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Schulden streichen?

Bernd Riegert26. Juli 2012

Nächster Akt im Rettungsdrama: EU-Kommissionspräsident Barroso fährt nach Athen. Im Gepäck hat er einen möglichen zweiten Schuldenschnitt. Das würde europäische Steuerzahler Milliarden kosten.

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Die griechische Flagge weht hinweg über die Kopfe vieler Griechen (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa

Es ist der erste Besuch des EU-Kommissionspräsidenten in krisengeschüttelten Athen seit drei Jahren. Die Mission von EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso ist beileibe kein "Routinebesuch", wie das sein Sprecher in Brüssel darzustellen versuchte. Barroso wird mit dem griechischen Ministerpräsidenten Antonis Samaras am Donnerstag (26.07.2012) die wenigen verbliebenen Optionen durchsprechen, die für eine finanzielle Rettung des an sich bankrotten Staates bleiben. Wahrscheinlich nicht zufällig fällt Barrosos Besuch in Griechenland mit der neuen Prüfrunde durch die "Troika" zusammen, also mit den Kassenprüfern von Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission. Die Troika soll ebenfalls am Donnerstag die ersten Gespräche mit der neuen griechischen Regierung führen, die erst seit einem Monat im Amt ist.

EU-Quellen malen düsteres Bild

Jose Manuel Barroso (Foto: Reuters)
Auf Blitzbesuch in Griechenland: BarrosoBild: Reuters

Zur Vorbereitung der Barroso-Reise luden EU-Offizielle in Brüssel zum Hintergrund-Gespräch und fuhren große Geschütze auf. Die EU-Beamten, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen wollen, sagten der Nachrichtenagentur Reuters, dass der Schuldenberg in Griechenland praktisch nicht mehr beherrschbar und seit vier Monaten in Griechenland praktisch nichts geschehen sei. Der neue griechische Finanzminister Ioannis Stournaras versucht in diesen Tagen elf Milliarden Euro an Einsparungen zusammenzukratzen, die eigentlich schon für Juni zugesagt worden waren. Durch zwei Wahlen und den Regierungswechsel in Griechenland kam der Reformprozess zum Stillstand. "Griechenland ist weit vom Kurs abgekommen", sagte einer der EU-Offiziellen. Auch mit dem zweiten Hilfspaket von 130 Milliarden Euro aus den Rettungsfonds und mit dem Schuldenerlass privater Gläubiger vom März lasse sich der Schuldenberg nicht mehr rechtzeitig verkleinern. Bis zum Jahr 2020 sollte die Schuldenlast von heute 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf 120 Prozent gesenkt werden. Zielmarke sind irgendwann 60 Prozent des BIP.

Schuldenerlass staatlicher Gläubiger

Gelingt dies nicht, dann ist die "Tragfähigkeit" der Schulden nicht gegeben. Der Internationale Währungsfonds, der zurzeit mit einem Drittel an den Rettungsmaßnahmen beteiligt ist, dürfte dann nach seinen Statuten kein Geld mehr nach Griechenland pumpen. Nötig wäre ein weiteres, drittes Hilfspaket, um Griechenland über Wasser zu halten. Doch das lehnen laut EU-Quellen mindestens sechs Euro-Staaten, darunter Deutschland, kategorisch ab. Die griechische Regierung möchte die Programme um zwei Jahre strecken. Auch das würde die Geldgeber bis zu 50 Milliarden Euro kosten und wird deshalb offiziell noch ausgeschlossen.

Jörg Asmussen, Chefvolkswirt im Direktorium der Europäischen Zentralbank (Foto: DPA)
Jörg Asmussen, Chefvolkswirt im Direktorium der EZBBild: dapd

Als letzte Möglichkeit bliebe ein weiterer Schuldenerlass für Griechenland. Im März hatten die privaten Gläubiger, also Banken, Versicherungen und Investmentfonds, auf einen großen Teil ihrer Forderungen verzichtet. Jetzt wären die staatlichen Gläubiger an der Reihe, die auf rund 200 Milliarden Euro griechischer Schulden sitzen. Die großen staatlichen Gläubiger sind die Europäische Zentralbank, der Internationale Währungsfonds und einzelne Euro-Staaten. Sie hatten Griechenland am Anfang der Rettungsaktionen vor zwei Jahren bilaterale Kredite eingeräumt. Am Ende würden also über Umwege die Steuerzahler für den Schuldenerlass bezahlen. Das sei politisch im Moment schwer durchsetzbar, orakeln die EU-Offiziellen in Brüssel. Ökonomisch sei eine Restrukturierung der Schulden sinnvoll, aber politisch bestehe dazu keine Bereitschaft, sagten die EU-Vertreter der Agentur Reuters.

EZB: Schuldenerlass als letztes Mittel

Die Idee eines zweiten staatlichen Schuldenerlasses für Griechenland ist nicht neu. Schon Anfang Juli sagte der ehemalige Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann in einer Rede in Zürich: "Das Land dürfte wohl einen zweiten Schuldenschnitt brauchen, um auf die Zielmarke von 60 Prozent der Schulden zum Bruttoinlandsprodukt zu kommen." Einer der Finanzanwälte, die im März den Schuldenschnitt für private Gläubiger geregelt haben, ist der New Yorker Umschuldungs-Experte Lee Buchwald. Er sagte vor drei Wochen der Wochenzeitung "Die ZEIT": "Ein zweiter Schuldenschnitt würde mich nicht überraschen."

Nach dem letzten EU-Gipfel Ende Juni hat sich auch die Europäische Zentralbank zum Schuldenschnitt geäußert. Der deutsche Vertreter in der EZB-Geschäftsführung, Jörg Asmussen, sagte der griechischen Zeitung "Kathimerini", es könne sein, dass die Nachhaltigkeit der Schulden wieder auf Messers Schneide stehe. Wenn das so sei, dann müsse man notfalls zum Äußersten greifen, um die Tragfähigkeit wiederherzustellen, sagte Asmussen. Gemeint ist ein Schuldenerlass.

Werbetour durch Europa

In der zweiten Augustwoche will der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras durch die europäischen Hauptstädte tingeln, um für eine Lockerung der Auflagen für Griechenland zu werben. Laut griechischer Medienberichte will er auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, treffen. Lagarde hatte bereits Ende Januar gesagt, es sei möglicherweise nötig, dass sich öffentliche Schuldner an einem Schuldenerlass für Griechenland beteiligen. Sie meinte damals hauptsächlich die Europäische Zentralbank, die rund 50 Milliarden an griechischen Staatsanleihen besitzt. Christine Lagarde hatte den Griechen im Mai mangelnde Steuermoral unterstellt und erst am Dienstag (23.07.2012), Meldungen dementieren lassen, der IWF wolle sich an weiteren Rettungsprogrammen für Griechenland nicht beteiligen.