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Schwimmende Städte

Kerstin Schweighöfer (in Den Haag)30. März 2014

Der steigende Meeresspiegel bedroht die Küstengebiete weltweit, darunter zum Beispiel auch die Niederlande. Die treffen hinsichtlich des Klimawandels deshalb Vorkehrungen - und ziehen schlichtweg um.

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Schwimmende Stadtviertel in den Niederlanden (Foto: Luuk Kramer).
Bild: Luuk Kramer

Mit der vollen Kaffeetasse in der Hand begibt sich Willem Blokker zwei Treppen hoch auf seine geräumige Dachterrasse. Dort dreht er sich einmal um die eigene Achse und lässt sich dann auf das gemütliche Loungesofa fallen: "Verstehen Sie jetzt, warum wir uns vorkommen als wären wir permanent im Urlaub?"

Der 52-jährige Niederländer wohnt auf einem von 43 treibenden Häusern, die zu einem Wasserviertel gehören, das 2011 im Osten von Amsterdam fertiggestellt wurde. Steigereiland heißt es, Steginsel - denn die 43 treibenden Häuser liegen wie Schiffe in einem Hafen rechts und links an vier langen Stegen.

Eine große Dachterrasse, drei Stockwerke und insgesamt 160 Quadratmeter: Willem Blokker ist überglücklich in seinem schwimmenden Reich - auch wenn er Zugeständnisse machen musste. Architekten und Hersteller versichern zwar immer wieder, die schwimmenden Häuser könnten bei weitem nicht mit Schiffen verglichen werden und kämen nie ins Schwanken. Aber - so wissen Pioniere des Aquawohnens wie Willem Blokker: "Von wegen. Wenn es richtig stürmt, kommen wir ganz schön ins Schaukeln. Aber daran gewöhnt man sich. Ich kann mir kein schöneres Zuhause vorstellen, ich komme mir hier vor wie in den Ferien."

Schwimmende Stadtviertel in den Niederlanden (Foto: Architekturbüro Rohmer).
Die Wasserwohnungen bieten 160 Quadratmeter auf drei Etagen - und eine DachterrasseBild: Architekturbüro Rohmer

Waterwoningen werden die schwimmenden Häuser auch genannt, Wasserwohnungen. Ihr Fundament ist eine mit Styropor gefüllte Betonwanne, die als unsinkbar gilt. Ringe, mit denen sie an Pfählen festgemacht sind, sorgen dafür, dass die Häuser an Ort und Stelle bleiben. Außerdem können sie sich dadurch problemlos nach oben und unten bewegen: "Das ist der Clou", erklärt Floris Hund vom Architekturbüro Marlies Rohmer, das die Steginsel entworfen hat: "Denn dadurch können sie sich dem Wasserspiegel anpassen."

Dem Klimawandel vorbeugen

Und das ist der Zweck der Wasserwohnungen: Sie sind die Antwort der Niederländer auf den steigenden Meeresspiegel und die zunehmenden Regenfälle, die der Klimawandel mit sich bringt. Schon jetzt liegt gut ein Drittel ihres Landes unter oder gerade auf dem Niveau des Meeresspiegels.

Und dieser steigt: In den nächsten 100 Jahren um bis zu 1,30 Meter, in den nächsten 200 Jahren sogar um bis zu vier Meter. Das haben Experten der sogenannten Deltakommission der Haager Regierung prophezeit.

Gleichzeitig droht eine "Flut von hinten", wie sie genannt wird: Denn durch den Klimawandel führen auch die Flüsse mehr Wasser mit sich, erklärt Pavel Kabat, Mitglied der Deltakommission und Klimaforscher an der Universität Wageningen.

"Mit Deichen allein ist es nicht mehr getan, wir müssen radikal umdenken. Wir dürfen das Wasser nicht länger als Gefahr sehen, sondern als Chance, als Herausforderung", sagt Kabat.

Wasser als Lebensraum - auch für uns Menschen

"Leven met water" lautet die neue Strategie: Nicht mehr gegen das Wasser kämpfen, sondern mit dem Wasser leben. Egal, ob an der Küste oder in den Flussgebieten: Überall wird dem ehemals erklärten Feind wieder mehr Raum gegeben: Polder werden geflutet, Auffangbecken angelegt und zugeschüttete Grachten wieder ausgegraben. Die Flüsse erhalten an vielen Stellen Nebenrinnen, ihre Betten werden vertieft, ihre Auen verbreitet und Deiche zurückversetzt.

