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Tod vor Auslieferung

Volker Wagener24. Juli 2014

Johann Breyer, mutmaßlicher Nazi, ist 89-jährig in den USA gestorben. Erst unmittelbar vor seinem Tod wurde der Auslieferung nach Deutschland stattgegeben. Ein Interview über die mühsame Suche nach alten NS-Tätern.

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Jüdische Frauen und Männer warten auf Abtransport (Foto: AP Photo/Yad Vashem Photo Archives)
Bild: picture alliance / AP Photo

Erst im Juni 2014 war der gebürtige Tschechoslowake Johann Breyer in Philadelphia/USA festgenommen worden. Ihm wurde seitens der deutschen Justiz Beihilfe zur Ermordung hunderttausender Juden in Auschwitz vorgeworfen. 2012 war gegen Breyer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Im Sommer 2013 hatte die Bundesrepublik einen Auslieferungsantrag gestellt. Breyer hatte angegeben als 17-Jähriger Mitglied der Waffen-SS geworden zu sein. Aber seine Tätigkeit als Wachmann im Konzentrationslager Auschwitz bestritt er.

Anfang der 1950er Jahre emigrierte Breyer in die USA und lebte dort als Werkzeugmacher in Philadelphia im Bundesstaat Pennsylvania. Kurz vor seinem Tod war Breyer aufgrund gesundheitlicher Probleme vom Gefängnis in ein Krankenhaus verlegt worden. Die späte Aufarbeitung von NS-Verbrechen gestaltet sich für die Ermittler und Gerichte zunehmend schwierig. Viele Verdächtige, denen Verbrechen zwischen 1933 und 1945 zur Last gelegt werden, sind entweder inzwischen verstorben oder so schwer erkrankt, dass die Verhandlungsfähigkeit in Frage steht. Im DW-Interview äußert sich Kurt Schrimm, Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, über die mühsame Suche nach alten NS-Tätern.

Deutsche Welle: Wie viel Fahndungs- und Recherchearbeit seitens der Zentralstelle zur Aufarbeitung von NS-Verbrechen und anderer Behörden ist durch Breyers Tod hinfällig geworden?

Kurt Schrimm: Das können sie endgültig nicht genau abschätzen, weil ja mehrere Behörden daran beteiligt waren. Wir, die Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen, haben diese Sache mit großem Aufwand betrieben. Wir wollten ein relativ fertiges Werk der Staatsanwaltschaft vorlegen, die ihrerseits aber wiederrum sehr, sehr viele Nachermittlungen betrieben hat. Soviel ich weiß, wurden Landeskriminalländer beauftragt. Ich kann eine Zahl in Form von Stunden, Tagen oder sogar Wochen nicht nennen, aber es ist natürlich sehr viel Ermittlungsaufwand betrieben worden, der sich nunmehr, zumindest in strafrechtlicher Hinsicht, als überflüssig erwiesen hat.

Die NS-Aufklärer befinden sich knapp 70 Jahre nach Kriegsende unter Zeitdruck. Wie viele Alt-Nazis werden noch gesucht?

Soweit ich weiß, gibt es keine Täter oder Tatverdächtigen mehr, die namentlich noch gesucht werden, zumindest nicht von den Justizbehörden. Wir hier in Ludwigsburg suchen nach Leuten und nach Taten, so komisch es jetzt auch klingt, die uns bisher noch nicht bekannt sind. Wir suchen also nach Dingen die bisher im Verborgenen liegen, in Archiven, in irgendwelchen Dokumentationszentren. Aber eine Zahl kann ich nicht nennen.

Die späte juristische Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen läuft in vielen Fällen ins Leere. Schon eingeleitete Verfahren werden immer häufiger von der deutschen Justiz mit Verweis auf das hohe Alter angehalten. Zu recht?

Ich halte es zunächst einmal für den richtigen Weg, dass man nach wie vor versucht die Tatverdächtigen zu überführen und möglichst einer Verurteilung zuzuführen. Das sie zum großen Teil nicht mehr verhandlungsfähig sind, das liegt in der Natur der Sache und muss natürlich von den Ermittlungsbehörden beachtet werden. Wenn jemand gesundheitlich nicht in der Lage ist einer Hauptverhandlung zu folgen oder sich zu verteidigen, der kann nicht vor Gericht gestellt werden.

Kurt Schrimm, Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen (Foto: Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)
Kurt Schrimm, Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer VerbrechenBild: picture-alliance/dpa

Warum kommt es bei mutmaßlichen Alt-Nazis so spät zu Anklagen? Gab es nicht schon viel früher, als die Gesuchten noch deutlich jünger waren, die Möglichkeit der Anklage?

Es gibt viele Gründe. Zunächst ist es so gewesen, dass man die Hauptschuldigen gesucht hat und die, die durch besonders brutales Verhalten aufgefallen sind. Man hat vielleicht die Verfolgung der - ich sage mal der niedrigeren Dienstgrade - in den ersten Jahren oder Jahrzehnten vernachlässigt. Man darf aber auch nicht außer Acht lassen, dass die Forschung Fortschritte gemacht hat. Seit der Wende 1989 stehen uns andere Quellen zur Verfügung, als das vorher der Fall war. Wir konnten nicht einfach nach Russland oder Polen reisen und dort Archive aufsuchen, die Chancen waren gering. Wir haben heute sehr viel bessere Möglichkeiten für unsere Ermittlungen.

Wann wird die allerletzte Nazi-Akte voraussichtlich geschlossen werden?

Das kann derzeit mit Sicherheit niemand seriös beurteilen. Wie gesagt, wir suchen weiter und für uns spielt das Alter zunächst einmal keine Rolle. Wir sind eine Aufklärungsbehörde, das heißt, wir haben festzustellen, was ist geschehen und wer kommt als Tatverdächtiger in Betracht. Erst dann konzentrieren wir uns auf die Person, ob Sie verhandlungsfähig ist. Eine Materie, die im Augenblick abschließend noch niemand überblicken kann.

Kurt Schrimm ist Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. Sie wurde 1958 von den Justizministern und Senatoren der Bundesländer gegründet.

Das Interview führte Volker Wagener.