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Schwaben im Kaukasus

Marc von Lüpke-Schwarz30. Dezember 2013

Eine Hungersnot trieb schwäbische Siedler 1817 in den Kaukasus. Dort gründeten die Deutschen Dörfer und bauten Wein an. Doch im Zweiten Weltkrieg änderte sich alles.

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Georgien, Bolnisi: Kolonistenhaeuser Kaukasiendeutsche
Häuser schwäbischer Einwanderer im KaukasusBild: Ullstein

1816 suchte eine schwere Hungersnot das deutsche Württemberg heim. Sie kam zu einem besonders schwierigen Zeitpunkt, denn gerade erst hatte das Land begonnen, sich von den Verheerungen zu erholen, die die Napoleonischen Kriege angerichtet hatten. Die Menschen litten bittere Not. In dieser Situation hörten die Menschen von einem kühnen Plan. Im Kaukasus, an der Südgrenze des Russischen Reiches, gebe es Land, das sich zu besiedeln lohne. Über 1000 Familien verkauften ihr Hab und Gut und machten sich 1817 auf den weiten Weg gen Osten. Im Kaukasus wollten sich die Schwabendeutschen eine neue Existenz aufbauen.

In den fernen Kaukasus

Doch nicht nur die Not trieb die Schwaben in die Fremde. Das Verlassen ihrer Heimat hatte auch religiöse Gründe: Sie waren gläubige Anhänger der protestantischen Reformbewegung des Pietismus. Manche von ihnen glaubten, dass bald, genauer gesagt im Jahre 1836, Jesus Christus zurückkehren würde. Dann würde ein tausendjähriges Reich Gottes auf Erden beginnen. Dann wollten sie sich möglichst nahe an der heiligen Stadt Jerusalem aufhalten. Eine Ansiedlung dort war allerdings nicht möglich. Das Osmanische Reich ließ keinen Zuzug von Christen zu. Daher zogen die Deutschen in die "Nähe" Jerusalems – in den Kaukasus.

Mit Lastkähnen reisten sie die Donau hinunter, dann ging es weiter nach Odessa und schließlich erreichten sie ihr Ziel: Georgien. In der Nähe der Hauptstadt Tiflis gründeten sie Dörfer: Elisabethtal, Petersdorf, Annenfeld. Weiter entfernt entstanden die Ortschaften Helenendorf und Katharinenfeld. Bei der Ankunft war so mancher Siedler jedoch enttäuscht. "Dort angekommen auf einem kahlen Lande, der Winter vor der Thüre, kein Obdach, kein Brod, 5 Pferde und dazu kein Stall und kein Futter! Ach da wurde das Gottvertrauen geprüft!", berichtete einer der Schwabendeutschen.

Aserbaidschan - deutsche Siedler
Der Turm der deutschen Kirche im aserbaidschanischen HelenendorfBild: picture-alliance/dpa

Ein Kampf ums Überleben

Die russischen Behörden unterstützten den Zuzug der Deutschen mit Startkapital und Vergünstigungen. Die Neuankömmlinge taten sich allerdings schwer mit dem ungewohnten Klima. Seuchen dezimierten die Siedler. Einheimische Stämme, die sich gegen die russische Herrschaft auflehnten, überfielen die Siedlungen. Katharinenfeld wurde sogar aufgegeben und an anderer Stelle neu errichtet. Trotz der schweren Lebensbedingungen zog es jedoch immer mehr Deutsche in den Kaukasus. In Georgien und Aserbaidschan entstanden weitere Siedlungen.

Trotz aller Schwierigkeiten etablierten sich die Deutschen in der Region. 1834 wurde in Tiflis die erste lutherische Kirche erbaut, die Kinder erhielten Unterricht auf Schwäbisch. Wirtschaftlich aufwärts ging es allerdings erst Jahrzehnte nachdem die Deutschen im Kaukasus heimisch geworden waren. Durch den Weinanbau gelangten manche zu Wohlstand. Die Familien Vohrer und Hummel verkauften Produkte wie Wein oder Öle bis ins ferne Moskau und St. Petersburg.

Zweisprachiges Denkmal in Bolnissi
Ein zweisprachiges Denkmal im ehemaligen Katharinenfeld erinnert an die Vertreibung der Deutschen

Deutsches Bier und deutsche Semmeln

Etwa 35.000 Deutsche lebten am Ende des 19. Jahrhunderts im Kaukasus. Die Gemeinden pflegten allerdings zunächst nur wenige Kontakt zu anderen Einwohnern des Landes wie Georgiern und Russen. Sie unterhielten "Deutsche Vereine", in denen sie Feste feierten, ihre Tänze tanzten, ihre Lieder sangen und debattierten. Besonders in Tiflis entwickelte sich eine Kultur, in der Traditionen aus Deutschland gepflegt wurden. 1850 wurde dort das erste deutsche Bier gebraut. Auch andere deutsche Spezialitäten waren dort zu erwerben: "Im Jahre 1863 gab es in Tiflis bereits deutsche Bäckereien, in denen Semmeln und Zwieback als Delikatesse gegen das primitive einfache Brot verkauft wurden", schrieb eine Georgiendeutsche nieder.

Die deutschsprachige Zeitung "Kaukasische Post" versorgte die deutsche Gemeinde jeden Sonntag mit Informationen. Zu Fasching gab sie eine "Karnevalsnummer" heraus und warb mit Anzeigen wie "Deutsche, trinkt deutsche Weine" für die Winzerkunst der Georgiendeutschen. Doch 1922 endete die Geschichte der "Kaukasischen Post".

Nach dem Ersten Weltkrieg, der Oktoberrevolution und dem blutigen russischen Bürgerkrieg hatte sich das Russische Reich in die Sowjetunion verwandelt. Georgien, das sich mit deutscher Hilfe im Ersten Weltkrieg unabhängig machen wollte, stand unter besonderer Beobachtung. Die russische Sprache wurde nun für alle Nationalitäten verbindlich.

Joseph Stalin
Der sowjetische Diktator Joseph StalinBild: picture-alliance/United Archives/TopFoto

Deportation der Georgiendeutschen

Zwar erkannten die Sowjets die Deutschen später als Minderheit an, doch war die Zahl der Menschen, die Deutsch als Muttersprache sprachen, mittlerweile stark gesunken: auf etwa 5.000. Als das Deutsche Reich 1941 schließlich im Zweiten Weltkrieg die Sowjetunion überfiel, galten alle Deutschen, die in der Sowjetunion lebten, als verdächtig. Der sowjetische Diktator Josef Stalin ließ die Georgiendeutschen deportieren.

Oft hatten sie nur wenige Stunden, um ihre Sachen zu packen, viele starben bei den Strapazen der Deportation. Erst Jahrzehnte nach Kriegsende durften sie zurück in ihre Heimat. Als Georgien 1991 unabhängig wurde, fanden sich etwa 1500 Menschen deutscher Abstammung in der "Assoziation der Deutschen Georgiens" zusammen. Viele davon sind allerdings wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage mittlerweile nach Deutschland ausgewandert. Zurück blieben Kirchen, Häuser, und der eine oder andere Weinstock.