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Der Holocaust in Schulbüchern

Christian Ignatzi28. Januar 2014

In deutschen Schulbüchern finden sich oft überholte Holocaust-Darstellungen. Das belegt eine Untersuchung des Georg-Eckert-Instituts für Schulbuchforschung. In anderen Ländern ist die Lage noch schlimmer.

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Schule Unterricht Baden-Württemberg
Bild: picture-alliance/dpa

Die Ermordung von mehr als sechs Millionen Juden während des Zweiten Weltkrieges zählt zu den dunkelsten Kapiteln der Menschheitsgeschichte. Kein Wunder, dass der Holocaust Eingang in Schulbücher auf der ganzen Welt findet. Allerdings auf ganz unterschiedlichem Niveau, wie Forscher des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig beim Vergleich von Schulbüchern und Lehrplänen herausgefunden haben. Noch ist ihre Studie nur in Auszügen veröffentlicht, aber schon diese Teilergebnisse zeigen große Unterschiede zwischen den Staaten.

Die wohl größte Beachtung in der Schule findet der industrielle Massenmord an den Juden im Land der Täter. Den Empfehlungen der Schulbuchforscher folgend, vermitteln Lehrer ihren Schülern in Deutschland eigenständige Unterrichtseinheiten zum Holocaust. Einen Schwachpunkt haben die Forscher allerdings auch hierzulande gefunden: Die Inhalte der Lehrbücher ließen es bisweilen an Sorgfalt vermissen. In der Regel würden Hitler, die Nationalsozialisten sowie die Juden als Begrifflichkeiten hervorgehoben, während andere Opfergruppen, die Mitverantwortung gewöhnlicher Bürger und die Rolle europäischer Nachbarstaaten in der Judenverfolgung wenig Beachtung fänden. "Da scheint sich noch eine ältere Sichtweise des Holocaust durchzusetzen, in der Hitler als einziger Initiator gesehen wurde", analysiert der Münchner Holocaustforscher Frank Bajohr. "Mittlerweile sind wir davon weit entfernt, auch wenn man natürlich sagen muss, dass der Holocaust in dieser Form ohne Hitler nicht stattgefunden hätte." Stattdessen spreche die Forschung heute von mehr als 250.000 deutschen und österreichischen Tätern.

Deportation, Gefangenentransport Belgrad 1941 (Foto: dpa)
Deportation Gefangener 1941 in Belgrad. Viele Kinder lernen davon nichts in der SchuleBild: picture-alliance/dpa

Keine bewusste Verharmlosung

Dass Schulbuchautoren bewusst Fakten verharmlosen, glaubt Forscher Bajohr nicht. Vielmehr fänden sich in ihren Werken vor allem veraltete Forschungsstände. Auch fachliche Fehler sind nach Einschätzung der Wissenschaftler in Deutschland zu finden. Etwa würden Vernichtungslager in Russland erwähnt, die es nie gegeben habe. Zudem gelangten immer wieder falsche Begrifflichkeiten, wie "Sonderkommandos" für die mordenden "Einsatzkommandos" in die Bücher, wie der Berliner Geschichtsdidaktiker und Holocaust-Forscher Thomas Sandkühler 2012 in einer Analyse schreibt. Sandkühler fordert eine bessere Qualitätskontrolle von Schulbüchern.

Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands, Heinz-Peter Meidinger, wundert sich über einige Ergebnisse der Forscher. "Ich kenne die einschlägigen Lehrbücher, und der Holocaust zählt zu den Bereichen, die mit am strengsten geprüft werden", sagt der Schulleiter und Geschichtslehrer aus dem bayrischen Deggendorf. Fachwissenschaftler und Lehrer würden vor der Veröffentlichung ein Schulbuch genauestens prüfen. Meidinger geht davon aus, dass Fehler eher durch Lehrer in den Unterricht gelangten, die ungeprüft Quellen aus dem Internet verwendeten.

Eisenach Synagoge während der Reichskristallnacht 1938 (Foto: dpa)
Eine brennende Synagoge während der Reichspogromnacht 1938 in Eisenach

Holocaust fehlt im Lehrplan

Im Ausland stießen die Forscher auf andere Probleme. In einigen Kantonen der Schweiz etwa gehört der Holocaust offiziell nicht zum Unterrichtsstoff an Schulen. "Es ist etwas merkwürdig, dass so ein zentrales Thema wie der Holocaust nicht in einem Lehrplan festgehalten wird", sagt Frank Bajohr. Gerade die Schweizer Historikerkommission habe sich jahrelang mit dem nationalsozialistischen Deutschland und der Verwicklung der Schweiz in die Ereignisse befasst. "Die Schweiz war ja in den 1930er und 1940er Jahren keine unberührte Insel", sagt Bajohr. "Eine Verankerung im Lehrplan würde ein höheres Maß an Verbindlichkeit schaffen." Doch auch wenn der Holocaust in der Schweiz nicht im Lehrplan vorkommt, "nachweislich wird er im Unterricht behandelt", teilt das Georg-Eckert-Institut mit.

Außerhalb der EU zeigten sich unterschiedlich starke Thematisierungen des Völkermords in Schulbüchern. Albanische Lehrbücher sprechen etwa vom "Zeitalter der Erschütterung 1914-1945" und lenken den Blick auf albanische Bürger, die verfolgte Juden gerettet haben. In China und Ruanda hingegen erscheint der europäische Holocaust nur flüchtig als Vergleichsmaßstab in Darstellungen der örtlichen Völkermorde. Im Irak und den angrenzenden Ländern des Nahen Ostens wird der Holocaust der Studie zufolge zwar nicht geleugnet, aber weitgehend ausgeblendet. Stattdessen wird er nur teilweise erklärt oder mit unscharfen Begriffen beschrieben.

Screenshot Startseite Google Frankreich
Im Internet lauern ungeprüfte Informationen zum Holocaust

Unterschiedliche Ansätze im Schulunterricht

Indien betreibt dem Georg-Eckert-Institut zufolge Geschichtspolitik mit dem Holocaust. Die Schulbücher, die während der Herrschaft des linken Parteienbündnisses "Left Front" gedruckt wurden, verglichen den indischen Befreiungskampf mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus und auch gegen den Holocaust. Autoren, die der nationalistischen hinduistischen BJP-Partei nahe stehen, erwähnten den Holocaust nicht und priesen die "kompromisslosen nationalen Ideale" der Nationalsozialisten. Liberale Autoren wiederum stellten Gandhis Versuche, auf Hitler Druck auszuüben und auf diese Weise die Rassenpolitik durch Verhandlungen zu unterbinden, in den Vordergrund.

Die Schulbuchforscher empfehlen als Fazit ihrer Studie, historische Fakten stärker zu vermitteln und Autorentexte durch Zeitzeugenberichte zu ergänzen.