich, denn er sicherte Großbritannien für Jahrzehnte die Vorherrschaft auf den Weltmeeren.

Bereits um 1800 war die Royal Navy die größte Kriegsmarine des Globus. Zugleich beeindruckte sie durch weitere Superlative: Sie war die zahlenmäßig stärkste Regierungsbehörde Großbritanniens und der größte Industriekomplex der Welt. Für die Inselnation war die Royal Navy der Garant für Wohlstand und Sicherheit. Ihre Kriegsschiffe sorgten für sichere Handelswege und brachten mitunter renitente Länder im Sinne Großbritanniens zur Räson. Bald beherbergte jeder Kontinent Versorgungsstützpunkte für die Flotte: Werften, Ankerplätze und auch Hospitäler.

Von jeher ein Problem: die Piraterie

Als Allzweckwaffe der Briten in der Schlacht um die globale Führung war sie auch mit Aufgaben betraut, die weit von der reinen Kriegsführung gegen feindliche Staaten entfernt waren. Die Seeräuberei, seit jeher die Geissel der friedlichen Schifffahrt, war in den 1820er Jahren insbesondere in der griechischen Ägäis verbreitet. Den zuständigen britischen Admiral trieben die Piraten zur Verzweiflung. Sein großes Problem: Die eigenen Verbündeten, die Griechen, überfielen nach Herzenslust britische Handelsschiffe. Völlig ausgeplündert erreichte so mancher Handelsfahrer den nächsten Hafen, selbst Schuhe und Kleidung der Matrosen wurden zum Beutegut.

Die Piratenflagge verhieß nichts Gutes
Die Piratenflagge verhieß nichts GutesBild: picture-alliance/ dpa

Zu dieser Zeit standen die Briten den Griechen im Unabhängigkeitskrieg gegen das Osmanische Reich bei. Der Unterschied zwischen Pirat und Freiheitsheld war in dieser Meeresregion schwammig: Der griechische Begriff "Kléftes" lässt sich sowohl mit "Dieb" als auch mit "Patriot" übersetzen. Die Mission der britischen Royal Navy in den griechischen Gewässern war daher klar. Die Griechen sollten "erzogen" werden und schließlich als moderne, "zivilisierte" Nation die Piraterie ächten. Die britischen Kapitäne kommandierten nicht nur ihre Kriegsschiffe. Sie saßen auch zu Gericht und urteilten über britische und ausländische Staatsangehörige. Dies galt überall auf der Welt, wohin der Arm der Royal Navy reichte. Mit dem Fall der Festung Gravusa wurde der griechischen Piraterie 1828 der Garaus gemacht. Wohlbehalten konnten daraufhin Handelsschiffe wieder die Gewässer befahren.

Die Mission der "Bounty"

Für geordnete Verhältnisse sorgte die Royal Navy allerdings nicht nur in rechtlichen Belangen. Auch in die "Ordnung der Natur" griff man zielgerichtet ein. Captain William Bligh, der als Kapitän der "Bounty" 1789 für die berühmteste Meuterei der Weltgeschichte verantwortlich war, hatte eine ganz spezielle botanische Mission auf dieser schicksalshaften Reise. Auf Tahiti lud die "Bounty" Setzlinge von Brotfruchtbäumen, die sie zu den britischen Besitzungen in der Karibik bringen sollte. Hier schufteten zahllose Sklaven auf den Plantagen im Schweiße ihres Angesichts. Die Brotfruchtbäume sollten für eine noch billigere Ernährung dieser armen Seelen sorgen. Globalisierung ist keine Erfindung unserer Zeit.

Szene aus dem Film Meuterei auf der Bounty: Marlon Brando in der Rolle des Fletcher Christian, des Gegenspielers von Captain Bligh
Szene aus dem Film Meuterei auf der Bounty: Marlon Brando in der Rolle des Fletcher Christian, des Gegenspielers von Captain BlighBild: dpa

Während Captain Bligh unter seinen Männern nicht für seine Sensibilität bekannt war, verhielt er sich gegenüber diesen Pflänzchen äußerst zartfühlend. 1792, drei Jahre nach der Meuterei auf der Bounty, pflanzte er auf der Insel Tasmanien Erdbeeren und Eichen an. Der Sinn dieser Unternehmung war einfach: Was die Natur Tasmaniens zu bieten hatte, genügte den Zwecken der Royal Navy nicht. Und was nicht genügte, musste verbessert werden. Selbst wenn es sich dabei um intakte Ökosysteme handelte. Übrigens umspannte die ganze Welt ein Netz botanischer Stationen, in denen Setzlinge aufgezogen und Pläne für neue Anbaugebiete ausgetüftelt wurden.

Lesenswert

Wie die mutigen Seeleute der Royal Navy die Welt zwischen 1770 und 1860 erforschten, kartographierten und in ihrem Sinne zu zivilisieren und zu verbessern suchten, erzählt nun die Historikerin Julia Angster in einem gelungenen Spagat zwischen wissenschaftlichem Anspruch und informativer Erzählung. Der Leser kann sich immer wieder davon überraschen lassen, mit welcher Ausdauer und welchem Anspruch die Royal Navy ihre Ziele verfolgte - und um welchen Preis. Allein die vergebliche Suche nach der geheimnisumwitterten Nord-West-Passage durch die Inselwelt im hohen Norden Kanadas kostete viele Seeleute das Leben. Nur vor dem ewigen Eis musste die allmächtige Royal Navy im 19. Jahrhundert anscheinend die Fahne streichen.

Buchcover: Erdbeeren und Piraten von Julia Angster
Buchcover: Erdbeeren und Piraten von Julia AngsterBild: Vandenhoeck&Ruprecht

Julia Angster: Erdbeeren und Piraten. Die Royal Navy und die Ordnung der Welt 1770–1860, 2. unveränderte Auflage, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, 345 Seiten mit 7 Abb., 64,99 Euro (ISBN 978-3-525-30037-4)