Manhattan von Nimwegen

Die Ijssel - ein vom Rhein abzweigender großer Fluss in den Niederlanden- bekommt zum Beispiel an einer ihrer Flussschleifen einen sogenannten Bypass, der dafür sorgt, dass große Wassermassen schnell abfließen können. Auch die nahe der deutschen Grenze liegende Stadt Nimwegen im Südosten der Niederlande hat Maßnahmen ergriffen. Dort wird das Projekt "Nimwegen umarmt die Waal" realisiert, erklärt Ingwer de Boer, der Direktor des nationalen Hochwasserschutzprogramms "Ruimte voor de Rivier", zu Deutsch: Mehr Raum den Flüssen. "Nimwegen liegt viel zu dicht am Fluss, dadurch muss sich die Waal dort durch einen Flaschenhals zwängen. Deshalb wird nun ein Seitenarm angelegt - und zwischen dem alten und dem neuen Flussarm eine Insel mit Wohnungen, Büros, Läden und vielen Freizeitmöglichkeiten. 'Manhattan von Nimwegen' wird die Insel bereits genannt."

Insgesamt umfasst das Hochwasserschutzprogramm für die Flüsse 39 solcher Projekte. Sie sollen vier Millionen Menschen in den Flussgebieten von Rhein, Maas, Waal und Ijssel vor Hochwasser schützen. Kosten: rund 2,3 Milliarden Euro.

Durch Maßnahmen dieser Art steht den Niederländern allerdings immer weniger Land als Siedlungsraum zur Verfügung. Die Wasserflächen hingegen nehmen durch den Klimawandel zu.

Aber die Wasserbauingenieure haben entdeckt, wie sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können. Denn die gefluteten Polder und künstlich angelegten Wasserbecken eignen sich nicht nur zum kontrollierten Abführen überschüssiger Wassermassen, sie lassen sich auch als Baugrund nutzen.

Ein Vorbild - auch für andere gefährdete Regionen

Das hat sich inzwischen herumgesprochen. Egal ob Thailand, Vietnam, Australien oder die USA: Expertendelegationen aus aller Welt suchen Rat bei den Niederländern. Auch Städte wie New York oder New Orleans versuchen sich mit Hilfe niederländischer Wasserbauingenieure vor dem Wasser zu schützen. Die Niederländer sind stolz darauf.

Eine Planung des ersten treibenden Apartmentkomplexes Europas, de Citadell in den Niederlanden (Foto: Architect Koen Olthuis - Waterstudio.NL).
So sieht der erste treibende Apartmentkomplex Europas, de Citadel, bisher in der Planung aus: Eine Plattform mit mehreren Wohnungen, mit Platz für Garagen, Gärten und TerrassenBild: Architect Koen Olthuis - Waterstudio.NL

Die Bewohner von Inselstaaten wie den Malediven könnte das Know-how der Niederländer buchstäblich vor dem Untergang bewahren, denn auch ihnen wird das Wasser durch den steigenden Meeresspiegel bald bis zum Halse stehen.

In den Niederlanden jedenfalls ist Aquawohnen mittlerweile ein Trend, überall im Land weichen die Menschen aufs Wasser aus. So entsteht in einem Polder bei Den Haag der erste treibende Apartmentkomplex Europas, de Citadel, mit 60 Luxusapartments.

Die Stadt der Zukunft treibt

Der Entwurf stammt von Koen Olthuis von waterstudio.NL, einem Architekturbüro, das sich ganz auf Aquawohnen spezialisiert hat. Olthuis macht das Fundament der waterwoningen, die unsinkbare Wanne, zu einer Plattform, auf der gleich mehrere Wohnungen Platz finden - und mit ihnen Garagen, Gärten und Terrassen. "Die Stadt der Zukunft besteht aus treibenden Plattformen, die wie Eisschollen hin und her geschoben werden können", prophezeit der engagierte Architekt. "Diese neue Art des Städtebaus, diese neue Flexibilität ist die Herausforderung, der sich die Architekten der Generation des Klimawandels stellen müssen."