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Schwarz-Schilling: "Die Lage in Bosnien kann sehr schlimm werden"

Jasmina Rose8. Februar 2014

In Bosnien eskalieren die Proteste gegen die Regierung. Christian Schwarz-Schilling hat das Friedensabkommen von Dayton nach dem Bosnien-Krieg überwacht. Er fürchtet, dass sich die Lage jetzt extrem zuspitzen könnte.

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CDU-Politiker Christian Schwarz-Schilling
Bild: picture-alliance/dpa

DW: In Tuzla brannte der Sitz der kantonalen Regierung, Demonstranten haben die Gebäude der kantonalen Regierungen in Sarajevo und Zenica gestürmt. Sie als ehemaliger Streitschlichter kennen alle diese Städte, sie haben dort Verhandlungen geführt. War so etwas abzusehen?

Christian Schwarz-Schilling: Ja, In meinen Augen war es schon lange abzusehen. Von der internationalen Gemeinschaft wurde es immer ignoriert. Das Resultat kann sehr schlimm werden.

Viele Demonstranten sind verarmte Bürger, die nicht genug zu Essen haben. Sie sind überhaupt nicht organisiert. Kann daraus eine richtige Bewegung entstehen, die das Land zum Positiven verändert?

Es kann eine richtige Bewegung entstehen. Es gibt genug Waffen in Bosnien-Herzegowina. Und wenn die Armut eine gewisse Grenze unterschreitet, wenn Pensionäre ihre Pensionen nicht mehr bekommen, wenn Lehrer ihre Gehälter nicht bekommen und Polizisten nicht mehr richtig bezahlt werden - und das ist sehr leicht absehbar - dann kann eine gewaltsame Bewegung entstehen. Ob sie positiv oder negativ ist, das ist vollkommen unkalkulierbar.

Bis jetzt gab es Proteste nur in der Föderation, in Banja Luca nur sporadisch. Glauben sie, dass sich die Proteste auf die Republika Srpska, die knapp das halbe Staatsgebiet ausmacht, übertragen können? Warum überhaupt schweigen die Menschen in der Republika Srpska?

Die Föderation hat ein fortschrittlicheres Stadium erreicht im demokratischen Sinne. Dort herrschen größere Freiheiten und auch entsprechende Meinungsverschiedenheiten. In der Republica Srpska haben wir es mit einer leichten Diktatur zu tun, wo die Menschen Angst haben, ihre Meinung zu äußern. Deshalb wird die Zentralregierung in Banja Luca die Dinge besser in ihrer Hand behalten als das in Sarajevo der Fall ist.

Was sollten die Politiker in Bosnien und Herzegowina machen, um die Lage zu beruhigen?

Eine andere Politik, die für die Menschen da ist, und wo die alten Privilegien, welche die Parteiführer und andere aus der früheren Zeit bis heute haben, sofort beendet werden. Dieses würde aber auch eine Veränderung der internationalen Gemeinschaft erfordern, die aber nicht zu erwarten ist. Das ist genauso wie mit der Ukraine. Die internationale Gemeinschaft wacht erst auch, wenn entsprechende kritische Situationen in diesen Ländern entstehen.

Und wie sollte jetzt in Bosnien die internationale Gemeinschaft reagieren?

Indem sie ihre Verantwortungen sofort in die Hand nimmt. Durch das Dayton-Abkommen haben sie immer noch die oberste Verantwortung. Diese einfach wegzustoßen und zu meinen, dass sei alles nicht mehr nötig: Das muss sofort revidiert werden. Entsprechende andere Maßnahmen müssen ergriffen werden, die bis zur Anwendung von Mandaten des Sicherheitsrates gehen. Vor allen Dingen muss die entsprechende Drohung wahrhaftig sein, dass die internationale Gemeinschaft in entsprechender Weise zu handeln bereit ist. Solange das alles infrage steht, solange man sagt, das sind Fragen die die Bosnier selber klären müssen, obwohl wir - die internationale Gemeinschaft - ihnen diesen Zustand übergeben haben, der fast unregierbar ist, solange wird es dort nicht zu einer Besserung kommen können.

Christian Schwarz-Schilling (83) ist ein deutscher Christdemokratischer Politiker. 2006 und 2007 war er der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina und überwachte das Friedensabkommen von Dayton, das nach dreieinhalb Jahren den Krieg im Land beendete.